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Version vom 5. Januar 2018, 14:02 Uhr
Neue Rückenschule und Yoga
- Artikel von Sukadev Bretz -
Vor kurzem habe ich eine Hörsendung über die sogenannte “Neue Rückenschule” gehört. Ich fand das sehr interessant – diese Sendung hat fast alles bestätigt, was Swami Vishnu-devananda früher über “Yoga für den Rücken” gelehrt hat. Der Ausdruck “Neue Rückenschule” sagt schon, dass es inzwischen entscheidend Neues gibt gegenüber der “Klassischen” Rückenschule, inzwischen auch “Alte Rückenschule” , hämisch in Wissenschaftlerkreisen auch “veraltete”, “überholte” Rückenschule genannt.
In den letzten 10-20 Jahren wurden sogenannte Rückenschulen massiv von Krankenkassen, vom Medizinsystem, in der betrieblichen Gesundheitsprävention, in der Rücken-Reha propagiert. In den Rückenschulen wurde gelehrt
- “Rückengerechte” Körperhaltung, insbesondere ständige Aufrechthaltung der Rückenlordose
- Ergonomische Arbeitsplatzgestaltung: Es muss der richtige Stuhl, die richtige Höhe des Bildschirms etc. gefunden werden
- “Rückengerechtes Heben, insbesondere mit geradem Rücken, Heben aus den Knien statt aus dem Rücken
- Vermeidung von Drehbewegung
- Vermeidung von rundem Rücken
- Die Vertreter der Rückenschulen haben manchmal bei den Yoga Übungen die Vorwärtsbeugen und die Drehungen kritisiert
Die “Alte Rückenschule” hatte großen Einfluss darauf, wie Yoga in Deutschland gelehrt wird, in vielen Yogaschulen und Richtungen. Insbesondere wurde seit Mitte der 90er Jahre in immer mehr Yogaschulen darauf bestanden, dass der Rücken bei Vorwärtsbeugen absolut gerade sein muss, dass Drehungen bei Menschen mit Rückenproblemen verboten seien, und dass das Aufrichten mit Rundem Rücken schädlich sei.
Vor ein paar Jahren gab es ein paar empirische Studien. Diese haben gezeigt, dass die Teilnahme an einer Rückenschule das Auftreten von Rückenschmerzen NICHT reduziert hat. Die Studien haben gezeigt: Die “Klassische Rückenschule” war/ist nicht zielführend für die Heilung/Vorbeugung von Rückenschmerzen.
So hat sich die “Neue Rückenschule” entwickelt, evidenzbasiert, d.h. auf Studien beruhend. Die “Neue Rückenschule” hat folgende Unterschiede zur “Alten Rückenschule”:
- Es wird nicht mehr von “der” korrekten Körperhaltung ausgegangen – vielmehr ist es am rückengerechtesten, die Körperhaltung zu wechseln. Mal nach vorne gebeugt, mal leicht im Hohlkreuz, mal geneigt und gedreht zu sein. Die beste Körperhaltung ist – die Bewegung
- Eine für alle richtige Arbeitsplatzgestaltung “ergonomisch” gibt es nicht. Auch hier gilt: Öfter mal Haltung wechseln ist am besten
- Es gibt kein “rückengerechtes” Heben und kein immer “falsches Heben”. Wer ständig seine Rückenmuskeln beim Heben schont, lässt seine Rückenmuskeln verkümmern. Manchmal ist es sogar gut, mit rundem Rücken zu heben – nur so kommt man an die kleinen Muskelfasern, die von Wirbel zu Wirbel verlaufen
- Drehungen sind wichtig. Die Bandscheiben brauchen Drehung für ihre Gesundheit – und Muskelfasern können beim Drehen gestärkt und gedehnt werden, an die man ansonsten nicht rankommt
- Runder Rücken ab und zu, auch und gerade in der Lendenwirbelsäule ist essentiell. So werden die Muskeln gedehnt, und über Dehnen können die Muskeln sich entspannen. Und wenn man die Rückenmuskeln beim Vorbeugen stärkt, z.B. indem man mit rundem Rücken hochkommt, stärkt man die wichtigen kleinen Zwischenwirbelmuskeln (siehe oben)
- Manchmal muss man die Schmerzsignale des Körpers beachten – manchmal muss man gegen die Schmerzsignale des Körpers üben
- So sind im Yoga die Vorwärtsbeugen und Drehungen sehr zu loben, vom Standpunkt der “neuen Rückenschule”
Die neue Rückenschule ist auch “multi-modal”, d.h. bezieht sehr viele Faktoren mit ein. Bei Rückenschmerzen spielen Stress an Arbeitsplatz und in der Familie, andere psychische Faktoren, Sinnfindungsfragen und vieles andere eine Rolle. Man kann sagen die “neue Rückenschule” nähert sich in der Ganzheitlichkeit in Richtung Yoga…
Was heißt das jetzt für das Yoga?
- 08/15 Tipps für alle gibt es nicht – was für den einen richtig ist, kann für den anderen nicht richtig sein
- Die Vorwärtsbeugen und Drehungen können als “rehabilitiert” gelten. Ein Bestehen auf einem ganz geraden Rücken in den Vorwärtsbeugen ist für die meisten, einschließlich der meisten Rückenschmerzpatienten, falsch und kontraproduktiv
- Für einen gesunden Rücken sollte in eine Yogastunde eine Vielzahl von Übungen ausgeführt werden. Stärkungsübungen und Dehnübungen sind dabei noch wichtiger als Entspannungsübungen (die allerdings auch wichtig sind)
- Den Teilnehmer darin zu schulen, welche Schmerzen Signale sind eine Stellung anders zu machen, und welche Schmerzen Signale sind über sie hinauszuwachsen und gegen den Schmerz zu üben, ist ganz essentiell. Dazu muss ein Yogalehrer genau wissen, was er macht
- Für Yoga Vidya gilt: Was wir bei Yoga Vidya bezüglich Rückenyoga seit Anfang der 90er Jahre lehren, kann als “hochaktuell” gelten und entspricht dem neuesten Forschungsstand. Es war gut, dass wir uns nicht an die Forderungen von Anhängern der “Klassischen Rückenschule” angepasst haben, und dass wir uns nicht von “Listen ungeeigneter Übungen” haben abschrecken lassen. Wir haben zwar vielleicht auch etwas zu sehr den Rücken in der Vorwärtsbeuge gerade halten lassen. Vielleicht haben wir auch zu häufig bei Rückenbeschwerden zu Vorsicht bei Drehungen geraten. Aber es war mehr “tendenziell”, nicht “grundsätzlich”. Und es bleibt besonders wichtig: Wenn ein Teilnehmer seine Selbstwahrnehmung verbessert, kommt seine gesunde Intuition, die tiefer geht als oberflächliches Schmerzempfinden
- Es wäre hilfreich, wenn Yoga Ausbilder mal mit Experten der Neuen Rückenschule sprechen. Eventuell kann aus solchen Gesprächen doch die ein oder andere Empfehlung für den Yoga Unterricht und für neue wissenschaftliche Studien erwachsen
Ich wünsche dir viel Inspiration beim Üben (und Unterrichten) von Yoga.