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==Quelle des Vedanta==
==Quelle des Vedanta==
'''Artikel aus dem Buch „Das System des Vedanta“ von Paul Deussen, Elibron Classics, 2. Auflage, 1906, S. 93 - 103.'''
'''Artikel aus dem Buch „Das System des Vedanta“ von Paul Deussen, Elibron Classics, 2. Auflage, 1906, S. 93 - 103.'''

Version vom 26. Oktober 2013, 11:49 Uhr

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Quelle des Vedanta

Artikel aus dem Buch „Das System des Vedanta“ von Paul Deussen, Elibron Classics, 2. Auflage, 1906, S. 93 - 103.

Allgemeines über die indischen Pramanas oder Erkenntnis-Normen

'Welches sind die Quellen, aus denen wir unser 'Wissen schöpfen? — Diese Frage, über welche jede Philosophie sich Rechenschaft zu geben hat, begegnet uns in den indischen Systemen vielfach in Gestalt einer Betrachtung über die Pramâna's, wörtlich die .,Mafsstähe" oder „Normen" unseres Erkennens; wobei also nicht die Anschauung einer Quelle, aus der wir schöpfen, zugrunde liegt, sondern vielmehr die eines Kontrolliermittels, an dem wir das in uns schon vor¬handene Wissen nachzumessen und auf seine Richtigkeit hin zu prüfen haben, eine Anschauung, die sich daraus erklärt, dafs die indische Philosophie nicht, wie zumeist die griechi¬sche, von einer voraussetzungslosen Betrachtung des Seienden, sondern vielmehr, ähnlich wie die neuere Philosophie, von der kritischen Zergliederung und Prüfung eines (durch den Veda) überkommenen Wissenskomplexes ausging.sr Als solche I'ra tnâna's oder Erkenntnisnormen werden in der Regel von den Systemen aufgezählt: 1) Pratyakshatn, auch drisigam genannt, das sinnlich Wahrnehmbare, wie es durch unmittelbare Perzeption von uns erkannt wird; 2) Anumânam, „das auf etwas hin Messen", die Folgerung, durch welche uns der¬jenige Teil des Seienden zugänglich wird, welcher nicht in die unmittelbare Wahrnehmung fällt 5 3, und von dem wir daher nur dadurch Kunde haben, dafs das Wahrgenommene auf etwas anderes, Nichtwahrnehmbares hinweist, dadurch, dais es mit ihm in Verbindung steht. Diese Verbindung kann eine dreifache sein, sofern das zu Erschliefsende entweder die Ursache des Wahrgenommenen ist, oder seine Wirkung, oder sofern drittens beide in einer Beziehung stehen, die nicht unter den Begriff der Kausalität fällt, z. B. in der der Analogie.

Diese beiden Erkenntnissphären, das Wahrgenommene und das Gefolgerte, befassen naturgemäfs den ganzen Komplex des Seienden. So roh es daher ist, wenn die Càrväka's (Materialisten) nur die erste derselben gelten lassen wollen, so wenig ist dagegen einzuwenden, wenn die Vaiçeshika's und Bauddha's (Buddhisten) bei diesen beiden Pramàna's stehen bleiben. Denn seltsam ist es, wenn die Sànkhya's u. a. daneben noch 3) Aptavacanam, d. h. „die richtige Mitteilung" stellen, welche dann wieder, je nach der Auffassung, die welt¬liche oder die religiöse Überlieferung bedeutet; erstere geht doch wieder auf Pratyaksham und Anumâna,u zurück, letztere ist in der Philosophie kein berechtigtes Moment und gehört zu den Mitteln, durch welche die Sânkhya's und andere, bei aller Ketzerei, doch einen Schein der Orthodoxie zu wahren wulsten. — Durch weitere Spaltung des Anumânant gelangen, nicht zum Vorteile der Klarheit, die Anhänger des Nyäya zu vier, die Mîmänsaka's aus der Schule des Jaimini zu sechs, noch andere gar zu neun Pramàna's (vgl. Colebr. Misc. Ess. t p. 240. 266. 303-304. 330. 403).

Unzulänglichkeit der weltlichen Erkenntnisnormen

Wie die Piirva-tnimânsâ, so nimmt auch der Vedanta sechs Erkenntnisnormen an, nach Colebrooke (I. c. p. 330), der sich dabei auf die (moderne) Vedântaparibhâshâ beruft. Was un¬sere Vedanta-sütra's betrifft, so kommen darin in Text und Kommentar keinerlei Untersuchungen über die Pramâna's vor; vielmehr werden dieselben überall als bekannt vorausgesetzt und als inkompetent für die Metaphysik des Vedanta abge¬wiesen S4, — wie denn in der Tat eine gründliche Rechen¬schaft darüber, dais auch Metaphysik zu ihrem Inhalte nur durch richtige Benutzung der natürlichen Erkenntnismittel gelangt, sehr schwierig ist und eine gröfsere Reife des Den¬kens voraussetzt, als wir sie im Vedanta finden, der sich da¬durch aus der Verlegenheit hilft, dais er kurzweg den philo¬sophischen Erkenntnismitteln ein theologisches substituiert, wie wir jetzt des weitern nachweisen wollen.

Was zunächst Bàdarâyana betrifft, so drückt er, in der drastischen Kürze, die ihn charakterisiert, seine Verwerfung der weltlichen Erkenntnismittel Pratyakshans und Anumânant dadurch aus, dais er diese beiden Namen, wie schon oben (S. 24) bemerkt, anwendet, um etwas ganz anderes zu bezeich¬nen, nämlich die Çruti und die Sntriti; so in den Sutra's 1,3,28. 3,2,24. 4,4,20 (vorausgesetzt natürlich, dais Çaiikara dieselben richtig erklärt). Die Çruti also, die heilige Schrift, im engern Sinne die Brähmana's und Upanishad's, dann aber auch die von ihnen vorausgesetzten Mantra's, d. h. Hymnen und Sprüche S S, sind für Bildaräyana das Pratyaksham, das Offenbarte ist ihm das Offenbare, keiner weitern Autorität Bedürftige. Anders steht es mit der Smriti 56, unter welchem Namen Çankara Zeugnisse aus dem Sänkhya- und Yoga-Systeme, aus dem Gesetzbuche des Manu, aus dem Mahäbhä-ratam und den Purâna's, sowie auch aus der vedischen Sûtra-Literatur anführt. Denn während der Veda, vergleichbar der Sonne, die ihr eigenes Licht hat, eine unbedingte Autorität (nirapeksham prâmânyam p. 414,6) besitzt, so heifst die Smriti deswegen Anumânarn, weil sie, wie Çankara p. 287,11 erklärt, zu ihrer Stütze eines andern Autoritätsgrundes (prâmânyam) bedürftig ist. Wie nämlich das weltliche Anumânam auf das Pratyaksham sich stützt und nur, sofern es aus diesem richtig gefolgert wird, Beweiskraft hat, so ist auch die Srnriti nur in¬soweit als Autorität gültig, wie sie die Çruti durch ihr Zeug¬nis bestätigt und durch richtige Folgerungen ergänzt. Daher sie häufig zur Bekräftigung herangezogen, nicht selten aber auch abgelehnt wird, wie denn z. B. 4,2,21 in bezug auf den Auszug der Seele die Vorstellungen der Smriti (Bhagavadgïtä 8,23) nur insoweit verworfen werden, wie sie mit der Çruti in Widerspruch stehen (p. 1109,5). — Im übrigen spricht sich Badaräyana 2,1,11 prinzipiell gegen jede Möglichkeit aus, die metaphysischen Wahrheiten auf dem Wege der Reflexion (tarka) zu ergründen, was von Çankara kommentiert wird wie folgt (p. 435,11): „Und darum darf die blofse Reflexion (ke-„calas tarhah) in einer durch die [heilige] Überlieferung (4gama) „zu erkennenden Sache sich nicht dagegen erheben, weil Re-„flexionen, welche ohne die [heilige] Überlieferung nur auf „der Spekulation (utprekshâ) der Menschen beruhen, als halt-„los sich herausstellen, indem diese Spekulation ohne Züge„lung ist. Denn so werden die von einigen Sachkundigen „mit Mühe erdachten Reflexionen von andern noch Sach-„kundigeren als [blofs] scheinbare erkannt, und die von die-„sen erdachten wiederum ebenso von andern. Darum kann ,.man sich nicht darauf verlassen, dafs Reflexionen Bestand „haben, weil die Meinungen der Menschen verschieden sind. —„Aber [so könnte man einwenden], wenn da einer ist von .,anerkannter Gröfse, ein Kapila oder ein anderer, der eine „Reflexion ersonnen hat, so könnte man doch auf diese als „wohlbegründet sich verlassen? — Auch so fehlt es an der „rechten Begründung, indem auch die anerkannt grofsen Bahn-„brecher (tirthakara), wie Kapila, Kanada usw., sich offen¬bar widersprechen." Hierauf wendet der Gegner ein : man könne doch vielleicht, indem man auf andere Weise reflektiere, zu einer begründeten Reflexion gelangen, denn dais es über¬haupt keine solche geben könne, das sei doch ein Satz, der sich auch nur auf Reflexion gründe (p. 436,7); weil die eine Reflexion falsch sei, so brauche es darum nicht auch die an¬dere zu sein; die Meinung, dafs alle Reflexion unhaltbar sei, hebe das auf ihr. beruhende Welttreiben auf (p. 436,10). Die Reflexion, meint er, könne ja auch darauf ausgehen, den Sinn der Schriftworte zu betrachten, um so zur vollen Wahrheit zu gelangen (p. 437,1); auch Manu (12,105) empfehle neben der Schriftüberlieferung die Wahrnehmung und Folgerung; und das sei gerade das Schöne an der Reflexion, dafs sie, un¬gebunden durch frühere Reflexionen, im Falle diese unhaltbar sein sollten, anders reflektieren könne (p. 437,7). Hierauf er¬widert Çankara: (p. 437,10) „Wenn es sich auch herausstellen „sollte, dafs auf manchen Gebieten die Reflexion begründet „ist, so kann sie doch auf dem Gebiete, von dem hier die „Rede ist, nicht von dem Vorwurfe der Unbegriindetheit frei-„gesprochen werden; denn es ist nicht möglich, dieses überaus ,tiefe, mit der Erlösung zusammenhängende Wesen des Seien-,.den (bhiiva-yd#hntmyam) ohne die [heilige] liberlieferung „irgendwie zu erkennen; denn in den Bereich der Wahrneh-,.mung (pratyakshatn) fällt dieser Gegenstand nicht, weil er „keine Gestalt usw. hat, und auch nicht in den Bereich „der Folgerung (anu nânam) und der übrigen [Pramitna's], „weil er keine Merkmale (liügam) usw. hat." Hier, so ent¬wickelt unser Autor des weitern, wo es sich um die volle Wahrheit und die aus ihr — wie alle zugäben — folgende Erlösung handele, müsse der Gegenstand der Erkenntnis ein-gestaltig, die Erkenntnis desselben aber unwidersprechlich sein. Die Reflexionen nun erfüllten diese Bedingung nicht, denn sie widersprächen sich, und was der eine aufstelle, das stürze ein anderer wieder um, und was dieser an seine Stelle setze, das werde wiederum von andern umgestürzt (p. 438,9). Auch werde das Sânkhya-System gar nicht als das höchste von allen anerkannt, und es sei doch nicht möglich, alle Denker aller Länder und Zeiten zusammenzubringen, damit sie die endgültige Reflexionswahrheit untereinander festsetzten. Der Veda hingegen als Erkenntnisquelle sei ewig, sein Gegen¬stand stehe fest, die aus ihm geschöpfte volle Erkenntnis des¬selben könne nicht von allen Reflektierern der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft abgewiesen werden (p. 439,5). Hier¬mit sei die Vollgültigkeit der Upanishad-Lehre bewiesen, und somit stehe es „kraft der [heiligen] Überlieferung und kraft „der ihr nachgehenden Reflexion" fest (was zu beweisen a. a. O. der Zweck ist), dafs das geistige Brahman die caussa efficiens und zugleich die caussa materialis der Welt sei (p. 439,7).

Noch stärker ist was Çankara bei Besprechung desselben Punktes an einer andern Stelle äufsert. Auf die Einwendung, dafs Brahman nur caussa efficiens, nicht materialis sein könne, weil die Erfahrung (loka) zeige, dais nur eine caussa efficiens, wie z. B. der Töpfer, mit Erkenntnis ausgestattet sein könne, antwortet er: (p. 403,7) „es ist nicht nötig, dais es hier sei „wie in der Erfahrung; denn dieser Gegenstand [Brahman] „wird nicht durch Folgerung (anumdnam) erkannt, sondern „nur durch die Offenbarung (çabda) wird dieser Gegenstand „erkannt, und daher ist hier [nur] nötig, dais es [das An-„zunehmende] der Offenbarung gemäfs sei, und diese lehrt, „dais der erkennende lçvura (Herr) die caussa materialis „[der Welt] ist" (vgl. p. 1144,13).

Unter diesen Umständen ist es möglich, gelegentlich von Brahman auch solches auszusagen, was nach weltlichem Be-messen ein entschiedener Widerspruch ist; z. B. dass es nicht

V. Quelle des Vedanta. 99 ganz in der Erscheinungswelt aufgehe und dennoch ohne Teile sei: (p. 481,13) „In der Schrift wurzelt das Brahman, in der „Schrift hat es seinen Erkenntnisgrund, nicht in der Sinnes-„wahrnehmung usw., darum mufs man es der Schrift ge-„mäfs annehmen; die Schrift aber lehrt von dem Brahman „beides, dafs es nicht ganz [von den Erscheinungen absorbiert „werde], und dafs es ohne Teile sei. Kommt es ja doch auch „bei weltlichen Dingen, bei Amuletten, Zauberspriichen, Heil-„kräutern usw., vor, dafs sie vermöge der Verschiedenheit „von Ort, Zeit und Ursache Kräfte mit mannigfachen, wider-„sprechenden Wirkungen zeigen, und auch diese lassen sich „nicht ohne Belehrung durch die blofse Reflexion erkennen, „und bestimmen, was für Kräfte, wovon begleitet, worauf be-„züglich, wozu zweckdienlich ein bestimmtes Ding habe, —„wie sollte es denn möglich sein, die Natur des Brahman mit „seinen unausdenkbaren Machtvollkommenheiten ohne die „Schrift zu erkennen?" Dieser Vorteil, die Erfahrung gelegentlich ignorieren zu dürfen, kommt übrigens nur dem Vedàntalehrer, nicht seinem Gegner zugute: (p. 595,8) „Der Anhänger des Brahman er-„forscht das Wesen der [\Welt-]Ursache usw. gestützt auf „die [heilige] Überlieferung, und es ist nicht unbedingt nötig, „dafs er alles der Wahrnehmung gemäfs annehme (na avaçyane „tasya yathci-drishtam eva sarvar abbyupagantavyam); der „Gegner aber, welcher das Wesen der [Welt-]Ursache usw. „gestützt auf Erfahrungsbeispiele (d?'ishtânta) erforscht, mufs „alles der Erfahrung gemäfs annehmen, — das ist der Unter-„schied."

Die Offenbarung des Veda

Um die Härte dieser Aussâgen zu mildern, müssen wir uns an die Ausführungen in Kap. II, 2 erinnern (man lese besonders die Stelle in Anm. 32, S. 58), wonach alle empiri¬schen Erkenntnismittel und die ganze durch sie produzierte Welt in den Bereich der Avidyâ gehört, sowie auch ander¬seits daran, dafs im Veda, speziell in den Upanishad's, philo¬sophische Konzeptionen vorliegen, wie sie weder in Indien noch vielleicht sonst irgend in der Welt ihresgleichen haben; daher wohl die Anschauung unseres Autors begreiflich wird, dafs der Veda übermenschlichen Ursprungs (apaurusheya, p. 170,2), dafs er untrüglich ist (p. 618,1), dafs, wie wir S. 73 fg. sahen, die Götter erschaffen sind, der Veda hin¬gegen, als vorzeitliche Norm des Seienden, ewig im Geiste des Weltschöpfers gegenwärtig ist und von ihm „ausgehaucht" worden 780 7, worüber die beiden Hauptstellen folgende sind: (p. 47,2) „Der grofse, vom Rigveda anfangende Schriftkanon, „welcher, durch mancherlei Wissensdisziplinen verstärkt, wie „eine Lampe alle Dinge beleuchtet und gewissermafsen all-„wissend ist, hat als Ursprung, als Ursache das Brahman. „Denn nicht kann ein solcher Kanon wie der 1tigveda usw., „der mit der Eigenschaft der Allwissenheit ausgestattet ist, „von einem andern, als einem Allwissenden herrühren." — Und weiter: (p. 48,4) „Das grofse 'Wesen, welches nach der „Schrift [Brih. 2,4,10] den der Einteilung in Götter, Tiere, „Menschen, Kasten, Açrama's usw. zugrunde liegenden, l ig-„veda usw. genannten Schacht alles Wissens mühelos, zum „Spiele, dem Aushauche eines Menschen vergleichbar, hervor-.,gebracht hat, murs eine überschwengliche Allwissenheit und „Allmacht besitzen."

Wie das Brahman selbst frei von allen Unterschieden ist, so ist auch die Erkenntnis desselben, wie wir sie aus den Upanishad's gewinnen, durchaus einheitlich und ohne Wider¬spruch: (p. 843,4) „Ist es nicht festgestellt worden, dafs das „zu erkennende Brahman von allen Unterschieden wie vorn, „hinten usw., frei, einheitlich und wie der Salzklumpen [Brih. „4,5,131 eines Geschmackes ist? Wie kann da der Gedanke „kommen an eine Verschiedenheit oder Nichtverschiedenheit „der Erkenntnis? Denn dafs, wie die Vielheit von [frommen] „Werken, so auch eine Vielheit in betreff des Brahman vom „Vedanta gelehrt werde, das kann man ja doch nicht be-„haupten, indem Brahman eines und eingestaltig ist. Und „ist das Brahman eingestaltig, so können doch die Erkennt-„nisse fiber dasselbe nicht vielgestaltig sein; denn die An-„nahme, dafs anders der Gegenstand und anders die Erkennt-„nis desselben sei, ist notwendig irrig. Und wenn hinwiederum „fiber das eine Brahman vielerlei Erkenntnisse in andern „Vedànta-Texten gelehrt würden, von denen die einen wahr, „die andern irrig wären, so würde der Fall des Nichtglaubens „an den Vedanta [d. h. die Upanishad's] eintreten [vgl. „p. 104,1], — darum also darf man nicht den Zweifel er-„heben, als wiiren im Vedanta Differenzen bei der Erkenntnis „des Brahman." Diesem Grundsatze entsprechend werden die zahlreichen Widersprüche in den Upanishad's wegerklärt (als Beispiel kann 1,1,27 dienen) oder auch unter dem weiten Mantel der exoterischen 1Vissenschaft, von der im folgenden Kapitel die Rede sein wird, geborgen. Doch werden auch wieder gelegentlich in den Paralleltexten der Upanishad's kleine Widersprüche zugegeben, mit der Bemerkung , dafs dieselben nicht von Belang seien.ss

Wo der Sinn der Schriftworte zweifelhaft ist, da ent¬scheidet die Erfahrungsregel (laukiko nyâc,a?), p. 1064,5: „Aber es ziemt sieh doch nicht, durch eine Erfahrungsregel „die Schriftanschauung zu meistern? — Darauf antworten „wir: dem ist so, wo der Sinn der Schrift ausgemacht ist; „wo er aber zweifelhaft ist, da ist es nicht unzulässig, behufs „seiner Klarstellung zu einer Erfahrungsregel seine Zuflucht „zu nehmen;" — wie denn überhaupt die weltlichen Er-kenntnismittel immerhin zur Erforschung des Schriftsinnes mitbehilflich sind : (p. 40,6) „Die Erkenntnis des Brahman „wird vollbracht dadurch, dafs man den Sinn des Vedawortes „erwägt und entscheidet; nicht wird sie vollbracht durch „andere Erkenntnismittel wie Folgerung (anunnânanb) usw. .,Obwohl es nun aber die Vedântatexte sind, welche die Ur-„sache für Entstehung usw. der Welt kund tun, so ist „doch, zum Zwecke der Sicherung, dafs man ihren Sinn „[richtig] erfafst hat, auch eine den Vedântaworten nicht „widersprechende Folgerung als Erkenntnismittel nicht aus-„geschlossen. Denn von der Schrift selbst [Brih. 2,4,5. Chdnd. „6,14,2) wird die Reflexion mit zur Hilfe genommen." — (p. 42,3:) „Denn bei der Brahmanforschung ist nicht wie bei „der Pflichtforschung [der Pârva-minicItisâ] die Schrift aus-„schliefsliche Autorität, sondern hier sind, je nachdem es „kommt, Autorität die Schrift und die [innere] Wahrnehmung „(anubhava) usw. Denn die Erkenntnis des Brahman er-„reicht ihren Endpunkt in der Wahrnehmung, sofern sie sich „auf einen wirklich vorhandenen Gegenstand bezieht." — (p. 44,6:) „Aber gehört nicht das Brahman, sofern es etwas „wirklich Vorhandenes ist, allein in den Bereich der andern „Erkenntnismittel, und ist nicht folglich die Betrachtung der „Vedântaworte zwecklos? — Doch nicht! Denn da es kein „Objekt der Sinne ist, so würde sich sein [Kausal-]Nexus „mit der Welt nicht [mit Sicherheit] ergreifen lassen. Näm-„lioh: die Sinne haben ihrer Natur nach als Objekt die „Aufsendinge und nicht das Brahman. 'Wäre Brahman ein „Objekt der Sinne, so würde man die Welt als eine mit „Brahman verknüpfte Wirkung erfassen. Nun man aber die „Wirkung allein wahrnimmt, so läfst sich [ohne Offenbarung] „nicht ausmachen, ob sie mit Brahman oder vielleicht mit „sonst etwas [als Ursache] verknüpft ist [da dieselbe Wirkung „verschiedene Ursachen haben kann]."

Von der hier eröffneten Möglichkeit, die Reflexion zur Hilfe zu nehmen, wird nun von unserm Autor ein viel wei¬ter gehender Gebrauch gemacht, als es nach diesen Äufse-rungen scheinen möchte. Da sich an diese Seite des Werkes des Çankara für uns das Hauptinteresse knüpft, so werden wir seine endlosen Vedazitate möglichst übergehen, hingegen der philosophischen Reflexion unsere ganze Aufmerksamkeit zuwenden. Die Durchbildung derselben, wie sie uns in Çan-kara's Kommentar entgegentritt, mag selbst dafür sprechen, dafs wir es hier mit einem nicht blots theologischen, sondern auch in hohem Grade philosophischen Denkmale des indischen Altertums zu tun haben.

Siehe auch

Literatur

  • Vedanta für Anfänger von Swami Sivananda
  • Vedanta - Der Ozean der Weisheit von Swami Vivekananda
  • Paul Deussen: Das System des Vedanta, Elibron Classics, 2. Auflage, 1906.
  • Soami Divyanand: Vedamrit - Die Botschaft der Veden. ISBN 3-926696-03-6 (Übersetzung der Veden auf Deutsch, Bd. 1); ISBN 3-926696-13-3 (Bd. 2); ISBN 3-926696-26-5 (Bd. 3)
  • Wilfried Huchzermeyer: Die heiligen Schriften Indiens - Geschichte der Sanskrit-Literatur.(edition-sawitri.de) ISBN 3-931172-22-8
  • Moritz Winternitz: Geschichte der Indischen Literatur, Leipzig, 1905 - 1922, Vol. I - III. Reprint in englischer Übersetzung: Maurice Winternitz: History of Indian Literatur, Motilal Barnarsidass, Delhi, 1985, Vol I - III
  • Sri Aurobindo: Das Geheimnis des Veda, 2. Auflage 1997, Hinder + Deelmann, ISBN 3-873481-65-0
  • Lokamanya Bâl Gangâdhar Tilak: Orion ou Recherches sur l'Antiquité des Védas, Milan, Éditions Archè, 1989

Weblinks