Ohnmacht: Unterschied zwischen den Versionen
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Im letzten Abschnitt ging es darum, dass Gelassenheit eines meiner Lebensthemen war. Mein Wunsch, Gutes zu bewirken in dieser Welt war verbunden mit einem cholerischen Temperament und Ahimsa als Ideal. Ich wollte niemandem wehtun. Um mit diesen Voraussetzungen etwas zu bewirken, war meine erste Strategie, Beschränkung auf Weniges, das aber mit Vehemenz. Ich kam aber damit an Grenzen. Das hat dann geführt zum zweiten Teil meiner biografischen Entwicklung zum Thema Gelassenheit. Aus dem Gefühl, es gibt keine Gerechtigkeit in dieser Welt ergaben sich Abschalten der Gefühlsreaktionen und Rückzug. Dieses Gefühl von Ungerechtigkeit erlebte ich bewusst als Elf-, Zwölf, Dreizehnjähriger. Es gibt große Ungerechtigkeiten in der Welt, Holocaust, Kinder in Afrika, drohende Umweltzerstörung. Insbesondere die Filmserie Holocaust hatte mich sehr erschüttert. Auch Bilder im Fernsehen von verhungernden Kindern in Afrika oder von Naturkatastrophen ließen mich verzweifeln an meinem Glauben. Weder Pfarrer noch Eltern konnten eine befriedigende Antwort geben. Ich löste das erst mal, indem ich selbst persönlich sehr konsequent war. Also, Abschalten der Heizung in meinem Zimmer, Runterdrehen der Heizung im Haus, alles, um die drohende Umweltzerstörung abzubauen. Natürlich kam es deshalb zu Konflikten mit meinen Eltern. Ich spendete mein Taschengeld für „Brot für die Welt“, aber ich ging auch nicht mehr in die Kirche. Ich war Sohn reicher Eltern, andere hatten kaum etwas, meine Eltern besaßen viel. So hatte ich insgesamt ein schlechtes Gewissen. So kam ich zu der Strategie, Verzicht auf vieles. Ich wollte keinen besseren Lebensstil haben als andere. Zwar erzogen uns die Eltern durchaus so, dass wir ein einfaches Leben haben sollten. Es galt als Prinzip, wir sollten uns nichts leisten können, was sich der Durchschnitt unserer Klassenkameraden und Schulfreunde nicht leisten konnte, unser Taschengeld war eher im unteren Mittelfeld angesiedelt, aber ich wollte das noch etwas steigern. Ich kaufte mir nie Kleidung, wollte auch nie Kleidung haben, habe mich immer zur Wehr gesetzt, wenn meine Mutter mich neu einkleiden wollte. Ich habe mir selbst nie etwas gekauft von meinem Taschengeld, selbst das Essensgeld für das Mittagessen in der Schule habe ich normalerweise zur Hälfte gespart oder gespendet. Natürlich wurde mein Gerechtigkeitsdenken auch in der Familie immer wieder auf die Probe gestellt. Wir waren drei Jungs. Wir hatten zwar Eltern, die sich sehr bemüht haben, uns gerecht zu erziehen, aber gerecht kann es nie sein im Umgang mit Kindern. Mein Vater hatte öfters gesagt: „Es gibt keine Gerechtigkeit in dieser Welt.“ Das hat mich furchtbar geärgert. Auch habe ich Ungerechtigkeiten in der Schule gesehen. Und auch wenn ich manchmal erfolgreich war bei Streikorganisation oder bei Diskussionen mit Lehrern, manchmal entstand dieses unglaubliche Gefühl der Ohnmacht. Eine zweite Art Schlüsselerlebnis kam im Umgang mit meinem Pferd. Ich hatte das Ideal, mit meinem Pferd eins sein zu wollen, vollkommene Harmonie zu haben. Ich versuchte das beim Dressurreiten. Ich versuchte, telepathisch mit meinem Pferd zu kommunizieren und bis zu einem gewissen Grad gelang das auch. Ich hatte wunderschöne Ausritte mit intensiven Verbundenheitserlebnissen, auch Einheitserfahrungen. Ich kann sagen, ich hatte tiefe spirituelle Erfahrungen mit meinem Pferd. Ich arbeitete auch daran, meine Gedanken zur Ruhe zu bringen, denn ich wollte ganz eins sein mit meinem Pferd. Ich hatte so großartige mystische Erlebnisse. Aber ich hatte auch ein temperamentvolles Pferd, das selbst einen starken eigenen Willen hatte. Das hat mich dann öfter geärgert. Ich wollte freundlich sein zu meinem Pferd, wollte also meinem Ärger nie Ausdruck verleihen. Ich war ja tierlieb schon von Kindheit an, tötete keine Insekten, ich war Vegetarier geworden aus Mitgefühl mit Tieren. Aber es gab mehrere Situationen, in denen ich das Gefühl der Ohnmacht hatte. Das Pferd macht einfach nicht, was ich will. Ich wollte dem Pferd gegenüber gewaltfrei bleiben, hatte aber diesen furchtbaren Ärger, den ich kaum beherrschen konnte. Und ich hatte Angst davor, dass ich vielleicht irgendwann mal die Beherrschung verlieren würde und mein Pferd so behandeln würde, wie es nicht richtig wäre. Und ich dachte dann auch: „Aha, so kann sich Ärger anfühlen. Aus diesem Gefühl heraus werden Menschen gewalttätig sein. So will ich nicht sein.“ Und so kam ich zur Schlussfolgerung, wenn ich die Welt, die Menschen, das Pferd nicht ändern kann, muss ich mich selbst ändern. Wenn die Welt ungerecht ist und voller Leid, dann kann ich Ungerechtigkeit und Leid nicht abschalten. Ich muss mich selbst davon lösen. Ich muss selbst meinen Geist zur Ruhe bringen. Ich muss lernen, in der Ruhe zu sein, auch wenn ich das Gefühl von Ohnmacht habe. Auch beim Pferd muss ich lernen, ruhig zu bleiben, auch wenn ich manchmal nicht das tun kann, was ich tun will, und wenn das Pferd nicht das macht, was ich gerne mache. So arbeitete ich am eigenen Geist als Jugendlicher. Ich dachte, meinen Geist muss ich trainieren. Ich übte auch Konzentrationstraining an Hand von Büchern. Ich übte mit einem Buch ein Gedächtnistraining, positives Denken, Schnelllesekunst und las auch Bücher über Selbstbeherrschung durch. Auch die stoische Gelassenheit faszinierte mich. Also, Ruhe des Geistes schaffen. Tun, was zu tun ist, ohne zu überlegen, was ich mag oder nicht mag. Letztlich die emotionale Reaktion weitestgehend abschalten. Das führte bis zu einem gewissen Grad auch zum Rückzug aus der Welt, letztlich auch zum Rückzug aus meinen Freundschaften und Bekanntschaften. Irgendwo dachte ich, es ist jetzt erst mal wichtiger, dass ich selbst an mir arbeite, mich selbst zur Ruhe bringe und lerne, nicht das Gefühl von Ärger zu fühlen. Und tief im Inneren kam die große Überzeugung, es muss etwas anderes geben. Vielleicht ist einiges von dem, was ich eben beschrieben habe, auch in deiner Biographie wichtig gewesen. Eben das Gefühl der Ungerechtigkeit in der Welt, das Gefühl der Ohnmacht, das Gefühl, nicht das tun zu können, was eigentlich nötig ist. Und vielleicht bist du dort auch mal zum Schluss gekommen, dass es gut ist, zu lernen, deinen Ärger unter Kontrolle zu bringen. Vielleicht ist das sogar der Grund, weshalb du diesen Text jetzt liest. Ich selbst bin zwar bis zu einem gewissen Grad damals darin erfolgreich gewesen, meine Gefühlsreaktionen zu unterdrücken, aber ich war damit nicht zufrieden. Da blieb dann irgendwo eine Schalheit. Ist es ausreichend, einfach nur mich selbst ruhig zu machen, ohne dass ich viel ändern kann? Ist das wirklich ein Leben, das ausreichend intensiv ist? Und natürlich habe ich auch manchmal gemerkt, der Ärger ist trotzdem herausgebrochen, was mich dann noch ohnmächtiger gemacht hat. Vielleicht hast auch du das erfahren. Du kannst selbst überlegen, hattest du diese Strategie auch schon angewendet, wie erfolgreich war sie? Ist sie vielleicht bis heute bis zu einem gewissen Grad erfolgreich oder hat sie ihre Grenzen? | |||
Version vom 4. November 2014, 09:26 Uhr
Umgang mit Ungerechtigkeit und Ohnmacht
Niederschrift eines Podcasts (2014) von Sukadev <mp3player>http://sukadev.podspot.de/files/41_keine_gerechtigkeit-abschalten-rueckzug.mp3</mp3player>
Im letzten Abschnitt ging es darum, dass Gelassenheit eines meiner Lebensthemen war. Mein Wunsch, Gutes zu bewirken in dieser Welt war verbunden mit einem cholerischen Temperament und Ahimsa als Ideal. Ich wollte niemandem wehtun. Um mit diesen Voraussetzungen etwas zu bewirken, war meine erste Strategie, Beschränkung auf Weniges, das aber mit Vehemenz. Ich kam aber damit an Grenzen. Das hat dann geführt zum zweiten Teil meiner biografischen Entwicklung zum Thema Gelassenheit. Aus dem Gefühl, es gibt keine Gerechtigkeit in dieser Welt ergaben sich Abschalten der Gefühlsreaktionen und Rückzug. Dieses Gefühl von Ungerechtigkeit erlebte ich bewusst als Elf-, Zwölf, Dreizehnjähriger. Es gibt große Ungerechtigkeiten in der Welt, Holocaust, Kinder in Afrika, drohende Umweltzerstörung. Insbesondere die Filmserie Holocaust hatte mich sehr erschüttert. Auch Bilder im Fernsehen von verhungernden Kindern in Afrika oder von Naturkatastrophen ließen mich verzweifeln an meinem Glauben. Weder Pfarrer noch Eltern konnten eine befriedigende Antwort geben. Ich löste das erst mal, indem ich selbst persönlich sehr konsequent war. Also, Abschalten der Heizung in meinem Zimmer, Runterdrehen der Heizung im Haus, alles, um die drohende Umweltzerstörung abzubauen. Natürlich kam es deshalb zu Konflikten mit meinen Eltern. Ich spendete mein Taschengeld für „Brot für die Welt“, aber ich ging auch nicht mehr in die Kirche. Ich war Sohn reicher Eltern, andere hatten kaum etwas, meine Eltern besaßen viel. So hatte ich insgesamt ein schlechtes Gewissen. So kam ich zu der Strategie, Verzicht auf vieles. Ich wollte keinen besseren Lebensstil haben als andere. Zwar erzogen uns die Eltern durchaus so, dass wir ein einfaches Leben haben sollten. Es galt als Prinzip, wir sollten uns nichts leisten können, was sich der Durchschnitt unserer Klassenkameraden und Schulfreunde nicht leisten konnte, unser Taschengeld war eher im unteren Mittelfeld angesiedelt, aber ich wollte das noch etwas steigern. Ich kaufte mir nie Kleidung, wollte auch nie Kleidung haben, habe mich immer zur Wehr gesetzt, wenn meine Mutter mich neu einkleiden wollte. Ich habe mir selbst nie etwas gekauft von meinem Taschengeld, selbst das Essensgeld für das Mittagessen in der Schule habe ich normalerweise zur Hälfte gespart oder gespendet. Natürlich wurde mein Gerechtigkeitsdenken auch in der Familie immer wieder auf die Probe gestellt. Wir waren drei Jungs. Wir hatten zwar Eltern, die sich sehr bemüht haben, uns gerecht zu erziehen, aber gerecht kann es nie sein im Umgang mit Kindern. Mein Vater hatte öfters gesagt: „Es gibt keine Gerechtigkeit in dieser Welt.“ Das hat mich furchtbar geärgert. Auch habe ich Ungerechtigkeiten in der Schule gesehen. Und auch wenn ich manchmal erfolgreich war bei Streikorganisation oder bei Diskussionen mit Lehrern, manchmal entstand dieses unglaubliche Gefühl der Ohnmacht. Eine zweite Art Schlüsselerlebnis kam im Umgang mit meinem Pferd. Ich hatte das Ideal, mit meinem Pferd eins sein zu wollen, vollkommene Harmonie zu haben. Ich versuchte das beim Dressurreiten. Ich versuchte, telepathisch mit meinem Pferd zu kommunizieren und bis zu einem gewissen Grad gelang das auch. Ich hatte wunderschöne Ausritte mit intensiven Verbundenheitserlebnissen, auch Einheitserfahrungen. Ich kann sagen, ich hatte tiefe spirituelle Erfahrungen mit meinem Pferd. Ich arbeitete auch daran, meine Gedanken zur Ruhe zu bringen, denn ich wollte ganz eins sein mit meinem Pferd. Ich hatte so großartige mystische Erlebnisse. Aber ich hatte auch ein temperamentvolles Pferd, das selbst einen starken eigenen Willen hatte. Das hat mich dann öfter geärgert. Ich wollte freundlich sein zu meinem Pferd, wollte also meinem Ärger nie Ausdruck verleihen. Ich war ja tierlieb schon von Kindheit an, tötete keine Insekten, ich war Vegetarier geworden aus Mitgefühl mit Tieren. Aber es gab mehrere Situationen, in denen ich das Gefühl der Ohnmacht hatte. Das Pferd macht einfach nicht, was ich will. Ich wollte dem Pferd gegenüber gewaltfrei bleiben, hatte aber diesen furchtbaren Ärger, den ich kaum beherrschen konnte. Und ich hatte Angst davor, dass ich vielleicht irgendwann mal die Beherrschung verlieren würde und mein Pferd so behandeln würde, wie es nicht richtig wäre. Und ich dachte dann auch: „Aha, so kann sich Ärger anfühlen. Aus diesem Gefühl heraus werden Menschen gewalttätig sein. So will ich nicht sein.“ Und so kam ich zur Schlussfolgerung, wenn ich die Welt, die Menschen, das Pferd nicht ändern kann, muss ich mich selbst ändern. Wenn die Welt ungerecht ist und voller Leid, dann kann ich Ungerechtigkeit und Leid nicht abschalten. Ich muss mich selbst davon lösen. Ich muss selbst meinen Geist zur Ruhe bringen. Ich muss lernen, in der Ruhe zu sein, auch wenn ich das Gefühl von Ohnmacht habe. Auch beim Pferd muss ich lernen, ruhig zu bleiben, auch wenn ich manchmal nicht das tun kann, was ich tun will, und wenn das Pferd nicht das macht, was ich gerne mache. So arbeitete ich am eigenen Geist als Jugendlicher. Ich dachte, meinen Geist muss ich trainieren. Ich übte auch Konzentrationstraining an Hand von Büchern. Ich übte mit einem Buch ein Gedächtnistraining, positives Denken, Schnelllesekunst und las auch Bücher über Selbstbeherrschung durch. Auch die stoische Gelassenheit faszinierte mich. Also, Ruhe des Geistes schaffen. Tun, was zu tun ist, ohne zu überlegen, was ich mag oder nicht mag. Letztlich die emotionale Reaktion weitestgehend abschalten. Das führte bis zu einem gewissen Grad auch zum Rückzug aus der Welt, letztlich auch zum Rückzug aus meinen Freundschaften und Bekanntschaften. Irgendwo dachte ich, es ist jetzt erst mal wichtiger, dass ich selbst an mir arbeite, mich selbst zur Ruhe bringe und lerne, nicht das Gefühl von Ärger zu fühlen. Und tief im Inneren kam die große Überzeugung, es muss etwas anderes geben. Vielleicht ist einiges von dem, was ich eben beschrieben habe, auch in deiner Biographie wichtig gewesen. Eben das Gefühl der Ungerechtigkeit in der Welt, das Gefühl der Ohnmacht, das Gefühl, nicht das tun zu können, was eigentlich nötig ist. Und vielleicht bist du dort auch mal zum Schluss gekommen, dass es gut ist, zu lernen, deinen Ärger unter Kontrolle zu bringen. Vielleicht ist das sogar der Grund, weshalb du diesen Text jetzt liest. Ich selbst bin zwar bis zu einem gewissen Grad damals darin erfolgreich gewesen, meine Gefühlsreaktionen zu unterdrücken, aber ich war damit nicht zufrieden. Da blieb dann irgendwo eine Schalheit. Ist es ausreichend, einfach nur mich selbst ruhig zu machen, ohne dass ich viel ändern kann? Ist das wirklich ein Leben, das ausreichend intensiv ist? Und natürlich habe ich auch manchmal gemerkt, der Ärger ist trotzdem herausgebrochen, was mich dann noch ohnmächtiger gemacht hat. Vielleicht hast auch du das erfahren. Du kannst selbst überlegen, hattest du diese Strategie auch schon angewendet, wie erfolgreich war sie? Ist sie vielleicht bis heute bis zu einem gewissen Grad erfolgreich oder hat sie ihre Grenzen?