Divyavadana

Aus Yogawiki

Friedrich Wilhelm über das Divyavadana

Friedrich Wilhelm schreibt im Vorwort des Buches „Buddhistische Legenden“ von Heinrich Zimmer über das Divyavadana:

Im Sanskrit bedeutet divya »himmlisch« und avadana »Heldentat«. Avadana wurde zum Begriff für eine ganze Textgattung, die für uns Legenden sind, für die Buddhisten aber wahre erbauliche Geschichten. Ähnlich wie die Wiedergeburtsgeschichten (Jatakas) des Pali-Kanons gehen die Avadanas des Sanskrit-Kanons von einer Gegenwartsgeschichte aus: Der Buddha erzählt, was sich einmal in einer seiner früheren Existen¬zen begeben hat. In den Avadanas (vgl. die Geschichte von Upagupta) prophezeit er mitunter auch, was sich nach seinem Tode zutragen wird. Das Divyavadana ist eine Sammlung von 38 solcher Geschichten. Sie wurden 1886 von E. B. Cowell und R. A. Neil in Cambridge herausgegeben. Zimmer benutzte diese Ausgabe und bot »eine unvergleichliche Übersetzung« der Legenden XVIII (Dharmaruci, sprich: Dharmarutschi), XIX (Jyotiska, sprich: Dschyotischka), XX (Kanakavarna) und die Upagupta-Geschichte aus XXVI. Eine Übersetzung des gesamten Divyavadana liegt auch heute noch nicht in einer westlichen Sprache vor, aber zahlreiche Einzelstudien bezeugen das Interesse west-licher Gelehrter an dieser Sammlung, von der einzelne Teile schon im 3. Jahrhundert n. Chr. zunächst aus dem Sanskrit ins Chinesische und später auch aus dem Sanskrit ins Tibetische übertragen worden sind.

Der Schlüssel zum Verständnis der Avadana-Legenden ist das Gesetz des Karma. Der Buddhismus hat (wie die Religion der Hindus und der Jainas) die Überzeugung, daß der Mensch durch eine unendliche Zahl von Wiedergeburten gegangen ist und gehen wird, falls er nicht aus diesem Kreislauf (Samsara) befreit wird — durch das Nirvana (wörtlich »Verwehen«) bei den Buddhisten und Jainas, durch Moksa bei den Hindus. Alles Han¬deln bedeutet Karma, das die nächste Wiedergeburt bestimmt. Glück oder Unglück sind Resultate der Taten einer früheren Existenz. Die Wiedergeburtsreihe ist nicht auf die menschliche Existenz beschränkt. Durch ein schlechtes Karma kann der Mensch absinken zum Tier oder Höllenwesen, bis das schlechte Karma verbraucht ist. Umgekehrt kann er auch aufsteigen durch gutes Tun bis hinauf zum Gott, aber nur in seiner menschlichen Existenz bietet sich ihm die Möglichkeit, Erleuchtung (Bodhi) zu erlangen und damit ein Buddha zu werden, der ins Nirvana eingeht. Auch der (historische) Buddha (ca. 560-480 v. Chr.) hat seine Wiedergeburtskette durchlebt, an die er sich dank seiner übernatürlichen Fähigkeiten erinnern kann. Er erinnert sich, wer er in früheren Weltaltern gewesen ist, erinnert sich auch, was andere vor Zeiten waren und erlebt hatten. Schon in der Periode des Kleinen Fahrzeuges — wahrscheinlich schon im 3. Jahrhundert v. Chr. — hat der Buddhismus von acht Buddhas gesprochen: Von sechs Vorgängern und von einem Buddha in der Zukunft (Maitreya). Diese Lehre wurde in der Periode des Großen Fahrzeuges auf 24 (und mehr) Vorgänger erweitert. In der Legende von Dharmarutschi werden drei Buddhas der neuen Lehre genannt, darunter Dipankara, unter dem der (historische) Buddha zuerst die Weis-sagung erhielt, einmal ein Buddha zu werden. An solchen Details kann man erkennen, daß diese Legenden bereits zur Übergangsphase vom Kleinen zum Großen Fahrzeug gehören. In der Legende von Upagupta sehen wir eine entscheidende Neuerung gegenüber den Geschichten von den früheren Geburten des Buddha (Jatakas) des Pali-Kanons: der Buddha sieht voraus, was hundert Jahre nach seinem Nirvana geschieht: Upagupta wird dann aufgrund seines guten Karma ein Buddha werden. Hier handelt es sich tatsächlich um eine dem (historischen) Buddha nachträglich in den Mund gelegte Prophezeiung (ex eventu), denn Kaiser Asoka wurde auf seiner Wallfahrt vom Patriarchen Upagupta begleitet. Die Lehre von den acht bzw. vierundzwanzig Buddhas bezieht sich auf die Universal-Buddhas, die den Weg zur Erleuchtung verkünden, da¬neben kann jeder Mensch für sich ein Buddha werden.

Die buddhistischen Legenden überraschen durch die buntfarbene Vielfalt des Erzählten. Die Götter der brahmanisch-hinduistischen Gegenwelt (Chakra, Varuna, Shiva) gibt es noch, aber gegenüber der Heils-lehre des Buddhas sind sie zur Bedeutungslosigkeit abgesunken, und ihre Priester, die Brahmanen, sind den buddhistischen Mönchen unterlegen. Die altindische Lehre von den Weltaltern findet sich modifiziert auch bei den Buddhisten und spielt bei den »Rückblenden« auf frühere Existenzen eine wichtige Rolle. In Dschyotischkas Legende lernen wir die Höllen und Götterwelten kennen. Immer wieder geschieht Wunderbares. Die Geschichte von Dharmarutschi enthält einen ganzen Katalog von Wundern und Zeichen. Auch dem altindischen Alltag begegnen wir mit seinen Gildemeistern, Kaufleuten, Bettelmönchen, Prostituierten. Selbst die Könige haben mitunter menschlichen Zuschnitt, so phantastisch auch die Beschreibung ihrer Paläste sein mag. Der Bau eines Kuppelgrabes (Stûpa) für den frü-heren Buddha Kschemankara (Ksemaûkara), ist von kunsthistorischem Interesse. Die Beschreibung einer Hungersnot, so übertrieben sie klingt, war gewiss auch damals schon an rea¬len Erfahrungen zu messen. Sicherlich lag Veranlassung vor, den Mutter-Sohn-Inzest als Todsünde hervorzuheben, sonst wäre dieses Thema nicht so ausführlich behandelt worden (S. 6i ff., 8o). Die erste Legende beginnt mit einem Seefahrermärchen. Wir hören von Lockungen und Gefahren, von der Juweleninsel mit ihren narkotisierenden Früchten und männermordenden Frauen, die an Sirenen erinnern, auch wenn ihre Tötungsmethode bildhaft indisch mit dem Pressen des Somastengels verglichen wird. Vor dem allesverschlingenden Meerungeheuer rettet schließlich nicht die An¬rufung der alten Götter, sondern nur die des Buddha. Der buddhistische Kanon verbietet an mehreren Stellen, von Seeabenteuern zu erzählen. Dieses Märchen ist also nicht von Buddhisten ersonnen worden. Hier liegt eine Buddhifizierung vor. Durch die Technik, die Protagonisten eines Märchens als frühere Existenzen von »heute« lebenden Personen zu identifizieren, ließ sich jede Geschichte im buddhistischen Sinne umformen. Da jeder Mensch und auch der Buddha frühere Wieder-geburten als Tier haben konnte, ließen sich selbst Tiermärchen in Beziehung zum Buddha setzen (wie es in den Jatakas häufig geschehen ist). Auf- oder Abstieg wurde dann als Folge des guten oder schlechten Han¬delns in der früheren Existenz erklärt.

Mit der Kausalität des Karmas wurde eine Frage zu beantworten gesucht, die in der christlichen Religion (und in vielen anderen) nicht gestellt und nicht beantwortet wird. Wie erklärt sich die Chancenungleichheit der Menschen bei der Geburt? Warum wird dem einen Gesundheit und Reichtum schon in die Wiege gelegt, warum kommt der andere verkrüppelt und arm auf die Welt? Unsere jetzige Existenz ist durch das Karma der vorhergehenden erklärt, unser jetziges Tun bestimmt die nächste Wiedergeburt. Es blieb der Fabulierkunst der alten Buddhisten vorbehalten, dieses Gesetz des Karma an vielen Beispielen phantasievoll zu illustrieren.

Geschichte des Divyavadana

Im Westen hatte die Auseinandersetzung mit dem Buddhismus schon lange vor den zwanziger Jahren begonnen. Erste vage Berichte waren schon im 17. Jahr-hundert aus Siam und anderen Ländern des Fernen Orients gekommen. Kant konnte in seinen Königsberger Vorlesungen bereits Vorläufigkeiten über den Buddhismus mitteilen. Aber damals wusste man noch nichts über die großen Unterschiede zwischen dem südlichen und nördlichen Buddhismus, zwischen dem Kleinen Fahrzeug (Hinayana) und Großen Fahrzeug (Mahayana). Da der Buddhismus in seiner spirituellen Heimat Indien seit ca. I000 n. Chr. praktisch ausge-storben war, ging seine Erforschung im 19. Jahrhundert von Ceylon und Nepal aus. Zwei britische Beamte — George Tumour in Ceylon und Brian Houghton Hodgson in Nepal — berichteten in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts über den Kanon der Buddhisten. Dieser war auf Ceylon, wo er im 1. Jahrhundert v. Chr. in der Pali-Sprache aufgezeichnet worden war, vollständig erhalten. Später haben uns Childers, Rhys Davids u. a. diesen Kanon wissenschaftlich erschlossen. Karl Eugen Neumanns deutsche Übersetzung hatte auch Hesse gelesen. In Nepal hatte Hodgson Bruchstücke des Sanskrit-Kanons gefunden. Jahrzehnte danach brachten Funde in Gilgit (Kaschmir) und in Chinesisch-Turkestan mehr und mehr buddhistische Sanskrit-Handschriften ans Licht. Es war der Sanskrit-Kanon, der den chinesischen und tibetischen Buddhisten als Vorlage für Übersetzungen ins Chinesische und Tibetische gedient hatte. Als Vertreter der britischen Regierung am nepalesischen Hof in Katmandu hatte Hodgson auch Gelegenheit, solche Handschriften zu erwerben. Zu den Handschriften, die er 1837 der Pariser Société Asiatique zum Geschenk machte, gehört auch das Divyavadana, (zu dem die vorliegenden »Buddhistischen Legenden« gehören). Nun war die Zeit reif geworden für eine erste umfassende Darstellung des Buddhismus, für die »Introduction à l'histoire du Bouddhisme Indien« (Paris 1844). Ihr Verfasser, Eugène Burnouf, hatte in diesem bahnbrechenden Werk auch sieben Legenden des Divyavadana in französischer Übersetzungen vorgelegt. Richard Wagner kannte Burnoufs Veröffentlichung, und eine dieser Legenden ließ Wagner das Opernprojekt »Die Sieger« erwägen, an dem auch Ludwig II. von Bayern lebhaftes Interesse bekundete: »In einem sehr fesselnden Werk über Indien ... fand ich zu meinem freudigen Erstaunen jene so einfache und daher so erschütternde und tief rührende Erzählung, die Sie als Stoff zu den „Siegern“ benützen wollten. Sehr würde es mich schmerzen, wenn Sie, wie Sie einst sagten, dieses Werk ganz aufgegeben hätten ...« (Brief Ludwigs II. vom I5.6. 1870).

Literatur

  • Buddhistische Legenden von Heinrich Zimmer, Insel Verlag Frankfurt am Main, 1985, 1. Auflage

Siehe auch