Die Verwirklichung des Absoluten - Kapitel 3 - Das Bedürfnis nach ganzheitlicher Erkenntnis

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Die Verwirklichung des Absoluten - Kapitel 3 - Das Bedürfnis nach ganzheitlicher Erkenntnis -


Die Verwirklichung des Absoluten - Kapitel 3 - Das Bedürfnis nach ganzheitlicher Erkenntnis

Der innere Drang

Die Welt, wie sie erscheint, wird in Wirklichkeit als mangelhaft empfunden und ist somit unwirklich. Daraus resultiert das Bedürfnis nach Höherem Licht.

"Was ist DAS, wodurch, wenn ES erkannt wird, alles erkannt wird?"
-MUND.UPANISHAD, 1.1.3.
"Durch DAS wird das Ungehörte gehört, das Ungedachte gedacht, das Unverstandene verstanden."
-CHH.UPANISHAD, VI. 1.3.

Die Erkenntnis von ‘allem’ durch die Erkenntnis des Einen deutet daraufhin, dass alles aus diesem Einen gemacht ist. Dass das Missverständnis von den Dingen, die tatsächlich aus unterschiedlichen Naturen gemacht sein sollen, richtig gestellt werden muss, wird besonders durch den Widerwillen betont, der durch das Anhaften an die Vorstellung von der vielheitlichen Gegenwart der Wesen und der Leidenschaft, all das vollständig einzufangen, was existieren muss, aufsteigt. Mit dem Wachstum der Intelligenz wird das Individuum dazu gedrängt, die Ganzheit der Existenz auf einen Schlag zu erfassen. Dieser konstruktive Impuls ist angeboren und sowohl in dem instinktiven Verstand als auch in dem wissenschaftlichen Intellekt aktiv. Das Individuum ist ein Bewusstseinszentrum, das durch das Unvollständige der Begrenzung, der Geburt und des Wachstums, der Veränderung, des Verfalls und Todes charakterisiert ist. Der Gedanke ist zum Gegenständlichen gewordenes Bewusstsein. Je umfangreicher dieses gegenständliche Bewusstsein geworden ist, desto dichter ist die Unwissenheit, und desto drängender sind die erlittenen Schmerzen.

Die Wahrheit leuchtet nicht als die Wahrheit, was auf die inneren Instrumente, - die hemmenden psychologischen Abwandlungen, - zurückzuführen ist,. Das Überqueren der Barriere dieser begrenzenden Umstände führt scheinbar zu einer umfassenderen Wirklichkeit, einer größeren Freiheit und einem erfüllteren Leben. In jedem Wesen gibt es einen gemeinsamen Wunschimpuls nach immerwährender Existenz, nach Erkenntnis aller Dinge, über alles zu herrschen und sich der Höchsten Glückseligkeit zu erfreuen. Der Hinweis der Upanishaden, dass die Wahrnehmung der Mannigfaltigkeit der Pfad zur Selbstzerstörung ist, wird mit der Höchsten Ermahnung verziert, nämlich, dass (nur) die Wahrnehmung der Einheit zu dem erhabenen Zustand der Unsterblichkeit führt.

Angetrieben durch eine unmerkliche Kraft, fließt trotz all der individuellen Sehnsüchte dies zu verhindern, jede Form der Denkfähigkeit zur 'Erkenntnis der Unteilbarkeit der Existenz' und zum Auffinden des eigenen Selbst im Zentrum seiner eigenen Erfahrung. Es ist das Bestreben eines jeden Lebewesens, im wonnevollen Besitzstand des ewigen Lebens Ruhe zu finden, - und nichts weniger als das. Die Sorge des phänomenalen Lebens wurzelt im Festklammern am relativen Leben, durch die falsche Vorstellung gestärkt, dass Mannigfaltigkeit die Wahrheit ist. Die Freude am Übermaß immerwährenden Lebens kann durch das Abtrennen der Wurzel des individuellen Lebensbaumes mit der Axt der „ganzheitlichen Weisheit“ genossen werden. Der Marsch der Seele führt vom Falschen zum Wahren, vom Scheinbaren zum Wirklichen, vom Schatten zum Licht und vom Vergänglichen zum Immerwährenden.

"Führe mich vom Unwirklichen zum Wirklichen, von der Dunkelheit zum Licht und vom Tod zur Unsterblichkeit."
-Brih. Upanishad,1.3.28

Das Leben eines jeden ist gekennzeichnet durch den allgemeinen Charakter vom Ringen um unendliche Vollkommenheit. Dieses unendliche Sein ist die Höchste Wahrheit. Sie ist das Lebensziel aller. Die Upanishaden dehnen die Notwendigkeit des Erwerbs dieses ganzheitlichen Wissens von der Wirklichkeit auf hundertfache Weise aus. Es gibt (im Vergleich) zur Erkenntnis Atmans nichts Größeres oder Gleichwertiges.

(Atmalabhat Na Param Vidyate).
"Dieser Atman, der frei vom Bösen ist, unzerstörbar, unsterblich, sorgenfrei, ohne Hunger und Durst, dessen Verlangen die Wahrheit und dessen Wille die Wahrheit ist, - DAS sollte erforscht werden, DAS sollte erkannt werden. Derjenige erhält alle Welten und alle Wünsche, der diesen Atman erkannt und verwirklicht hat."
-Chh. Upanishad, VII.7.1.
"Erkenne DAS, erkenne Brahman."
-Tait. Upanishad, III.1.
"Zum Zweck der Erkenntnis von DEM, sollte man, mit Brennholz in der Hand, zu einem Spirituellen Lehrer, der die Schriften kennt und in Brahman ruht, gehen."
-Mund. Upanishad, 1.1.12.

Das Ziel des Lebens

Der Zweck des Lebens auf Erden beruht in der Verwirklichung dieser gewaltigen Tiefe des Seins aller Wesen, ohne die das Leben misslingt.

"Wenn einer hier ES erkennt, dann ist er tatsächlich am Ende aller Bestrebungen angelangt. Wenn einer hier ES nicht erkennt, dann ist das ein großer Verlust für diesen Menschen. Wenn ES in jedem einzelnen Wesen erkannt wird, dann wird der aus dieser Welt scheidende Weise unsterblich."
-Kena Upanishad, II.5.

Dieser Ausspruch ist ein ernstzunehmender Vorwurf an all jene, die sich hin- sichtlich der Verwirklichung der Wahrheit nicht anstrengen und voranschreiten.

"Jene Welten werden gottlos genannt, die mit Dunkelheit bedeckt sind und zu denen all jene im Tod gehen, die die Mörder des Selbst sind."
-Isha. Upanishad, 3

"Derjenige, der von dieser Welt scheidet, ohne das unzerstörbare Sein erkannt zu haben, ist bedauernswert. -Brih. Upanishad, III.8.10.

Der Lehrer des Brahmavidya (Göttliches Wissen) wird mit glühenden Worten gepriesen:

"DU bist wahrlich unser Vater, der DU uns, weg von der Unwissenheit, an das andere und gesegnete Ufer (der Erkenntnis) gebracht hast."
Prashna Upanishad, VI.8. 

Die Liebe zum Ewigen ist die innerste Leidenschaft, die in den Herzen aller Wesen brennt. Wo dies nicht erkannt wird, muss gelitten werden. Wenn wir uns von der Einen Wirklichkeit abwenden, öffnen wir die Tür zur Einkerkerung von uns Selbst. Nichts Erreichbares, weder auf Erden noch im Himmel, auch keine Größe, die zur Welt der Namen und Formen gehört, ist es wert, berücksichtigt zu werden. Die Liebe des Lebens gründet auf der Liebe des Selbst (zu sich Selbst).

"Wahrlich, nicht für alles (in der Welt) ist mir das alles lieb (und teuer), sondern für die Liebe des Selbst ist mir das alles lieb."
-Brih. Upanishad II.4.5.

Alle Handlungen werden dem Selbst zuliebe vollzogen und nicht für äußere Personen und Dinge. Es ist nicht das Vorhandensein von Freude in den Objekten, die dem sich erfreuenden Individuum die Freude bringt, sondern das abkühlende Feuer des Verlangens, das durch seinen Kontakt mit einem bestimmten Objekt hervorgebracht wird, welches eigens durch diese spezielle Verfahrensweise des Wunsches, der im Ich-Bewusstsein entsteht, gefordert wird. Das Zufriedenstellen wird durch einen vorübergehenden Rückzug des Denkorganes zum Selbst verursacht. Die Gesamtheit der Glückseligkeit in dieser Welt ist negativ, - das Vermeiden alles Unerfreulichen und keineswegs der Gewinn irgendeiner wirklichen, positiven Freude. Diese positive Wonne wird allein im Selbst, der Wurzel der Existenz, gefunden. Die ganze Geschäftigkeit im Leben ist ein Ringen als Antwort auf den Schrei des ängstlichen Ego', das sich selbst in der Wildnis seiner Abgeschiedenheit vom ewigen Prinzip verloren hat. Das leidende Selbst, in den irdischen Fesseln des Lebens gefangen, wird durch das Wissen um die nicht-duale Natur der Existenz freigekauft.

Die große Verleugnung und Suche

Die Wahrheit wird von einem goldenen Gefäß verdeckt. Das Individuum wird von den Erscheinungen der Formen der Natur getäuscht. Dieses Gefäß zu entfernen und die Wahrheit zu entblößen ist die Aufgabe des Suchers nach Vollkommenheit. Der Feuereifer eines Nachiketas (Gestalt aus der Katha Upanishad) wird von jedem spirituell Strebenden erwartet.

"Kurzlebig sind diese sterblichen Dinge! Sie zehren die Lebenskraft aller Sinne aus. Selbst ein langes Leben ist tatsächlich sehr gering! DIR (Tod) gehören die Körper, der Tanz und das Lied! ... Was ist mit dem Höchsten,- erzähle mir davon; Nachiketas wählt nichts geringeres als DAS!"
-Katha Upanishad, 1.26,29.

Das wunderbare Streben nach der Wahrheit, welche uns von den Upanishaden beschrieben wird, spricht von der großen Ausdauer einiger Seelen im Bestreben um die Rückgewinnung des verlorenen Königreiches, um das Abstreifen von den Übeln des Lebens, um das Zentrieren ihrer selbst in der bewussten Fülle, - dem Geburtlosen, Unsterblichen und Unschätzbaren Sein. Wir hören von der bewundernswerten Geduld der Schüler, die gemeinsam ein hartes und abgeschiedenes Leben der völligen Enthaltsamkeit führten, um so in die geheimnisvolle Wahrheit der Wahrheiten eingeweiht zu werden. Indra (Sonnengott) selbst verweilte 101 Jahre als Schüler mit Prajapati, um dann von seinem Lehrer die Einweihung zu erhalten. Die Natur der völligen Verleugnung von persönlichen Interessen, sozusagen eine glaubhafte Selbstvernichtung als notwendige Vorbedingung für den Erwerb der Selbst-Erkenntnis, deutet ausreichend auf die Natur der Vollkommenheit des Zieles hin, das vor uns liegt, - die Freiheit und Freude, die das begrenzte Leben des Individuums ersetzen.

Selbst Devarshi Naradas (Götterbote) Wissen wird von Sanatkumara mit der Bemerkung, dass dies nur "bloße Namen, bloße Worte" seien, abgetan. Narada überreichte ihm eine lange Liste all jener Wissensbereiche, in denen er ausgebildet war. Er beschwor Sanatkumara, ihn zu belehren:

"O Bhagavan, Einzigartiger, gelehrt in der heiligen Überlieferung, ich kenne den Atman nicht. Von Leuten wie Dir, O Bhagavan, habe ich schon gehört, dass derjenige, der Atman kennt, alle Sorgen überwindet. Ich bin ein solcher, O Bhagavan, der in Sorge ist. Möge mich Bhagavan, der ich ein solch Sorgenvoller bin, zum anderen Ufer (des Wissens) führen."
-Chh. Upanishad, VII.1.3.

Selbst die höchste intellektuelle Wahrnehmung gehört lediglich zum Reich der Relativität. Kein menschliches Wesen kann den Anspruch erheben, allwissend zu sein, und so gibt es hier (auf Erden) auch keine Gelegenheit, sich seiner Verdienste zu erfreuen oder sich ihres Verlustes wegen zu grämen. Dies hier ist nicht das WIRKLICHE; nur DAS allein kann die Seele von den Sorgen befreien. Selbst der Tod ist kein Hindernis im Prozess der Wahrheits-Verwirklichung. Der Tod ist eine Umstellung des Bewusstseins zum Zweck der Anpassung an einen abweichenden Lebensstand. Die Liebe zur Selbst-Erkenntnis sorgt sich nicht um solch unbedeutende Phänomene wie Geburt und Auflösung des Körpers. Das Bedürfnis nach Höherer Erleuchtung ist ein ernsterer Gegenstand als die Geburt und der Tod einer (körperlichen) Hülle, so dass dem Streben nach dem Absoluten selbst die liebsten Objekte angesichts der größten Schmerzen und Verluste, die jemandem in dieser Welt zustoßen können, furchtlos geweiht werden. Es ist ein Fehler, sich für die verschiedenen Formen der Wahrnehmung in den mannigfaltigen Kategorien der relativen Erfahrung zu interessieren. Nichts ist auch nur einen Augenblick der Aufmerksamkeit wert, außer der Verwirklichung Brahmans. Die angenehmste und süßeste Freude, die im Kontakt des Subjektes mit dem Objekt beruht, ist lediglich ein 'Bauch voller Schmerzen'; sie sollte der, im absoluten Sinne, wahren Wonne zuliebe vermieden werden.

"Das Gute ist das eine und das Angenehme ist das andere... Beide, das Gute und das Angenehme berühren einen Menschen. Prüfend unterscheidet der Weise diese beiden und wählt das Gute eher als das Angenehme; der verwirrte Mensch (dagegen) wählt das Angenehme und verfehlt damit sein Ziel."
-Katha Upanishad, II. 1,2. 

Die Wunschzentren bewegen sich von einem Objekt zum anderen und der Freudensucher verbleibt stets in Unruhe. Die Kette der Seelenwanderung besteht ununterbrochen und wird durch zusätzliche Wünsche, von deren Erfüllung dummerweise Befriedigung erhofft wird, noch gestärkt. Inmitten von Unwissenheit und Dunkelheit, eingebildet, sich gelehrt fühlend, sucht das Individuum in den Sinnesobjekten, die andauernd die Formen und Eigenarten wechseln, den Frieden. Der objektive Wert in einem Objekt ist eine Erscheinung, hervorgerufen durch die formgebende Kraft des trennenden Willens, nämlich, sich selbst zu individualisieren und durch äußeren Kontakt zu vervielfältigen. Die Natur dessen, was wahrgenommen wird, wird stark durch die Natur dessen, was wahrnimmt, beeinflusst. In dem Moment, wo sich die Form des Wunsches verändert, scheint sich das Objekt ebenfalls zu verändern, um sich so den Forderungen des Bewusstseinszentrums, das den Wunsch im voraus projiziert, anzupassen. Was immer wir wünschen, das allein sehen und erhalten wir. Gemäß den Erfahrungen des Individuums kann nichts anderes im objektiven Universum existieren als das, was von dem Individuum in seinem gegenwärtigen Zustand der Selbst-Evolution gefordert wird, um die notwendigen Umformungen in sich selbst zum Zweck der Verwirklichung eines höheren Bewusstseins von der Existenz zu bewirken. Die Erkenntnis dieser Tatsache des Lebens lässt jemanden aus seinem Dämmerschlaf erwachen und danach streben, den Höhepunkt der Erfahrung, wo jede weitere Transzendenz der Zustände aufhört, zu erreichen.