Selbstmitgefühl

Aus Yogawiki

Selbstmitgefühl -


Selbstmitgefühl

Vayu Mudra aus Yoga Sicht

- Ein Beitrag aus dem Yoga Vidya Journal Nr. 41, II/2020 von Shambavi Mareike Hansen -

„Wenn du beginnst, dein Herz zu berühren oder es berühren zu lassen, dann beginnst du zu entdecken, dass es bodenlos ist, dass es keine Grenzen hat, dass dieses Herz riesig, unendlich und grenzenlos ist. Du beginnst zu entdecken, wie viel Wärme, Freundlichkeit und Platz es dort gibt.“ (Pema Chödrön)

Selbstmitgefühl ist die Fähigkeit, mit sich selbst liebevoll umzugehen

Ein kleines Mädchen fragte mich: „Was arbeitest du?“ „Ich helfe Menschen dabei, sich wieder lieb zu haben“, war meine Antwort. Seit knapp 20 Jahren begleite ich Menschen auf dem Weg der Selbstwerdung und der Heilung. Das Vermitteln der Fähigkeit, mit sich selbst liebevoll, einfühlsam und nachsichtig umzugehen, ist für viele Menschen der erste Schritt, eine stabile Basis, auf die viele andere Wachstumsschritte aufbauen können.

Menschliche Wesen sind mit der Fähigkeit zu lieben geboren, dem göttlichen Funken in uns, der erweckt werden möchte. Erst, wenn ich gelernt habe, mich selbst zu lieben, kann ich ein Licht für andere sein, bin fähig, bedingungslos zu lieben. Im Lauf der Zeit kann ich diese bedingungslose Liebe auf alle Wesen übertragen. Selbstmitgefühl hat nichts mit Egoismus zu tun. Es geht um Wachstum und Selbstwerdung. Letztlich wird das „Ich“ sogar zur Nebensache, denn wo Liebe ist, da gibt es kein „Ich“. „Wende dich niemals von der Liebe ab, nicht einmal von der Liebe in Menschenform, denn die Liebe allein wird dich von dir selbst befreien.“ (Sufi-Heiliger Jami)

Selbstmitgefühl bedeutet, tatkräftig Verantwortung für die eigene Entwicklung zu übernehmen, mit dem Ziel, die Person zu werden, die wir wirklich sind. Du kannst dich jetzt entscheiden, dorthin zu wachsen. Für die Etablierung dieser Haltung bedarf es einige Wochen täglicher Praxis.

Selbstmitgefühl, ich mag dieses Gefühl, wenn mein Herz, mein ganzes Wesen, wie von einem warmen Mantel umhüllt ist und ich mich verbunden fühle mit allen Wesen.

Dieses Gefühl kann ich in mir selbst aufbauen: Ich stelle mir vor, mein geistiger Lehrer oder der liebste Mensch der Welt sitzt mir gegenüber und blickt mich mit Augen voller bedingungsloser Liebe an. Während er mich so anschaut, versuche ich das Gefühl im Herzen zu spüren und zu halten, mein Herz badet in diesem Gefühl.

Meine tägliche Übungspraxis, die Basis für einen guten Tag, ist die Wunschmeditation der liebenden Güte: „Möge ich stets von liebender Güte umhüllt sein, möge ich mich in Körper und Geist wohlfühlen, möge ich von äußeren und inneren Gefahren geschützt sein, möge ich zufrieden und glücklich sein.“ Diese Meditation verbinde ich mit dem Mantra „Om mani padme hum“. Das bedeutet, „Das Göttliche wohnt im Zentrum meines geöffneten Herzens“. Es ist das Mantra des Buddhas des Mitgefühls, Avalokiteshwara .

Mich und andere besingen ist mein kraftvollstes und heilsames Geschenk. Der Klang verändert die eigene Chemie und wirkt auf den Emotionalkörper. Der Körper schüttet das „Liebeshormon“ Oxytocin aus.

Etabliert sich Selbstmitgefühl, wird deine Grundhaltung positiv sein, du bewältigst Krisen besser und spürst deutlich mehr Lebensfreude.

Auf dem Weg der Heilung ist es wichtig, alle Gefühle zuzulassen, mit dem Wissen, dass es keine schlechten Gefühle gibt. Sie sind alle unsere Lehrer und begleiten uns eine Zeit lang.

Schmerzvolle biografische Erfahrungen führen dazu, dass wir Schutzwälle (Blockaden) in unserem Körper aufbauen. Ähnlich wie im Märchen vom eisernen Heinrich. Liebe und andere Gefühle können nicht mehr frei fließen, wir schneiden uns regelrecht vom Lebensfluss ab.

Es ist nicht möglich, unerwünschte Gefühle dauerhaft zu unterdrücken, sie brauchen Raum und unsere Fürsorge. Das Leid, die Depression, die Trauer: „Bewirte sie wie Gäste in einem Gasthaus und frage sie, was sie brauchen“, würde der Dichtermystiker Rumi dazu sagen. Ich rege an, mit den Gefühlen ins Zwiegespräch zu gehen. Selbstmitgefühl schließt Selbstannahme ein, die radikale Akzeptanz unseres Seins, mit allen vermeintlichen Schwächen und den Aufbau von Fehlertoleranz. Denn wenn Liebe auf Leid trifft, entsteht Mitgefühl.

Oft ist es so, dass wir in den Angriff oder den Rückzug gehen, wenn wir verletzt worden sind. Selbstmitgefühl erfordert eine neue, tatkräftige Haltung. Ich bin Tröster und zu Tröstende zugleich: Selbstmitgefühl bedeutet, liebevoll mit sich selbst zu sprechen, so wie ein guter Freund das tun würde.

Sich selbst umarmen, wenn es besonders schlimm ist. Mir hilft das folgende Mantra: „Dies ist ein Moment des Leidens. Leiden gehört zum Leben. Möge ich in diesem Moment liebevoll zu mir sein. Möge ich mir selbst das Mitgefühl schenken, das ich brauche.“

„Wenn du gut mit Leid umgehen kannst, hast Du es leichter im Leben“, hat mich mein Lehrer gelehrt.

Die Gedanken bestimmen das Sein und sind die mächtigste Kraft im Universum

In Leistungsgesellschaften ist die Stimme des inneren Kritikers oder des Perfektionisten weit verbreitet:

„Ich bin nicht liebenswert, nicht gut genug“, sind klassische Sätze des inneren Kritikers. Sie lösen negative Gefühle aus. Das Umformulieren derartiger „Giftsätze“ ist der Ausweg aus der Spirale: Jeden Giftsatz streiche ich gedanklich mit einem schwarzen Stift durch. Einen neuen, wertschätzenden Satz halte ich schriftlich fest. So wird meine „Festplatte“ neu „programmiert“.

Wenn die kritische Stimme ruhig ist, kommst du in Kontakt mit deiner Einzigartigkeit, deinen vielen Fähigkeiten und Potentialen, Beziehungen zu anderen Menschen werden intensiver.

Konkurrenzdenken ist heute weit verbreitet. An dieser Stelle kannst du entscheiden, was dir wichtiger ist, Perfektionismus oder Menschlichkeit? Viele Menschen, die ich beim Wachstum begleitete, haben folgendes Mantra erhalten: „Ich bin richtig, ich bin wichtig und ich bin es wert geliebt zu werden.“ Nach drei Monaten Übung wurde dieser Satz für viele Wirklichkeit.

Du kannst dich jetzt entscheiden, bedingungslos zu lieben. Dein Geschenk für diese Welt.