Das psychische Erleben bei der Rezitation eines persönlichen Sanskritmantras und seine Auswirkungen auf das Verhalten im Alltag

Aus Yogawiki

Danksagung

Ich möchte mich für die fachliche Betreuung und das Interesse an dieser Pilotstudie bei Herrn Prof. Dr. Hannes Stubbe bedanken. Dann möchte ich meiner Familie, meinen Freunden und all den Menschen danken, die mir in dieser Zeit Anregungen und Hinweise gegeben und mich auch psychisch während dieser Zeit des Projektes „Diplomarbeitschreiben“ unterstützt haben.

Auch möchte ich an dieser Stelle dem Satyananda Yoga Zentrum e.V. Köln und hier insbesondere Swami Prakashanandaji für die Überlassung von Literatur und für hilfreiche Literaturhinweise danken, ebenso den Devotees vom Hare Krishna Tempel Köln, insbesondere Aksara Das, um Interviewpartner für o.g. Fragestellung zu finden, sowie Devotees auf Goloka Dham, Abentheuer, den Devotees vom Yoga Vidya Zentrum Köln und dem Yoga Vidya Ashram in Oberlahr/Westerwald.

Mein besonderer Dank gilt meinem Lehrer Yogi Hari, durch den ich selber die heilsame Wirkung von Mantras immer wieder erfahren durfte und der mir die Inspiration für dieses Thema gegeben hat und mich darin unterstützt hat es auch wirklich anzugehen. Ihm möchte ich auch für die hilfreichen Literaturhinweise, wertvollen Informationen zur Definition von Mantras danken sowie meinem Musiklehrer Biswabrata Chakrabarti für die Gespräche zu o.g. Thema.

Schließlich möchte ich auch allen InterviewpartnerInnen an dieser Stelle nochmals danken für ihre Zeit, ihre Offenheit und ihr Vertrauen, mir ihre Erfahrungen zu o.g. Fragestellung mitzuteilen.

Einleitung

Persönliche Hinführung zur Fragestellung

Viele verbinden Mantras mit Zauberformeln und häufig werden sie auch mit Hokuspokus gleichgesetzt. In einem Gespräch zwischen einem chinesischen Mönch und dem Autor Blofeld erklärt der Mönch „Gewöhnliche Leute, Ah Jon, benützen Mantras als Zauberformeln, um Glück zu haben oder Krankheit und anderes Unheil abzuwehren. Vielleicht haben sie ganz recht damit, da die Mantras oft Erfolg haben, aber ich verlange nicht, dass du das glaubst. Was ich dich bitten möchte zu glauben, ist, dass sie die größte Hilfe auf dem Weg zur Veränderung des Bewusstseins sind. Sie bewirken das, indem sie deinen Geist zur Ruhe bringen, anstatt dass er hinter Gedanken herjagt.“ (Blofeld, 1988, S. 27)

Wenn ich also diese Arbeit dem psychischen Erleben der Rezitation eines persönlichen Sanskritmantras und seinen Auswirkungen auf das Verhalten im Alltag, widme, so bin ich mit meinem Forschungsgegenstand persönlich sehr verbunden. Vor ca. 4 Jahren bin ich durch ein Wochenende im Yoga Vidya Ashram[1] im Westerwald zum ersten Mal mit Mantrasingen in Kontakt gekommen. Diese Gesänge waren zwar zunächst fremd, haben mich aber direkt sehr berührt und klangen noch als Ohrwurm weiter nach, wie das auch mit weltlicher Musik der Fall ist.

Später habe ich dort meinen Lehrer Yogi Hari getroffen, der mich im Juni 2001 in ein persönliches Mantra eingeweiht hat. Seitdem hat sich mein Leben sehr verändert, insgesamt ist mein Leben freudiger, positiver und intensiver geworden. Der Austausch mit Menschen ist liebevoller geworden. Egal wie schwierig auch Lebenssituationen sein mögen, das Mantra verhilft immer wieder zu Zuversicht und Hoffnung.

Da ich selber unter depressiven Verstimmungen seit meiner Jugendzeit gelitten habe, kann ich sagen, dass diese Verstimmungen seitdem sehr stark zurückgegangen sind. Natürlich hängen sie nicht nur mit der Mantrarezitation zusammen, sondern mit einem insgesamt anderen Lebensstil, in dem spirituelles Wissen und Erfahrung anderer Bewusstseinsbereiche eine Rolle spielen.

Anhand dieser Pilotstudie wollte ich erforschen, wie es anderen Menschen in Deutschland geht, die auch diese Meditationsform gewählt haben. Somit bin ich als Feldforscherin an die Arbeit gegangen.

Zu den meisten (17 von 20) der Interviewpartner/innen waren persönliche Kontakte vorhanden oder sie waren entfernt bekannt. Ich wollte in dieser Pilotstudie erfahren, ob sich bei anderen auch diese heilsame, positive Veränderung durch die Mantrarezitation einstellt, wie ich sie selber erfahren durfte, nämlich mehr Freude, mehr Verbundenheit mit anderen Menschen, mehr Verbindung zu Gott, einer höheren Realität oder wie immer man dies bezeichnen will. Dabei ist mir bewusst, dass die Mantrarezitation auch nur ein Teilaspekt einer spirituellen Disziplin ist, des Yoga.

Gleichzeitig ist das Thema insofern auch eine Herausforderung, da es in den Bereich des Yoga fällt und damit in einen religionspsychologischen Bereich, der sich mit dem Irrationalen[2], dem Transzendenten[3] befasst. Unter Empirie wird alles erfahrungswissenschaftlich Messbare bezeichnet. Das was empirisch nicht erfassbar, über-sinnlich und in einen transpersonalen Bereich reicht, wird mit Transzendenz bezeichnet. (vgl. Utsch, 1998) Das bringt jedoch die Schwierigkeit mit sich, dass es zur Natur des Themas gehört, die Polarität zwischen Religiosität als nur subjektiv vermittelbarer Erfahrung und Psychologie als objektiv überprüfbarer Wissenschaft eine Gratwanderung nötig macht. Um diese Gratwanderung geht es in dieser Arbeit.

Die theoretische Annäherung an dieses Thema erfolgte aus einer etischen Perspektive, d.h. also der wissenschaftlichen Außenansicht gemäß des kognitionspsychologischen Ansatzes sowie der wissenschaftlichen westlichen Literatur, sowie andererseits einer emischen Perspektive, d.h. unter Berücksichtigung der Sicht der Kulturangehörigen selber unter Einbeziehung der Samkhya Philosophie, den Yoga-Sutren des Patanjali sowie den Schriften von Heiligen Indiens.

Die Fragestellung, wie sich die Rezitation eines persönlichen Sanskritmantras auf das Erleben und das Verhalten im Alltag auswirkt, fällt in den Bereich der Religions- sowie auch Ethnopsychologie. Zunächst möchte ich diese Begriffe definieren und dann meine Einordnung zu diesen beiden Teildisziplinen der Psychologie darlegen.

Zum Begriff der Religionspsychologie

Im Wörterbuch der Religionspsychologie wird sie als diejenige psychologische Disziplin verstanden, die Religion erforscht, und zwar unter dem Anspruch und mit den Mitteln der Wissenschaft Psychologie. Sie stellt keinen Zweig der Theologie dar und verhält sich weltanschaulich neutral. (Dunde, 1993, S. 235)

Religionspsychologie beschäftigt sich mit der Frage, was Religion unter psychologischen Gesichtspunkten darstellt. Sie erforscht die Komplexität persönlichen Glaubens, untersucht die Quellen religiöser Impulse, Bedürfnisse, religiösen Ausdrucks und Verhaltens. Dabei beobachtet sie, wie sich Menschen auf ihren Glauben beziehen, wobei entweder äußeres Verhalten oder auch innere Erfahrungen in den Blick genommen werden. (a.a.O.)

Wie jede Wissenschaft hat auch die Religionspsychologie das Ziel, durch widerspruchsfreie und überprüfbare Aussagen ein wissenschaftlich abgesichertes, möglichst „wahres“, unverzerrtes Modell von einer sich ständig ändernden Wirklichkeit zu konstruieren. Nicht alle seelischen Aspekte des Menschen sind aber quantifizierbar, rational begründbar und beeinfluss- und vorhersagbar.

Zum Begriff der Ethnopsychologie

Im Dorsch heißt es dazu Völkerpsychologie, Ethnopsychologie, die mit den psychischen Aspekten und Befunden der Völkerkunde (Ethnologie = vergleichende, Ethnographie = beschreibende Völkerkunde) befasste Psychologie. Völkerpsychologie ist alles, <was im Leben der menschlichen Gemeinschaft geistiger Natur ist>.

Elemente des Volksgeistes sind : Sprache, Mythologie, Religion, Kultur, Folklore, Schrift, Kunst und das praktische Leben mit der Entwicklung von Sitte, Moral und Recht; <das allen einzelnen Gemeinsame der inneren Tätigkeit>. (Dorsch, 1998)

Einordnung der Arbeit in die Religions- und Ethnopsychologie

Da diese Arbeit dem psychischen Erleben der Mantrarezitation und den Auswirkungen auf das Verhalten im Alltag gewidmet ist, lässt sich die Arbeit sowohl in die Religionspsychologie als auch Ethnopsychologie einordnen. Einerseits zur Religionspsychologie, da das Rezitieren eines Mantras eine religiöse Handlung darstellt, die eine Verbindung zu einer höheren Macht, Gottheit oder wie immer man dies nennen mag herstellt und sie in ein religiöses Philosophiesystem eingebettet ist.

Andererseits zur Ethnopsychologie, da die Sanskritmantras der indischen Kultur entstammen und nun kulturübergreifend von in Deutschland aufgewachsenen Erwachsenen rezitiert werden.

Inhaltliche Übersicht der Arbeit

Wie in der Einleitung bereits beschrieben, handelt es sich bei der vorliegenden Diplomarbeit um eine Feldstudie eingebettet in die Religions- und Ethnopsychologie. Im zweiten Kapitel wird auf die Begriffe Kultur und Religion allgemein und im Anschluss daran insbesondere auf die Hinduistische Kultur und Religion eingegangen, da die persönlichen Sanskritmantras, die in dieser Arbeit Untersuchungsgegenstand sind, dort beheimatet sind. Im dritten Kapitel gehe ich auf die verschiedenen Yoga-Wege ein, die mit Mantra Yoga in Zusammenhang stehen. Daran schließt sich dann Kapitel vier zu Mantra-Yoga an. Dieses Kapitel liefert die Grundlagen zum Mantra Yoga und geht dabei auf die Defininition, die Etymologie, die Sprache der Mantras, ihre Qualitäten, ihre Anwendung, ihre Verbindung mit Kirtan, ihre Bedeutung innerhalb der Yoga Wege, ihrer Wirksamkeit ein. Daran schließt sich dann das Kapitel zum Gebet an, denn es bleibt anhand der Forschung umstritten, ob ein Mantra auch ein Gebet ist. Darauf folgt im sechsten Kapitel Definitionen zur Meditation, da die Rezitation eines Mantras eine Form von Meditation darstellt. Das siebte Kapitel ist der Verbindung von Yoga und Psychologie gewidmet. Es geht auf die Samkhya Philosophie seinem Menschenbild, seinem Störungskonzept und seinem Behandlungsansatz ein sowie dem kognitionspsychologischen Ansatz, seinem Menschenbild, seinem Störungskonzept und Behandlungsansatz. Der theoretische erste Teil wird mit dem achten Kapitel zum Stand der Forschung abgeschlossen.

Im zweiten Teil der Arbeit wird die empirische Untersuchung schrittweise vorgestellt. Zunächst erfolgt im neunten die angewandten Methoden. Als Grundlage wird die Zielsetzung und Fragestellung dieser Arbeit, das Untersuchungsdesign, die Stichprobe und eine soziodemographische Beschreibung der Stichprobe vorgestellt. Es geht weiter mit den Untersuchungsverfahren, die sich in das Datenerhebungsverfahren, das Datenaufbereitungsverfahren und das Datenauswertungsverfahren gliedern. Das zehnte Kapitel widmet sich der Darstellung der Ergebnisse. Hier werden die einzelnen Auswertungskriterien als Unterpunkte aufgeführt, die anhand der Interviews entwickelt wurden. Das elfte Kapitel versucht eine Interpretation der Ergebnisse unter besonderer Berücksichtigung der Samkhya Philosophie und der Kognitionspsychologie. Daran schließt sich im zwölften Kapitel die Diskussion, das dreizehnte Kapitel mit einem Ausblick ab. Abgerundet wird die Arbeit mit einer abschließenden Zusammenfassung der Arbeit und dem Literaturverzeichnis und dem Anhang.

Kultur und Religion

Wenn ich diese Arbeit dem psychischen Erleben von Mantrarezitation widme, so steht sie in Verbindung zum einen mit der indischen Kultur und Religion, da die Mantras, die Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit sind, dort ihre Ursprünge haben. Daher widme ich dieses Kapitel den Begriffen Kultur und Religion und im Anschluss daran gehe ich kurz auf den Hinduismus ein. Vom Hinduismus ausgehend werde ich dann Yoga und seine Wege definieren, die in Verbindung mit der Mantrarezitation stehen.

Das Wort Kultur kommt vom lateinischen cultura und kann übersetzt werden mit Pflege des Körpers und des Geistes. Es „umfasst die Vorstellungen, Tätigkeiten, Gegenstände und Organisationsformen, soweit sie von den Menschen hervorgebracht werden und nicht einfach in der Natur vorhanden sind ...“. (Duden, 1993, S. 368)

Thurnwald (1939) versteht unter Kultur die Gesamtheit der Gewohnheiten und Einrichtungen, die sich auf Familie, staatliche Gestaltung, Wirtschaft, Arbeit, Moral, Sitte, Recht und Denkart beziehen ... Den Umkreis der kulturellen Gegenstände teilt man herkömmlich in folgende einzelne Sachbereiche ein: (1) Wirtschaftliche Kultur (Ackerbau, Bergbau, Viehzucht, Technik, Industrie, Handel, Verkehr). (2) Soziale Kultur (Sitte, Recht, Gesellschaft, Staat, Erziehung). (3) Geistige Kultur (Wissenschaft, Kunst, Religion, Schrift, Sprache, Spiel). – Diese Sachbereiche sind das Ergebnis einer Ausdifferenzierung im Laufe der Entwicklung, an deren Anfang die menschlichen Urgüter standen: Sprache, Tracht, Werkzeug, Gebot und Sitte, Jenseitsvorstellungen und Erlösungssehnsucht (Dorsch, 1998, S. 473).

Der Frage, was eine Kultur ausmacht, haben sich auch die Autoren Parkes, Laungani und Young (1997) Gedanken gemacht. Sie gehen davon aus, dass alle Kulturen eine Reihe von Kernmerkmalen (= Primärmerkmale) und eine Reihe von Randmerkmalen (= Sekundärmerkmale) besitzen. Während die Kernmerkmale das Wesentliche jeder einzelnen Kultur darstellen, können die Randmerkmale, die ebenfalls bedeutsam sind, von Kultur zu Kultur variieren.

Im Folgenden werde ich die Kernmerkmale einer Kultur nach Parkes et al. (1997) wiedergeben:

  • Existenz einer vergangenen Geschichte.
  • Vorhandensein einer herrschenden Religion, die dem vorherrschenden Glauben und den damit zusammenhängenden Aktivitäten (Rituale, Tabus und Zeremonien) eine Bedeutung und Legitimierung gibt. Dies beinhaltet auch den religiösen Glauben an den Tod sowie die Zeremonien dafür.
  • Eine Reihe von Werten und Traditionen, an die sich die Menschen jener Gesellschaft anschließen und versuchen, sie zu bewahren.
  • Geregelte soziale Systeme, Kommunikationsnetzwerke, einschließlich geregelter Normen für persönliches, familiäres und soziales Verhalten.
  • Einzigartige Kunst jener Gesellschaft, z.B. Literatur, Kunstwerke, Gemälde, Musik, Tanz, Drama, religiöse Texte, philosophische Texte, etc.

Die Randmerkmale einer Kultur sind nach Parkes et al. (1997) folgende:

  • Für die Mehrheit der Gesellschaft sollte eine gemeinsame Sprache oder eine Gruppe von Sprachen existieren.
  • Gemeinsame physikalische und geographische Grenzen sollten gegeben sein, wo Menschen jener Gesellschaft, die es gewagt haben, ins Ausland zu gehen, innerlich zu der Rückkehr in die eigene Gesellschaft gezogen werden.
  • Ein relativ bestimmtes, festgelegtes Muster von Behausung und Lebensstil sollte erkennbar sein.
  • Erkennen einer gesellschaftlich akzeptierten Ernährungsweise, Gesundheit und medizinischer Ausübung.
  • Vorherrschen einer geteilten Moral und eines gesetzgebenden Systems.

Von diesen verschiedenen Merkmalen ist nach Parkes et al. (1997) die wichtigste die Religion. Die Religion stellt die Verpflichtung zu etwas wichtigerem dar als dem Individuum und der Familie. Sie setzt sowohl die Vernunft für die Gesellschaft fest als auch eine Reihe von Moralbefehlen, ohne die die verschiedenen Gesellschaften eine wichtige Quelle ihrer Sicherheit verlieren würden.

Anschließend an diese Ausführung über Kultur soll im folgenden der Begriff Religion definiert werden, da sie ein wesentlicher Bestandteil der Kultur ist. Da diese Arbeit in den Bereich der Religionspsychologie hineingeht und auch um dem Begriff der Kultur gerecht zu werden, muss auch der Begriff der Religion bestimmt werden.

Das Wort Religion kommt vom lateinischen religare, was wörtlich übersetzt binden bedeutet. Traditionell betrachtet stellt es das Gesamte der Ideen dar, welches eine Gesellschaft verbindet.

Weiterhin ist der Glaube an eine Religion gleichsam eine Anerkennung von höherer Macht, welches Kontrolle über den Menschen und sein Schicksal ausübt. Diese höhere Macht, die man nicht sehen kann, wird in monotheistischen Gesellschaften als Gott, und in polytheistischen Gesellschaften als Götter erkannt, denen man als Mensch Gehorsam schuldig ist.

Unter Religion wird die „durch kulturelle Überlieferung geprägten Riten und Symbole hinsichtlich einer den Menschen übersteigenden, göttlichen Macht verstanden“. (Utsch, S. 1; vertiefend sei auf Utsch, Kap. 4, 1998 verwiesen). Diese vorläufige Begriffsbestimmung von einer den Menschen übersteigenden, „göttlichen“ Macht, kann psychologisch nicht zugänglich sein. Deshalb führt Utsch den Begriff „Spiritualität“ ein. Während mit Religiosität das religiöse Erleben und Verhalten umfasst wird, wird mit Spiritualität ein Bewusstseinsbereich beschrieben, der sensibel auf irrationale und paradox erscheinende Ereignisse reagiert und versucht, kreativ mit dem Unbedingten, Unverfügbaren und Absolut- Gegebenen umzugehen und Erklärungen dafür zu finden. Spiritualität stellt mehr den psychologisch-subjektiven Pol der Religiosität dar, während Religion als kulturell vorgegebene Größe den objektiven Pol ausmacht.

Durch den irrationalen Charakter stellt die Spiritualität eines der „letzten psychologischen Tabus und eines der wenigen unbekannten Größen des ansonsten gründlich durchanalysierten und strukturell erfassten Seelenlebens dar. Der Theologe Küng hat die Religion als das letzte Tabu der Psychologie bezeichnet, dessen Bedeutung verdrängt und ähnlich behandelt würde wie die Sexualität im Viktorianischen Zeitalter (Küng, 1987, 111 ff.)

Daher möchte ich auf den kulturellen und religiösen Hintergrund eingehen, wo die Mantras, die ich hier untersucht habe, ihren Ursprung haben. Ich bin mir bewusst, dass ich selektiv die Aspekte des Hinduismus darlegen werde, die für mich für diese Arbeit Relevanz haben, da das Thema Hinduismus selbst schon Regale füllen würde.

Hinduistische Kultur und Religion

Bei der Definition von Hinduismus haben auch schon viele Autoren eingeräumt, dass dies nicht einfach ist (vgl. Sharma, 1997, S. 294; vgl. Mall, 1997, S. 1). Der Hinduismus wird als Sanatana Dharma, d.h. ewige Religion, bezeichnet. Er hat daher keinen datierbaren Anfang, ebenso hat er keinen Stifter. Er ist den Weisen Sehern (Rishis) in Meditation zuteil geworden. Das Wort Hindu ist persischen Ursprungs und bezeichnete den Fluß Sindhu im Nordwesten Indiens. Die Menschen die dort lebten wurden als Hindus bezeichnet.

Bei der Definition von Hinduismus haben auch schon viele Autoren eingeräumt, dass dies nicht einfach ist (vgl. Sharma, 1997, S. 294; vgl. Mall, 1997, S. 1). Der Hinduismus wird als Sanatana Dharma, d.h. ewige Religion, bezeichnet. Er hat daher keinen datierbaren Anfang, ebenso hat er keinen Stifter. Er ist den Weisen Sehern (Rishis) in Meditation zuteil geworden. Das Wort Hindu ist persischen Ursprungs und bezeichnete den Fluß Sindhu im Nordwesten Indiens. Die Menschen die dort lebten wurden als Hindus bezeichnet.

Zu den Schriften des Hinduismus zählen die Veden, die Upanishaden, die Puranas (Legenden über Götter, Schöpfung u.dgl.) die Dharma Sutras (die Dharma-Aphorismen), die Dharma- Shastras (die heiligen Schriften über Dharmas), Ramayana und Mahabharata.


Es gibt unter Hindus Anhänger des Poly- und Monotheismus bis hin zum atheistischen Humanismus. Das Ziel der Religion ist immer Erlösung bzw. Befreiung (Moksa), die Wege dorthin können sehr verschieden sein. Es gibt im Hinduismus keine Orthodoxie, sondern allgemeine Verhaltensweisen für den Alltag, für das Tempelverhalten und die Feste. Dies wird jedoch als Dharma bezeichnet, die allgemein-verbindliche Ordnung, bzw. die individuelle Pflicht eines jeden Individuums, die auch das Kastenwesen miteinbezieht. (vgl. Petzold, 1986, S. 20)

Der Mensch ist nach der hinduistischen Vorstellung nicht nur durch das Dharma, sondern auch durch sein persönliches Karma[4] festgelegt. Die Art seiner Wiedergeburt wird durch die schlechten und guten Taten des vorherigen Lebens bestimmt. Das Ziel ist dabei, den Kreislauf der Wiedergeburten (Samsara) zu verlassen und die Erlösung in der Ewigkeit zu erreichen. Neben dem Glauben an die Veden gibt es einige Überzeugungen, die für die meisten, die sich zum Hinduismus bekennen, verbindlich sind: Der Glaube an die Unsterblichkeit der Seele, an das Karma-Gesetz oder an die grundsätzliche Möglichkeit der Erlösung sind weitere Charakteristika:

  1. Ein Hindu ist tief davon überzeugt, dass sein Weg einer der Wege zur Erlösung und Gottesrealisation ist.
  2. Die polytheistische Vielfalt trägt eigentlich nur symbolischen Charakter. Die vielen Götter selber stellen nur die Wegmarken auf der langen Reise mit dem Ziel der Erlösung dar.
  3. Der Glaube an die Veden ist ein wichtiges und wesentliches Merkmal eines Hindu.
  4. Ein gläubiger Hindu geht davon aus, dass allen weltlichen, mundanen und materiellen Dingen und Ereignissen eine übernatürliche, spirituelle, ewige Kraft zugrunde liegt. Das, was den ganzen Kosmos trägt, trägt auch den Menschen, und nicht umgekehrt.
  5. Folgerichtig glaubt dann auch ein Hindu an einen unsterblichen Kern in ihm, an eine Transmigration dieses Kernes über den Tod hinaus.
  6. Die Kraft, die diese Transmigration regelt, ist eine moralische Kraft und trägt den Namen Karma-Gesetz.
  7. .... Die Kette der Wiedergeburten kann durchbrochen werden. Denn Karmas binden uns an die Welt, aber ebenso befreien sie uns von der Bindung, wenn sie so rein, so sauber, ethisch und moralisch sind. ...
  8. Jeder Hindu glaubt an eine Wesensverwandtschaft zwischen der menschlichen und göttlichen Seele. Es mag hinsichtlich der Art und Weise dieser Verwandtschaft verschiedene Ansichten geben.

Das Wort Veda bedeutet Wissen, ein göttliches spirituelles Wissen, das einem zuteil wird. Dies ist das gehörte Wort, es ist eine ungeschriebene Lehre, die dem Weisen, dem Seher geoffenbart wurde. Die Veden wurden zuerst gehört und später in Bücher niedergelegt. Es gibt vier Veden: 1. den Rigveda (den Veda der Verse), 2. den Samaveda (den Veda der Lieder), 3. den Yajurveda (den Veda der Opfersprüche) und 4. den Atharvaveda (den Veda der mystischen Praktiken).

Oberflächlich betrachtet wimmelt es im Hinduismus von Göttern und diese Götter repräsentieren nicht nur die Naturkräfte, sondern auch psychische Eigenschaften. Doch dem vedischen Polytheismus liegt die grundsätzliche Überzeugung zugrunde, dass diese Vielheit im Grunde genommen eine Vielfalt der Namen darstellt. Dem gläubigen Hindu ist klar, dass es eigentlich um einen Gott geht, der in verschiedenen Aspekten verehrt wird. Immer wenn ein Gläubiger eine bestimmte Erscheinung des Einen bevorzugt, lässt er die anderen als weitere Formen des Einen gelten.

Ein Hindu geht also nicht davon aus, dass wenn er eine Gottheit verehrt, diese die einzig richtige ist. Die verschiedenen Gottesbilder stehen nicht so sehr in Konkurrenz, sondern sind eher komplementär zueinander. Dennoch werden die Verehrer des einen namenlosen Absoluten (Brahman) im Rang höher gestellt als diejenigen, die einen persönlichen Gott oder gar viele anbeten.

Die Einheit des Göttlichen, des Numinosen, verbunden mit der Vielfalt seiner Inkarnationen, ist das wesentliche Element des Hinduismus. Zu glauben, dass man auf dem richtigen Weg ist, ist jedem Gläubigen erlaubt. Aber zu glauben, dass der andere sich auf dem falschen Weg befindet, ist anmaßend, hochmütig und stellt eine Gotteslästerung dar. (Mall, 1997, S. 4 – 5)

Der Hinduismus hat den Anspruch, dass es mehrere Wege zur religiösen Seligkeit gibt. Der Pluralismus der Hindus bedeutet, dass der Hinduismus alles für alle Menschen darstellen kann. (Sharma, 1997, S. 307) Das Sanskritwort Yoga bedeutet Joch und kann in diesem Sinne als Anschirren an Gott gedeutet werden. (Mall, S. 51) Es bedeutet auch „Verbindung, Vereinigung“ was also verwandt mit der Bedeutung des Wortes Religion ist. In der christlichen Theologie wird Religion häufig als „Zurückbindung (an Gott) aufgefasst“. (Duden, 2001, Das Herkunftswörterbuch)

Das Wort Yoga im Hinduismus kann sowohl spezifisch als auch allgemein verwendet werden. Einmal bezeichnet es eine bestimmte philosophische Schule und ein kodifiziertes System oder eine Technik, zwischen den Menschen und Gott eine Beziehung herzustellen. Es kann allgemein aber auch solche Systeme und Methoden bezeichnen, die zu einer Einheit des Menschen mit dem Göttlichen führen. Hier wird das Wort Yoga im umfassenderen Sinne verwandt. Es ist eine Technik, die die Menschen mit Gott vereint. Die verschiedenen Yogas kann man auch Margas oder Wege nennen – Wege, die zum selben Ziel führen, zur Selbstverwirklichung oder Erleuchtung. (Sharma, 1997, S. 308).

Diese Yogawege sind nicht streng voneinander getrennt, sondern überschneiden sich. Yoga als spiritueller Weg ist selber überkonfessionell. Es gibt zahlreiche Yogawege, doch ich werde nur näher auf die Wege eingehen, die sich auf meine Fragestellung dem Erleben der Mantrarezitation und den Auswirkungen auf den Alltag beziehen. Zunächst möchte ich aber nochmals auf die Definition von Yoga eingehen.

„Yoga – Vereinigung; bedeutet sowohl den Weg dorthin als auch das Ziel; eines der sechs klassischen indischen Philosohpiesysteme; begründet von Patanjali (Raja Yoga) (Vishnu- devananda, 1997, S.305) „Yoga – Vereinigung, Verbindung, Kontakt; unter dem Begriff Yoga werden die Traditionen zusammengefasst, welche durch Übungen, Praktiken und Disziplinen den Kontakt zum Selbst (atman) oder zu Gott herstellen wollen ... Der Yoga im allgemeinen zielt auf die Umwandlung des Menschen und Reinigung aller Ebenen des Körpers und des Geistes, auf die Entwicklung einer Offenheit für Transzendenz. Patanjali definiert Yoga als Beruhigung (nirodha) der Bewegungen (vritti) des Bewusstseins (citta); d.h. für ihn zeigt sich Yoga in der Erfahrung der Stille, in der Versenkung, bei der das Selbst bei sich selbst ist und seine unendliche Natur erkennt ... Im Sinne der acht Glieder von Patanjalis System kann man Yoga als eine Integration aller Aspekte der Persönlichkeit, als die Verbindung aller Fähigkeiten, die der Mensch besitzt, verstehen. Dieser Entwicklungsprozeß dient dem einen Ziel, Selbsterkenntnis zu erlangen und Gott nahe zu kommen. Oft wird Yoga als Kontrolle oder Zwang definiert. Auf der Ebene des relativen Geistes (manas) ist es jedoch nicht möglich, alle Impulse zu lenken und zu durchdringen; erst, wenn die Seligkeit absoluter Stille, der Glanz des höchsten Selbstes (paramatman) erfahren wird, ist wahre Selbstbeherrschung möglich. Yoga ist Einheit, ist Fülle, ist Gottesschau. (Mittwede, 1999, S. 293, 294)

Im Yoga-Lehrerhandbuch heißt es, dass das erhabenste Ziel des Yoga die Verwirklichung unseres wahren Selbst ist, welches die Yogis als Eins mit dem Göttlichen, dem Kosmischen Bewusstsein bezeichnen. Die Vereinigung mit dem wahren Selbst, die Verschmelzung mit dem Kosmischen, die Verwirklichung, dass wir Eins sind mit Gott, ist das höchste Ziel des Yoga. Es führt zur wahren Liebe, zum Gefühl der Einheit mit allem, zur Erfahrung reinen Seins, vollkommenen Wissens und unbeschränkter Glückseligkeit. (vgl. Bretz, 2001, S.8)

Abschließend für die Erläuterung des Yoga und für diese Arbeit bedeutsam „Es gibt hunderte Yoga-Definitionen, aber die wichtigste ist die, die sagt: Yoga bewirkt eine Veränderung der Eigenschaften unseres Geistes.“ (Deskikachar, 1991, S. 117)

Verschiedene Yoga Wege

Man unterscheidet verschiedene Arten von Yoga. Für diese Arbeit von Relevanz ist der Nada, Bhakti und Raja Yoga, auf die ich im folgenden eingehen werde.

Nada Yoga

Nada heißt Ton, und Yoga meint den o.g. Zustand der Einheit. Nada-Yoga ist der Yogaweg (Sadhana), der mittels des Tons und des Tönens den Übenden in den Zustand der Einheit führt. Nada-Yoga ist Bestandteil der ältesten heiligen Schriften Indiens, den Vedas. Der Übungsweg des Nada-Yoga oder besser Mantra-Yoga beginnt mit dem Tönen bestimmter Buchstaben (varna), Silben oder Formeln auf Sanskrit. (Trökes, 1998, S. 21)

Bhakti Yoga

Es gibt 9 Vorgänge im Bhakti Yoga, dem Weg, um Liebe und Hingabe zu Gott zu entwickeln. Auf zwei dieser Vorgänge werde ich eingehen, da sie die Mantrarezitation und das Singen von Mantras beinhalten. Für Interessierte Leser sei auf Sivanandas Buch „Essence of Bhakti Yoga“ und Prabhupadas 7. Canto des Srimad Bhagavatam hingewiesen, wo alle diese Vorgänge ausführlich erläutert werden.

Kirtan – oder Kirtana

Ein Vorgang ist Kirtana, das Singen zur Verehrung von Gottes Namen mit Hilfe von Mantras und Instrumenten (vgl. Audiobeispiel Nr. 7 - 10) Man singt ständig in Verehrung von Gott. Dies wird auch Japa genannt. Siehe dazu auch Kapitel (4.6) Beim Singen erfolgt ein Wechselgesang zwischen dem Vorsänger, der Melodie und Rhythmus vorgibt, und im Anschluss daran stimmen alle anderen Anwesenden in das Singen ein.

Smarana

Ein weiterer Vorgang im Bhakti-Yoga ist Smarana, was wörtlich sich erinnern bedeutet. Es geht darum, sich ständig an den Namen Gottes zu erinnern. Es ist die Erinnerung an den Namen und die Form Gottes. Die Mantrarezitation, Japa, die Wiederholung von Gottes Namen als Mantra, gehört zu diesem Vorgang.

Raja Yoga

Der Raja Yoga ist der Weg der systematischen Analyse und Kontrolle des Geistes. Raja Yoga heißt auch „Ashtanga“ (der achtgliedrige) Yoga, denn seine Praxis ist achtteilig. Ich werde hier diesen Yoga Weg kurz in seinen acht Gliedern aufführen, da die Rezitation eines Mantras als Meditationsform das 7. Glied bestimmt:

1. Yama – Regeln für den Umgang mit anderen

  • Ahimsa – Nichtverletzen
  • Satya – Wahrhaftigkeit
  • Brahmacharya – Keuschheit
  • Aparigraha – Nichtannehmen von Geschenken
  • Asteya – Nichtstehlen

2. Niyama – Gebote, Verhaltensregeln für das Privatleben

  • Saucha – Reinheit (innere und äußere)
  • Santosha – Zufriedenheit
  • Tapas – Askese
  • Swadhyaya – Studium religiöser Schriften
  • Ishvarapanidhana – Verehrung Gottes

3. Asana – Stellung: Die Wirbelsäule frei zu halten, aufrecht zu sitzen. Brust, Nacken, Hals bilden eine gerade Linie. Bewegungslos und bequem.

4. Pranayama: Durch verschiedene Atemtechniken wird die Lebensenergie unter Kontrolle gebracht.

5. Pratyahara: Den Sinnen wird der Weg zu ihren Objekten versperrt oder sie werden von diesen zurückgezogen. Es ist dies die Praxis, den Geist von den Sinnen, die ihn stören, zu trennen.

6. Dharana – Konzentration: Dharana ist die Praxis, den Geist zu konzentrieren oder ihn auf ein äußeres Objekt oder eine innere Idee, unter Ausschluss aller anderen Gedanken zu richten.

7. Dhyana – Meditation: Ungebrochenes Fließen der Gedanken zum Meditationsobjekt.

8. Samadhi – Überbewusstsein: Samadhi ist der überbewusste Zustand. Er ist über alle Beschreibung erhaben. Der Geist kann ihn weder erfassen noch beschreiben, denn er transzendiert die drei Elemente, die während jeder gewöhnlichen Erfahrung der Sinne präsent sind: Raum, Zeit und Kausalität. Samadhi ist das Ziel aller Existenz. Alle Lebewesen bewegen sich auf dieses Ziel zu.

Raja Yoga bezieht sich direkt auf die Kontrolle des Geistes. Mantra Yoga ist ein Werkzeug im Raja Yoga. Es benutzt den Klang der Mantras zur Kontrolle des Geistes. (vgl. Bretz, 2001, S. 58)

Mantra Yoga

Im Vorwort zu Mantra Yoga von Swami Sivananda heißt es „Das höchste Ziel des Mantra Yoga ist, wie immer beim Yoga, die Verwirklichung Deiner wahren Natur, der Einheit mit dem Unendlichen. Mantra Yoga gilt als einer der machtvollsten, einfachsten, sichersten und schnellsten Wege zu dieser Selbstverwirklichung. In Indien gilt es als der populärste und doch mysteriöseste Aspekt des Yoga, der zumeist nur mündlich von dem/der Lehrer/in auf den/die Schüler/in weitergegeben wurde und wird“. (Sivananda, o.J., S. 5)

Die heiligen Schriften Indiens, die Veden, beschreiben die Schöpfung und Vernichtung der Welt in Zyklen von Zeitaltern. Danach befinden wir uns gegenwärtig im Kali Yuga, dem Zeitalter der Heuchelei, des Streits und der Irreligiosität. Dort heißt es im Sri Caitanya Caritamrita: „harer nama harer nama harer namaiva kevalam kalau nasty eva nasty eva nasty eva gatir anyatha“ was übersetzt bedeutet „Im gegenwärtigen Zeitalter des Kali gibt es keine andere Möglichkeit, keine andere Möglichkeit, keine andere Möglichkeit für spirituellen Fortschritt als den Heiligen Namen, den Heiligen Namen, den Heiligen Namen des Herrn.“ (Prabhupada, o.J., S. 272)

Und an anderer Stelle heißt es „Kali Yuga Kevala Nama Adhara – die einzige Zuflucht im Eisernen Zeitalter (Kali Yuga) ist allein der Name Gottes.“ (Sivananda, o.J., S. 51)

Im folgenden Kapitel soll nun der Begriff Mantra definiert werden, daran schließt sich die Etymologie des Wortes Mantra an und die Sprache der Mantras, die hier Relevanz haben, Sanskrit. Danach werden die Qualitäten von Mantras aufgeführt sowie die Anweisungen für die Mantra-Meditation. Auf den Begriff der Meditation gehe ich dann weiter unten ein, da die Mantrarezitation eine Form der Meditation ist. Es werden vier Hauptkategorien von Mantras aufgelistet sowie die Bedeutung des Japa innerhalb der verschiedenen Yoga-Wege aufgeführt und abgeschlossen wird das Kapitel zum Mantra Yoga mit der Wirksamkeit des Mantras.

Definitionen von Mantra

Mantras sind „zusammengesetzte Laute, Silben, Worte, Sätze, die man spricht oder singt, die in ihren Buchstaben und damit in ihrem Klang bestimmte Schwingungen, d.h. eine bestimmte Energie tragen. Jeder Buchstabe des Sanskrit-Alphabets ist in seiner Schwingung einer bestimmten Kraft oder einem bestimmten Aspekt einer Gottheit zugeordnet. Das Aussprechen dieses Buchstabens in einfacher oder zusammengesetzter Form als Silbe oder Wort ist der Weg, mit dieser Gottheit in Verbindung zu treten, sie zu verehren und an ihrem Licht teilzuhaben. Das Mantra verkörpert die Gottheit und ist die Bündelung seiner strahlenden Energie“. (Trökes, 1998, S. 30)

„das, wodurch man durch ständiges Denken und Erinnern beschützt und erlöst wird. Das Mantra führt zur Verwirklichung der persönlichen Gottheit (Ishwara). Daher sind Devata (Gottheit) und Mantra praktisch ein und dasselbe.“ (Sivananda, o.J., S. 51)

„(wörtl.: „Denkwerkzeug“; Gesang, heiliges Wort oder Gebetsformel (...)“ (Mittwede, 1999, S. 144). Es ist ein Werkzeug, um den Geist zu beruhigen.

„außerdem ein Klang, eine Formel gemeint, die bei richtiger Anwendung bewußtseinsmäßige Fortentwicklung bewirkt.“ (a.a.O., S. 144)

„ein Name Gottes (...), der dem Ishta-Deva (erwähltes Ideal) des Schülers entspricht und mit dem er von seinem Guru in das spirituelle Leben eingeweiht wurde. Dieses Mantra, das als eins mit Gott betrachtet wird, enthält den Kern der Anweisungen des Guru. Der Schüler sollte es geheim und heilig halten und über diesen Aspekt Gottes unaufhörlich meditieren. Die regelmäßige Wiederholung des Mantra (Japa genannt) läutert das Denken und führt schließlich bei beständiger Übung zur Verwirklichung Gottes.“ (Fischer-Schreiber et al., 1986, S. 235)

„(Sanskrit <Denkwerkzeug>), als Gebets- oder Anrufungsformeln rezitiert, gemurmelt oder im Geiste gesprochene sprachlich – formelhafte Äußerungen. Die Ursprünge von Mantras liegen in der indischen Kultur; Bedeutung und Funktion sind geprägt durch den Glauben an die Kraft und Wirksamkeit des gesprochenen Wortes.“ (Religion in Geschichte und Gegenwart, [RGG], 2001, S. 772)

„kurze, eindringliche, geistige Formel für das Höchste, das wir uns vorstellen können, ob wir es als Gott bezeichnen, als die äußerste Realität, als das höchste Wesen, ...“ (Easwaran, 1977, S. 11)

„ist seinem Wesen nach ein Heiliger Name, ein Name Gottes oder eine Bezeichnung, die diese höchste Realität symbolisiert.“ (a.a.O., S. 37)

„die Kraft, die den Geist aus der Fessel befreit“. (Niranjananda, 1999, S. 14)

„Though generally defined as „a formula, comprising words and sounds which possess magical or divine power“, no single definition adequately expresses its significance. It is a verbal instrument believed to possess power. A word or formula ... [which] represents a mental presence or energy; by it something is produced, crystallized, in the mind. The term mantra-sakti is employed to denote this magic power possessed by words when they are brought together in a formula.” (Stutley, 1977, S. 180-181)

“A mantra may consist of a syllable (bija), or a word or group of words ...” (a.a.O., S. 180) “The efficacy of a mantra in post-Vedic times was not dependent on its meaning, but rather on the subjective effect of the exacting mental discipline involved in its correct utterance, and the accompanying mode of breathing” (a.a.O.).

“The time in which a mantra becomes effective depends on the time taken to pronounce it, i.e., on the number of letters comprising it. In particular circumstances a bija-mantra is repeated a hundred or even a thousand times (Manu, II, 79); …” (a.a.O., S. 181) “As a type of prayer they are linked with sraddha (faith) and Bhakti (devotion), and together constitute the means by which the devout Hindu achieves moksa (liberation) and union with Brahman.“ (a.a.O., S. 181)

The name of God is mantra. It is divine energy encased in a structure of sound. A mantra is the formula for a specific manifestation of God, like H2O, is the formula for water. The names of God are many, but in each and every name, be it Rama, Christ, Krishna, Allah, or Buddha, the power of God abides. (Yogi Hari, o.J., S. 42)

In der hinduistischen Überlieferung gibt es eine Vielzahl dieser spirituellen Formeln, da die eine höchste Realität in vielen Formen und auch unter sehr vielen verschiedenen Namen geliebt und verehrt wird. Eine solche Gebetsformel wird mantra oder mantram genannt.[5]

Es gibt zum einen das persönliche Mantra, das man durch die Mantra-Weihe durch einen Lehrer (Guru) erhält. Manchmal ist es jedoch auch so, das man sich zu einer spezifischen Gottheit (Ishwara) hingezogen fühlt und der Guru weiht einen dann in das entsprechende Mantra, das diese Gottheit repräsentiert, ein.

Dann gibt es Mantras, die für spezielle Zeremonien und Opferrituale rezitiert werden. Darauf werde ich hier nicht weiter eingehen, da sie nicht Gegenstand dieser Arbeit sind. (Vgl. Stutley, A Dictionary of Hinduism, 1977, S. 180-181)

Darüber hinaus gibt es Mantras, die gemeinsam mit anderen gesungen werden. Dies nennt man Kirtan. (vgl. Kap. 4.7)

In dieser Arbeit geht es um das persönliche Mantra, in das man von einem Lehrer eingeweiht wurde, sein psychisches Erleben und die Auswirkungen auf das Verhalten im Alltag. Dieses persönliche Mantra wird von einigen Teilnehmern geheim gehalten, von anderen wird es laut gesungen bzw. auch wiederholt, was auch singend, sprechend, laut, leise, geistig erfolgen kann.

Es gibt verschiedene Arten von Mantras für ganz unterschiedliche Ziele und Zwecke. (vgl. Vishnu-devananda) Wie in diesen Definitionen, die nicht vollständig sind, bereits anklingt, ist nicht eindeutig klar, ob es sich bei dem Mantra nun um ein Gebet handelt oder nicht. Ich werde auf diesen Aspekt noch einmal in einem weiteren Unterpunkt eingehen.

Etymologie des Wortes Mantra

Ein Mantra heißt so, weil es sich durch einen geistigen Prozess entfaltet. Die erste Silbe „man“ im Wort Mantra bedeutet „denken“ und „tra“ ist abgeleitet von „trai“ – „schützen“ oder „befreien“. (Sivananda, o.J., S. 36)

Es meint die Befreiung aus den Fesseln der Welt der Erscheinungen (samsara). Dies meint die Welt, die wir mittels unserer Sinne wahrnehmen. Die Sinneseindrücke rufen Bewegungen im Geist hervor, wie Wertungen, Kommentierungen, Handlungen. Dies alles, das Wahrnehmen, Verarbeiten des Wahrgenommenen und damit das Denken sollen beruhigt werden, damit sich der Zustand des Yoga, der Einheit, einstellen kann. Um den höchsten Zustand der Einheit (Samadhi genannt) zu erlangen, werden die alltäglichen Gedanken des Geistes und ihrer Schwingungen durch Inhalt, Schwingung und Energie des Mantras ersetzt.

Dadurch wird der Geist ruhig und konzentriert. Er kann durch permanente Einpünktigkeit mit Hilfe des Mantras in andere Bewusstseinszustände gelangen und zurück zur Quelle, zu Gott kommen. (Trökes, 1998, S. 23)

Sprache der Mantras: Sanskrit

Die meisten Mantras sind in Sanskrit überliefert worden. In den Schriften aus der vedischen Zeit wird berichtet, dass Rishis, die Weisen jener Zeit, intuitiv die mantrischen Weisheiten erfassten und empfingen. “Sanskrit is a language of vibration. And the vibration that was revealed to the rishis when vocalized become Sanskrit language.” (Yogi Hari, E-Mail, 04/2003) Die Rishis sind die Weisen der vedischen Zeit gewesen, denen diese Klangschwingungen, die wir heute als Sanskrit kennen, in tiefer Meditation enthüllt wurden.

Die Sprache der Mantras ist Sanskrit und wird auch als Devanaagari, Sprache der Götter, bezeichnet. Sie ist die älteste und mystischste[6] Sprache der Menschheit und die Quelle von der alle anderen Sprachen sich entwickelt haben. Ein Mantra ist mystische Energie, die in eine Klangstruktur eingeschlossen ist. Jedes Mantra enthält in seinen Schwingungen eine gewisse Macht. Durch Konzentration und die Wiederholung eines gegebenen Mantras wird seine Energie gelöst und nimmt Form an. Japa oder Mantra Yoga ist diejenige Übung, durch welche die Kraft, die in Mantras enthalten ist, für bestimmte Zwecke angewandt wird.

Jedes Mantra in Sanskrit wird aus einer Kombination von Klängen aufgebaut, die von den fünfzig Buchstaben des Sanskritalphabets stammen. (...) Die alten Weisen, die auf höhere Bewusstseinsebenen eingestimmt waren, waren sich wohl der inneliegenden Kraft jedes Klanges bewusst und sie benutzten Kombinationen von Klängen, um bestimmte Schwingungen zu erzeugen.

Es besteht kein Zweifel darüber, dass Klänge eine bestimmte und voraussagbare Wirkung auf die menschliche Psyche und den Körper haben. Ganz offensichtlich ist dies, wenn man die Wirkung von Rockmusik mit der von klassischer Musik vergleicht. Die erste neigt dazu, die Sinne zu erregen, die zweite wirkt eher entspannend. Auf subtilerer Ebene werden Mantras für verschiedene Zwecke angewandt. (vgl. Vishnu-devananda, 1997, S. 74-106)

Qualitäten eines Mantras

Jedes Mantra beinhaltet die folgenden sechs Teile:

  1. Es wurde einem Seher (Rishi) enthüllt, der mit seiner Hilfe erstmals Selbstverwirklichung erlangte und der es an andere weitergab. Er ist der Seher dieses Mantras. ...
  2. Es hat ein bestimmtes Versmaß bzw. einen bestimmten Rhythmus (Matra) und
  3. eine führende Devata (Gottheit).
  4. Es besitzt ein Bija, einen Samen. Dieser gibt dem Mantra eine besondere Kraft und ist das Wesentliche, der Kern des Mantras.
  5. Jedes Mantra hat eine Shakti, eine schöpferische göttliche Energie und schließlich hat es
  6. ein Kilaka, einen Pfeiler oder Stöpsel, der das Mantra-Chaitanya, das reine Bewusstsein im Mantra, verschließt. Sobald sich der Verschluss durch ständige, andauernde Wiederholung des Mantras öffnet, enthüllt sich das verborgene reine Bewusstsein und der Praktizierende hat die Vision (Darshana) seiner persönlichen Gottheit. (Sivananda, o.J., S. 51)

Für meine Untersuchung werde ich mich nur auf das Erleben von Mantras beziehen, die diese Kriterien erfüllen.

Japa – die permanente Wiederholung eines Mantras

Die permanente Wiederholung eines Mantras oder Namens Gottes mit Hingabe und Gefühl nennt man Japa und wird von den großen Yogis und Rishis als Weg für diejenigen empfohlen, die sich nach Befreiung (aus dem Kreislauf von Geburt und Tod, Anm. H. L-R) sehnen. Japa ist ein wichtiger Teil des Yoga.

In der Bhagavad Gita (10.25) steht: „Yajnanam Japa-Yajnosmi“ – „Unter den Yajnas (Opfern) bin ich das Opfer des Japa.“ In diesem Zeitalter des Kali kann schon allein das Praktizieren von Japa ewigen Frieden, Glückseligkeit und Unsterblichkeit bringen. Es wird als der effektivste und positivste Weg beschrieben, um Konzentration und Reinheit des Geistes zu erlangen. Japa löst die Unreinheiten des Geistes auf, macht frei von Sünden und bringt den Verehrer zum Angesicht Gottes. Die Auswahl eines geeigneten Mantras, dessen Erstübermittlung und grundsätzliche Erläuterungen werden oft Einweihung genannt und von religiösen Zeremonien begleitet. Dieser Vorgang setzt Kompetenz und Erfahrung des Übermittelnden voraus. Bisweilen wird der Übermittlung oder gar dem Übermittler magisch-spirituelle Kraft zugedacht, die sich dann positiv auf die Mantra-Meditation auswirkt. (vgl. Steurer, 2002)

Jeder Name ist voll grenzenloser Kraft. So wie das Feuer die natürliche Eigenschaft hat, Dinge zu verbrennen, so hat der Name Gottes die Kraft, Sünden und Wünsche zu verbrennen. Die Wiederholung des Mantras ruft Schwingung hervor. Schwingungen lassen bestimmte Formen entstehen. Die Wiederholung von „Om Namah Shivaya“ lässt die Gestalt Shivas im Geist entstehen; die Wiederholung von „Om Namo Narayanaya“ ruft die Form Haris hervor. Durch das permanente Wiederholen des Mantras werden im Geist Gedankenmuster so tief eingeprägt, dass sie schließlich im Hintergrund Tag und Nacht bleiben. Dies ist der Sinn der gesamten Praxis, dass man sich ständig an den Gott in seiner gewählten Idealform erinnert.

Japa führt letztendlich zu Samadhi, dem überbewussten Zustand, zur Einheit mit Gott. Swami Sivananda empfiehlt, dass Japa zur Gewohnheit werden und mit einem sattwigen (reinen), göttlichen Gefühl, mit Reinheit, Liebe (Prema) und Glauben (Shraddha) ausgeübt werden sollte. Es verleiht überirdische Kräfte (Ishta Siddhis), Hingabe (Bhakti) und Befreiung (Mukti). (Sivananda, o.J., S. 35)


Der Name (Nama) und das Objekt (Rupa), das durch den Namen bezeichnet wird, sind untrennbar. Gedanke und Wort sind untrennbar. Immer wenn man an den Namen seiner Frau denkt, steht ihr Gesicht vor dem inneren Auge, und umgekehrt. Genauso erscheint das Bild Ramas oder Krishnas im Geist, wenn man ein Rama- oder Krishna-Mantra wiederholt. Deshalb gehören Japa und Dhyana zusammen und sind untrennbar. Wesentlich für die Mantrawiederholung ist das innige Gefühl Bhava genannt, mit dem das Mantra wiederholt wird, um schließlich zur Befreiung vom Kreislauf von Geburt und Tod (Samsara) also zur Befreiung zu gelangen. (siehe Kap. 2.1) Da Gottes Macht in seinem Namen wohnt, gibt das Mantra für den Gläubigen Unterstützung und Schutz. Es transformiert die Persönlichkeit auf subtile Weise. (S. 43, a.a.O.)

Anweisungen für die Mantra-Meditation

Die Anweisungen zur Mantra-Meditation unterscheiden sich gruppenspezifisch bezüglich

  • des wiederholten Wortes bzw. Wörtern
  • dem Ort wo der gedachte oder gehörte Klang sich im Körper manifestiert
  • der empfohlenen zeitlichen Länge des Übens
  • seltener werden die Anweisungen auch individuell angepasst

Man wiederholt das Mantra mit dem Gefühl und der inneren Einstellung, dass der Herr im eigenen Inneren wohnt, dass Reinheit von Gott in den Geist fließt, dass das Mantra das Herz reinigt und Wünsche, Begierden und schlechte Gedanken auslöscht. Weiterhin wird empfohlen Japa nicht in Eile auszuüben, so wie ein Arbeiter, der seine Arbeit möglichst schnell erledigen will. Man sollte langsam, mit Gefühl, Einpünktigkeit des Geistes und konzentrierter Hingabe sein persönliches Mantra wiederholen. Die Aussprache des Mantras sollte klar, deutlich und fehlerlos erfolgen, nicht zu schnell und nicht zu langsam.

Man sollte sich eine Mindestanzahl an Malas (Gebetskettenrunde) vornehmen und diese regelmäßig täglich wiederholen. Es wird empfohlen bei einem Mantra zu bleiben. Weiterhin ist Regelmäßigkeit in der Japa-Praxis wichtig und in dem Zusammenhang ist es vorteilhaft, wenn möglich, immer zur gleichen Zeit am selben Ort zu praktizieren. (Sivananda, o.J., S. 56)

Bei der traditionellen Methode der Japa-Praxis legt man für gewöhnlich die Anzahl der Mantras fest oder eine Gesamtzahl, die immer wieder wiederholt wird. Im allgemeinen wird ein Rosenkranz verwandt, eine Kette mit 108 Perlen, auch Mala genannt - entweder aus dem Rudra-Baum, oder aus einem Tulasistrauch - , von denen eine größer ist als die übrigen, die man Meru nennt. Die Perlen werden mit dem rechten Daumen und Mittelfinger (der rechten Hand) gerollt. Der Meru darf nicht überschritten werden. Wenn man beim Meru ankommt, so bedeutet es, dass das Japa 108mal wiederholt worden ist und dass die Finger von der letzten Perle für weitere 108 Wiederholungen zurückwandern müssen usw. (Pandit, M.P., 2001, S. 60) Man kann Japa, die Rezitation eines Mantras auf verschiedene Art und Weise durchführen:

  • Geistig, dann spricht man von Manasika Japa
  • Murmelnd, flüsternd, dann spricht man von Apamsu Japa
  • Laut hörbar, dann spricht man von Vaikhari Japa (vgl. Audio-Beispiele Nr. 2-5)
  • Schriftlich, dann nennt man das Likhita Japa (vgl. Abb. S.29)

Geistiges Japa ist am wirkungsvollsten. (Sivananda, S. 95 ff.; Sivananda, 1994; Stutley, 1977, S. 180-181) Für den Anfänger wird zunächst das Mantra aber laut rezitiert und später erst, wenn der Geist nach einigen Jahren Praxis ruhiger, konzentrierter ist, kann man auch mentales Japa praktizieren, was schließlich wie o.g. zur Gewohnheit wird.

Die Bedeutung von Kirtan und Mantra

“Kirtan is the singing of God’s name with the feeling of divine love. It is an excellent method of soothing the nerves and directing the emotions toward a positive goal. While the Mantras are in Sanskrit, the Kirtans can be sung in any language.” (Yogi Hari, o.J., S. 21)

Kirtan kann jedoch auch in der Wiederholung eines kurzen, spezifischen Mantras bestehen. (vgl. Audio-Beispiel 6-10) Es sind Mantras der kosmischen Schwingung und sie symbolisieren das Spiel der gesamten Schöpfung. Kirtan besteht aus 2 Wortwurzeln: Ki und Ratana. Ratan bedeutet „Juwel“ und Ki ist der „Schlüssel“, somit ist Kirtan der Schlüssel zu den inneren Schätzen. In meiner Arbeit geht es um das Erleben der Wiederholung des persönlichen Mantras. Manchmal wird jedoch dieses persönliche Mantra auch laut gesungen allein oder auch mit anderen, dann handelt es sich um Kirtan. (vgl. Audio-Beispiele 6 - 10)

Swami Sivananda schreibt, dass die ungeheure Wirkung von Kirtan mit Worten nicht zu beschreiben ist, sondern selbst erlebt werden muss. Er sagt, dass Kirtan dich auf direktem Weg in den Zustand von Samadhi, dem höchsten Ziel im menschlichen Wesen tragen kann. Wenn man sich ganz im Kirtan, im Singen von Gottes Namen verliert, dann kann man so die herumspringende Natur des Geistes bezwingen, so dass seinen ganzen Mätzchen und Verwirrspielchen ein Ende gemacht wird. Erst dann kann sich Einpünktigkeit und Konzentration entwickeln. (vgl. Kap. 7.4) (Sivananda, 20 Schlüssel zu Kirtan, genaue Quelle unbekannt, Anm. H. L-R)

Vier Hauptkategorien von Mantras

Man unterscheidet 4 Hauptkategorien (vgl. Bretz, 2000, S. 46 ff.):

1. Nirguna, abstrakte Mantras: Abstrakt, formlos, eigenschaftslos, z.B. Om, Soham

2. Saguna Mantras, Mantras mit Eigenschaften und Form (vgl. Audio-Beispiele 2-5) Sie entsprechen einem bestimmten Aspekt Gottes. Daher werden sie auch Ishta Mantras oder Gottheiten-Mantra genannt. Für die meisten Menschen ist es leichter, eine Beziehung zu einem Gottheiten-Mantra zu entwickeln. Der Guru, der um die Persönlichkeit seines Schülers weiß, weiß am besten, welcher Aspekt der Persönlichkeit gefördert werden soll und vergibt entsprechend ein Mantra. Wenn man schon ein Mantra hat, zu dem man sich hingezogen fühlt, kann man dies beibehalten. (z.B. Om Namo Bhagavate Vasudevaya, Om Namo Narayanaya)

3. Bija Mantras (Bija = Same), einsilbige Wurzel- oder Samen-Mantras: Sie sind nur mit ausdrücklicher Anleitung des Lehrers zu wiederholen. Sie werden benutzt, um siddhis, übernatürliche Kräfte im Yoga, zu erlangen. Sie sind sehr kraftvoll und verlangen eine kompetente Führung. (z.B. Lam, Vam, Ram, Yam, Ham, Om, Tam, etc.)

In der hinduistischen Religion wird jede Gottheit durch ein Bija Mantra repräsentiert, welches in der menschlichen Sprache das nächstliegende Äquivalent zu “Nada” (der Tonschwingung) ist, die im Augenblick der Manifestierung der Gottheit entsteht. Das bekannteste Bija – Keimmantra ist Om für Brahman, dem alldurchdringenden göttlichen Bewußtsein.

4. Andere Mantras: Mantras in anderen Sprachen, wie Halleluja, Kyrie Eleison, Christe Eleison, Herr Jesus Christus erbarme Dich unser, etc.

Für diese Arbeit relevant sind die Nirguna und Saguna Mantras in Sanskrit, die als persönliche Mantras immer wieder wiederholt werden. Die Rezitation des Mantras ist verbunden mit den verschiedenen Yoga Wegen.

Bedeutung von Japa innerhalb der verschiedenen Yoga-Wege

  • On the path of Raja yoga, the mantra is used as an object of concentration. The repetition of the mantra is associated with the visualisation of the Ishta-Devata, the deity represented by the mantra.
  • In Bhakti Yoga, the devotee uses the mantra as a way to sublimate his emotions to develop faith and love and be in constant remembrance of God.
  • The Nada Yogi will more specifically work on /with the sound vibration of the mantra. Name and form are like the two sides of a coin. The repetition of a name generates the corresponding form in the mind, whether this form is consciously known or not. Even as the name of an object in this world generates the consciousness of that object in the mind, the name of God generates God-consciousness and purifies the mind. This is why the thought patterns created by Mantras are positive, beneficial, and calming. They lead to the realization of the highest perfection of God. He who constantly chants the name of God forgets the world and merges into super-consciousness. (Yogi Hari, o.J., S. 42-43)

Wirksamkeit von Japa

Mantra-Wiederholung so schreibt Swami Sivananda kann den Übenden zur Verwirklichung seines höchsten Zieles bringen, selbst wenn er die Bedeutung des Mantras nicht kennt. Es wird dann nur ein bisschen länger dauern. Weiter heißt es, dass die Wiederholung des Mantras den Schmutz des Geistes, wie Verlangen, Ärger und Gier entfernt. Wie ein gereinigter Spiegel die Umgebung widerspiegeln kann, so erwirbt der Geist nach Befreiung von seinen Unreinheiten die Fähigkeit, die höhere spirituelle Wahrheit zu reflektieren. Wie Feuer Gold reinigt, so reinigt das Mantra den Geist, und ein weiteres Bild wird zur Veranschaulichung noch erwähnt: wie Seife ein schmutziges Tuch reinigt, ist das Mantra eine spirituelle Seife zur Reinigung des Geistes. Schon ein wenig Mantra-Rezitation mit Glauben, richtigem Gefühl und einpünktiger Konzentration auf seine Bedeutung zerstört alle Unreinheiten des Geistes. Mantra-Wiederholung (...) gewährt immerwährenden Frieden, unendliche Wonne, Wohlergehen und Unsterblichkeit. Daran gibt es nicht den geringsten Zweifel. Es gewährt Gesundheit, Wohlstand, Stärke und ein langes Leben, bringt Gottesbewusstsein, befreit von Verhaftung an weltliche Objekte. (Sivananda, o.J., S. 38, S. 47)

Zum Gebet

In seiner Einleitung zum Gebet lässt Friedrich Heiler viele Theologen, Philosophen zu Worte kommen, die in unterschiedlicher Weise die zentrale Bedeutung des Gebets für die Ausübung religiösen Lebens herausstellen. Ich gehe hier auf das Gebet insofern ein, um zunächst einmal zu definieren, was überhaupt unter dem Wort Gebet zusammengefasst wird. Im Anschluss daran wird dann nochmals eine Verbindung zum Mantra vorgenommen. In meiner Literaturrecherche konnte nicht eindeutig geklärt werden, ob das Mantra ein Gebet ist oder nicht.

Definition von Gebet

Im RGG heißt es, „Das Gebet ist eine der typischen religiösen Kommunikationsformen. Mit ihm wendet sich der Mensch – ob nun laut, leise oder wortlos, gedanklich, ob als einzelner oder in der Gruppe, ob für sich oder für andere – an die Götter, wobei das Gebet nicht (oder nicht in erster Linie) auf das Erscheinen der Gottheit (Epiphanie) abzielt.“

Im Wörterbuch der Religionspsychologie finde ich das „ausdrückliche In-Beziehung-Treten (Kommunizieren) des Menschen mit einer übermenschlichen Wirklichkeit – mit sakralen Mächten, Geistern, Engeln, Gottheiten, Gott – oder auch mit Menschen, die man als Vermittler zwischen dem Göttlichen und dem Beter annimmt (Verstorbenen, Heilige, Bodhisattvas). Sein Kommunikationscharakter, d.h. die Bereitschaft, einer übersinnlichen Wirklichkeit Gefühle und Gedanken mitzuteilen und ihr u.U. auch in rezeptiver Aufmerksamkeit zu begegnen, unterscheidet das Gebet von einem bloßen Nachdenken sowie von der magischen Beschwörung, die nur bestimmte Kräfte mobilisieren möchte. (Betz, 2001, S. 126)

Motiv und Zweck des Gebets in der Mystik

Ziel der Mystik ist die Isolierung und Vereinheitlichung des inneren Lebens: Abkehr von der Welt und Vereinigung mit Gott. Hier klingt wieder eine Parallele zu einer Definition von Yoga an, wo es darum geht, dass die individuelle Seele sich mit der höchsten Seele oder Gott verbindet. Der Abwendung von der Sinnenwelt dient die Askese; sittliche und asketische Übungen ertöten die Sinnlichkeit. Die Vereinheitlichung des seelischen Lebens vollzieht sich im Gebet und in der das Gebet erzeugenden und nährenden Betrachtung der Meditation. Das Gebet bildet so die unmittelbare Vorstufe der vollen inneren Einheit, die als Einheit mit Gott erlebt wird. Die Askese ist das entferntere, das Gebet bzw. die Versenkung das nähere Mittel zur Erreichung dieses Zieles.

Proclus sagt: „Das ist das eigentliche Ziel des Gebets, dass es die Vereinigung mit dem Ruhepunkte herstelle, alles, was aus der göttlichen Einheit entsprungen ist, wieder in das Eine hineinsetze.“ (Heiler, 1921, S. 286)Nach einem Wort Bonaventuras ist „der Zweck des Gebets die Vereinigung mit Gott“.

Als Mittel zur Vereinigung mit Gott ist das mystische Gebet genau so wie die Askese und sittliche Arbeit nur ein Vorläufiges, Vorbereitendes, nicht ein Endgültiges; es ist nur eine Etappe auf dem Heilswege, wenn auch die letzte vor dem Ziele, es ist nur „eine goldene Leiter, die an den Himmel rührt, auf der man zu Gott emporsteigt.“ (a.a.O.)

Die Krone des Gebets ist die ekstatische Vereinigung, in der die Seele in der unermesslichen Fülle Gottes untergeht. Algazali sagt: „Das ist das beste Gebet, wenn der Beter im göttlichen Wesen aufgegangen ist, so dass das Gebet wie ein Schleier zwischen ihm und Gott erscheint.“ Mönchsvater Antonius meint: „Es ist kein vollkommenes Gebet, solange der Mönch noch ein Bewusstsein von sich und dem Gegenstand seines Betens hat.“ Angelus Silesius singt: „Das edelste Gebet ist, wenn der Beter sich in das, vor dem er kniet verwandelt inniglich.“

Die dieser Bezeichnung zugrundeliegende ekstatische Vereinigung mit Gott als Gebet ist jedoch nicht genau und metaphorisch. In der Ekstase selbst hört das allem Beten wesentliche Bewusstsein der Verschiedenheit eines Ich und Du auf. Dies ist eine Parallele zur yogischen Sichtweise, wo im überbewussten Zustand das Ich und Du aufhören zu existieren und sich Atman, die individuelle Seele, mit Brahman, der kosmischen Überseele, dem allesdurchdringenden Bewusstsein, verbindet.

Weiter heißt es bei Heiler, die das Gebet auslösende Leidenschaft der Gottesmystiker quillt bisweilen spontan aus unterbewussten Tiefen, zumeist aber saugt sie ihre affektive Innigkeit und Kraft aus der religiösen Meditation; auch die tiefe Versunkenheit der Unendlichkeitsmystiker kann der vorbereitenden Betrachtung nicht entraten. Alles mystische Beten und Kontemplieren nährt sich aus der absichtlich gepflegten und geübten Meditation.

Heiler (S. 150 ff.) führt aus „Ursprünglich ist das Gebet ein trauter persönlicher Umgang mit Gott, allmählich wird daraus eine starre, unpersönliche Kultform, ein ... geheiligter Ritus. Es kann der formlose Ruf eines Bedrückten oder Beglückten sein. Ursprünglich ist das Gebet die persönliche Äußerung eines Individuums oder des Hauptes einer Gruppe, später wird es zum unpersönlichen Amtsgeschäft der Priester. Die Anlässe zum formelhaften Gebet waren regulär, besonders bei großen Festen, deren Rituale mit entsprechenden Gebetsformeln begleitet wurden.

Mantra – (k) ein Gebet?!

Wenn man die Definitionen des Gebets liest, so ist der wesentliche Unterschied zum Mantra, dass es eine Kommunikationsform zum Göttlichen darstellt, bei der man sich in seiner Sprache Gott zuwendet.

Von Glasenapp schreibt, „da für ein Mantra die festgesetzte Aufeinanderfolge bestimmter Laute wichtig ist, ist es nur in dieser Form und in keiner anderen erfolgreich; durch eine Übersetzung oder Änderung würde es wirkungslos.“ (von Glasenapp, 1978, S. 54) Und weiter „ein Mantra ist eben kein Gebet, in dem der Gläubige dem Gott sein Herz ausschüttet und seine Fürbitten oder Danksagungen mitteilt, sondern eine Formel, die bei zweckmäßiger Anwendung einen überirdischen Kontakt zwischen dem Verehrer und dem Verehrenden herstellt“, was jedoch nicht der mystischen Vorstellung des Gebets widerspricht, da s.o. der „Zweck des Gebets die Vereinigung mit Gott“ darstellt.

Blofeld führt zu Mantra aus, dass sie „frei von Bedeutung, nicht wie Gebete, Anrufungen usw. das begriffliche Denken förderten, und dass, da jedes Mantra in geheimnisvoller Beziehung zu den vielen verschiedenen potentiellen Kräften tief in unserem Bewußtsein stehe, (...) einen dazu bringen könne, in einen Zustand zu fallen, (Hervorhebung H. L-R.) der auf andere Weise nur schwer zu erreichen sei“. (S. 27)

Der Gebrauch von Worten mit Bedeutung ist bei jeder Art von religiöser Praxis nutzlos, da Worte das dualistische Denken fördern, welches den Geist hindert, in einen wirklich spirituellen Zustand zu gelangen. „Leute, die mit Worten beten, sind noch Anfänger. Tu’s nicht!“ heißt denn auch die Aufforderung eines buddhistischen Mönchs an den Autor.

Seit es schriftliche Aufzeichnungen in der Menschheitsgeschichte gibt, hat es immer das Bestreben gegeben, Worte zu benutzen, die heilen und die die Verbindung zum Urgrund zu Gott wiederherzustellen. Die Mantra Sadhana (spirituelle Praxis, in der Mantras rezitiert werden, Anm. H. L-R) verfolgt letztendlich das Ziel, mithilfe von Worten sich wieder mit dem Urgrund, mit Gott zu verbinden, oder anders gesagt den überbewussten Zustand, Samadhi, herzustellen. Während des Gebets, wo es jedoch noch ein Ich und ein Du gibt, kann man diesen Einheitszustand nicht wirklich erreichen. (Trökes, 1998, S. 30)

Mantras sind jedoch keine Gebete, heißt es hier, da der Gläubige im Gebet Worte übermittelt, die der Gläubige wählt... Das Mantra ist kein Name für Dinge, die der Gläubige der Gottheit mitteilen möchte ... wenn das so wäre, könnte der Gläubige ebenso gut seine eigene Sprache verwenden und brauchte nicht zu bestimmten und ewigen Klängen, dem Mantra Zuflucht nehmen ... (a.a.O.)

Darum hört ein Mantra, wenn es übersetzt wird, auf, Mantra zu sein, das heißt, die in der Übersetzung gehörten und gesprochenen Worte sind nicht der Körper der Devata (Gottheit, Anm. H. L-R) und rufen diese nicht hervor. Wir wenden dann nicht denselben Ton an, sondern die Übersetzung in eine andere Sprache mit anderen Tönen, die die Bedeutung dem Intellekt des Sanskrit-Mantra geben. (Avalon, o.J., S. 170)

Wenn man nun aber Mantra weiter auffasst als über das Sanskrit hinausgehende Anrufungen Gottes in anderen Sprachen, oder wie bei Heiler ausgeführt, im mystischen Gebet, wo es auch darum geht, sich wieder mit dem Ursprung zu verbinden, sich mit Gott zu vereinen wie oben ausgeführt, dann wäre auch ein Mantra in diesem Sinne ein Gebet.

Ein Mantra ist nicht eine reine Zusammenstellung von Worten. Wenn es auch dem Nicht- Gläubigen als eine Reihe bloßer Buchstaben erscheinen mag, die eine bestimmte Bedeutung haben oder im Fall von Bija-Mantras überhaupt keine, so ist das Mantra für den Gläubigen eine Ansammlung von strahlender Energie. Eine gewöhnliche Ansammlung von Worten ist etwas Grobstoffliches. Dies sind alles Formen der Shakti, aber das Mantra, von dem hier die Rede ist, ist die Devata (Anm. die gewählte Gottheit) selbst in männlicher oder weiblicher Gestalt, verkörpert durch das Mantra. Gesprochene Worte geben den Menschen der Welt Informationen und Ratschläge, während die Mantras übermenschliche Kraft oder Shakti erwecken wollen. Das Mantra ist Brahman unmittelbar im Tonkörper. (a.a.O., S. 173)

In einer Vorlesung von Swami Niranjananda Saraswati 1989 in Munger (Niranjananda, 1989, S. 11) betont er, Gebet und Mantra sind nicht das gleiche. Wenn ein Mantra gechantet (rezitiert) wird, z.B. „So ham“, so hat das eine andere Wirkung als ein Gebet, z.B: „Oh Gott, gib mir dies, gib mir das ...“ Ein Mantra ist völlig verschieden von jedem Gebet, das wir sprechen, egal in welcher Sprache, ob Sanskrit, Latein, Englisch, Deutsch etc. Durch jedes Gebet gibt es eine emotionale Verbindung, die wir uns selbst schaffen.

Dadurch, dass ich zu jemandem bete und dass mich jemand erhört, stelle ich bewusst eine Verbindung zwischen mir und dieser Vorstellung her. Mit einem Mantra gibt es diese Verbindung nicht, vorausgesetzt, dass keine religiöse oder philosophische Bedeutung des Mantras vorhanden ist. Ein Mantra wie „Om Namah Shivaya“ ist z.B. sehr mächtig. Jedoch in dem Moment, wo man beginnt sich eine Vorstellung von Shiva in göttlicher Gestalt macht, wandelt sich das Mantra in eine Gebetsform. Denn nun taucht man nicht mehr in die Klangschwingung des Mantras ein.

Man schafft sich eine gedankliche Verbindung durch Gedanken wie „Oh ich wiederhole den Namen Shivas.“ Ebenso das Mantra „Om Namoh Narayanaya“ wird in dem Moment zum Gebet, wo man an die Vorstellung von Vishnu denkt. Swami Niranjananda schlussfolgert, dass sobald ein Mantra mit einer Vorstellung des göttlichen Aspektes gesprochen wird, und nicht mehr allein die Konzentration auf die Klangschwingung vorherrscht und das völlige Eintauchen in die Klangschwingung erfolgt, es zum Gebet wird.

Definitionen von Meditation

Die Meditation besteht einmal in der „Sammlung“, der straffen Konzentration der Aufmerksamkeit auf ein Objekt, sodann in der eingehenden „Erwägung und Betrachtung“ einer religiösen Vorstellung, die meist durch die Lektüre eines erbaulichen Textes oder die Rezitation einer Gebetsformel angeregt wird.

Eliade schreibt „Ausgangspunkt der Yoga-Meditation ist die Konzentration auf einen einzigen Gegenstand, der ebenso ein physischer Gegenstand (die Stelle zwischen den Augenbrauen, die Nasensitze, ein leuchtender Gegenstand usw.) wie ein Gedanke (eine metaphysische Wahrheit) oder Gott (Ishvara) sein kann. Diese feste und dauernde Konzentration nennt man ekagrata (auf einen einzigen Punkt) und wird durch die Integration des psychomentalen Flusses ... erreicht. Die Definition der yogischen Technik lautet: yogah cittavrittinirodhah (Prabhavananda & Isherwood, I, 2) Die unmittelbare Wirkung der ekagrata, der Konzentration auf einen einzigen Punkt, ist die rasche und klare Zensur aller Zerstreuungen und inneren Automatismen, welche das profane Bewußtsein beherrschen, ja eigentlich ausmachen. Seinen Assoziationen überlassen (die ihrerseits Produkte der Empfindungen und der vasana[7] sind) verbringt der Mensch seinen Tag, indem er sich von einer Unmenge disparater Momente überschwemmen lässt, die gleichsam außerhalb seiner selbst liegen. Sinne und Unterbewusstes bringen in das Bewußtsein fortwährend Gegenstände, welche es beherrschen und verändern, je nach ihrer Form und Intensität. Die Assoziationen zerstreuen das Bewusstsein, die Leidenschaften tun ihm Gewalt an, ..., indem er es aus sich selbst hinauswirft. Sogar in seinen intellektuellen Anstrengungen ist der Mensch passiv, denn es ist das Schicksal des profanen nicht durch die ekagrata, sondern nur durch gelegentliche Konzentrationen, ksipta-viksipta, gezügelten Denkens, von den Objekten gedacht zu werden. Unter dem Anschein des Denkens verbirgt sich in Wirklichkeit ein unbestimmtes, ordnungsloses Flimmern, das sich aus den Empfindungen, den Worten und dem Gedächtnis speist.

Die Übung der ekagrata der Konzentration auf einen einzigen Punkt ermöglicht es dem Yogi, das er jederzeit und nach Belieben die Kontinuität seines Bewusstseins unterbrechen kann anders ausgedrückt, er kann jederzeit und überall die Konzentration seiner Aufmerksamkeit auf einen einzigen Punkt herbeiführen und für jeden anderen sensorischen oder gedächtnismäßigen Anreiz unempflindlich werden. Durch die ekagrata erlangt man einen wirklichen Willen, d.h. die Macht, über einen wichtigen Bereich der psychosomatischen Aktivität frei zu herrschen.

Um diesen Zustand der Konzentration zu erreichen gibt es im Yoga eine Reihe von physiologischen Übungen und Techniken. Denn ekagrata kann nicht erreicht werden, wenn der Körper übermüdet und in einer unbequemen Stellung ist oder der Atem desorganisiert und unrhythmisch ist. Daher enthält die yogische Technik nach Patanjali mehrere physiologische Praktiken und geistige Übungen um schließlich zur höchsten Stufe, Samadhi genannt, zu gelangen. (Eliade, 1985, S. 55, 56)

Es gibt acht Stufen, bzw. Glieder die Patanjali aufzählt, daher auch als AshtangaYoga bekannt, als die acht Stufen. Man spricht auch von Raja Yoga dem Königsweg des Yoga, dem Weg, der systematischen Analyse und Kontrolle des Geistes. Diese Stufen sind in einer Hierarchie aufgebaut, die man außer unter bestimmten Umständen - auf die hier nicht weiter eingegangen wird – (s. Kap. 3.3) nicht überspringen sollte, um Fortschritt auf dem Weg der geistigen Kontrolle zu machen. Jemand der auf der Suche nach der Befreiung ist, sollte sich an diese moralischen Regeln halten.

Meditation (lat. meditatio, meditari, „nachdenken”) bezeichnet das nachdenkende Eindringen in eine Sache. In der Regel ist dabei an ein methodisch geordnetes Verfahren zu denken, das eingeübt werden kann und der Höherführung des Menschen dient. (....) Meditation spielt meist keine selbständige Rolle, sondern ist nur Stufe auf einem Weg, Glied in einer Kette psychagogischer Akte, Vorbereitung etwa der mystischen Ekstase, und hat als solche keinen selbständigen religiösen Wert ... Ziel und Gegenstand der Meditation sind von religiösen und weltanschaulichen Voraussetzungen abhängig. (Betz, 2001, S. 824)

Da sich meine Arbeit auf die Sanskrit Mantras begrenzt, gehe ich auf den Aspekt der Meditation nach hinduistischen Vorstellungen ein. „In formal engstem Anschluß daran ist der in Indien entwickelte Yoga zu nennen, eine methodisch streng durchgebildete Praxis geistiger Konzentration. Seine klassische Lehrschrift Yoga Sutras stammt aus dem 1. Jh. n. Chr. Auch hier ist ein achtgliedriger Weg vorgeschrieben, dessen 7. Stufe der M. gewidmet ist.“ (a.a.O.). (vgl. auch Kap. 3.3)

„Meditation ist ein Sich-Versenken,ein nachdenkliches Eindringen, das durch Schweigen, Entspannung und inneres Lauschen gekennzeichnet ist. Meditationsverfahren enthalten sowohl körperbezogene Übungselemente (Lotussitz, Atemkontrolle) als auch kognitive. Die Aufmerksamkeit wird auf eine monoton sich wiederholende Reizquelle (Mantra, Rhythmus) ausgerichtet.“ (Grawe et. Al., 1994, S. 618).

„Allgemein können wir Meditation als eine Methode der Bewusstheitssteigerung durch Ausrichtung der Aufmerksamkeit beschreiben. Die Aufmerksamkeit kann wie etwa bei der konzentrativen Meditation auf ein bestimmtes Objekt ausgerichtet sein oder in nicht- selektivem Gewahrsein aller Erfahrung völlig offen bleiben. Meditationsobjekte können zum Beispiel der Atem, bestimmte Empfindungen, Laute, oder visuelle Vorstellungsbilder sein. Bei anderen Formen werden Gefühle wie Liebe oder Mitgefühl erzeugt und erfahren.“ (Walsh & Vaughan, 1985)

Yoga und Psychologie

Wenn die psychologische Dimension des Yoga im folgenden hervorgehoben wird, so stellt sich natürlich die Frage, ob es eine Wirksamkeit im psychischen Bereich gibt, ob es zu Veränderungen im Verhalten und Erleben von Menschen durch Yoga kommt, in dieser Arbeit speziell durch Mantra-Yoga. Dies wird durch den empirischen Teil untersucht werden.

Nachdem auf die für die Mantrarezitation wesentlichen Yoga-Wege eingegangen worden ist, wird im folgenden eine Verbindung zwischen Yoga und Psychologie hergestellt. Dafür wird auf das Welt- und Menschbild der Samkhya-Philosophie eingegangen. Daran schließt sich dann eine Ausführung über die Bildung von Gewohnheiten und die Veränderungen von Gewohnheiten durch Yoga an.

Die Psychologie ist in viele Schulen zersplittert und man kann, wenn man sich auf einen spirituellen Weg begibt auch dort viele Schulen und Untergruppierungen finden. Daher ist dieses Kapitel eine subjektive Selektion, die als theoretischer Hintergrund für den empirischen Teil gilt. In Anlehnung an Unger gebe ich hier das Gleichnis von der Landkarte wieder: wenn im folgenden psychische Modelle und Theorien vorgestellt werden, selbst wenn es sich um hohe Yogaphilosophie handelt, so sind dies alles Landkarten, die auf etwas hinter ihnen Liegendes verweisen es aber selbst nicht sind. (Unger, 1999, S. 17)

Es ist das gleiche Verhältnis wie zwischen einem Namen und dem damit bezeichneten Menschen, zwischen einem Begriff und dem damit benannten Objekt. Nicht die genaueste Landkarte, nicht einmal ein Stadtplan, wird jemals tatsächlich jemals der Landschaft oder Stadt gleichen. Niemals wird in meinem tatsächlichen Erleben der Landschaft etwas identisch sein mit der Abbildung auf der Karte. Erst durch die konkrete Erfahrung des Betrachters bekommen sie Bedeutung.

Ich übernehme die von Unger aufgeführte (1999) Strukturierungshilfe, wonach Ansätze unterschieden werden nach ihrem

  • Welt- und Menschenbild
  • Störungskonzept: Wodurch entsteht (psychisches Leiden)? (Pathologie)
  • Behandlungsansatz: Wodurch wird Leiden beseitigt? (Therapie)

Um einen Behandlungsansatz zu verstehen, ist es hilfreich das dahinterliegende Welt- und Menschenbild zu kennen.

Das Weltbild der Samkhya Philosophie

Samkhya legt zwei grundlegende unüberwindlich voneinander getrennte Prinzipien fest: prakrti (gesprochen: prakriti) und purusa (gesprochen: puruscha). Prakrti: Die Ur-Natur, das latente Prinzip der Materie, die letzte Ursache der Welt. Dieses Prinzip ist nicht Materie an sich, z.B. Atome im westlichen Sinne, sondern als letzte Ursache feiner als alles, was aus ihm stofflich entsteht (wie auch der menschliche Geist). Prakrti besteht aus drei Qualitäten, den gunas:

  • Tamas: schwer, unbeweglich, träge, dunkel, fest.
  • Rajas: bewegt, aktiv, veränderlich, leidenschaftlich, feurig.
  • Sattva: ausgeglichen, rein, glücklich, zufrieden, lichtvoll.

Alle Erscheinungen in der Welt entstehen aus unterschiedlichen Mischungsverhältnissen der gunas, während diese stets untrennbar miteinander verbunden bleiben und nicht einzeln wahrnehmbar sind. Alle Objekte der Welt, bestehend aus den gunas, führen entweder zu Genuß, zu Leiden oder sind neutral. Wesentlich ist, dass es keine positiven oder negativen gunas gibt, sondern nur ein Überwiegen des einen oder anderen. Ohne tamas gibt es keine Festigkeit und Beständigkeit – aber zuviel an tamas führt zu Erstarrung und Dumpfheit. Ohne rajas keine Veränderung, keine Evolution – zuviel rajas führt zu Chaos und Verwirrung. Ohne sattva keine Harmonie und friedvolle Ausgeglichenheit – zuviel führt zu ‚Abheben’, Verlust von Stabilität und Kontakt zur materiellen Welt.

Die gunas haben eine objektive Seite in der äußeren Welt sowie einen subjektiven Aspekt in der inneren Welt. Nicht nur äußere Objekte, sondern auch Erlebniszustände und Handlungen können entsprechend den gunas eingeordnet werden mit der Frage, welcher Mischungszustand vorliegt bzw. welches guna dominiert. (vgl. BG[8], 17; 2 ff)

Purusa: Dies ist das zweite Prinzip der dualistischen Philosophie, nämlich das reine Bewußtsein, das spirituelle Selbst, welches unveränderlich, ewig, ungebunden, unberührt und unberührbar ist. Was auch immer aus etwas anderem hervorgeht oder Veränderung und Tod unterworfen ist, ist nicht purusa. Das Prinzip des Bewusstseins (purusa) durchdringt alles was aus prakrti entsteht. Je feinstofflicher die materiellen Evolute (das, was sich aus etwas anderem heraus entwickelt) sich formen, desto eher vermag purusa sich darin zeigen. Alles Bewußtsein in der Welt (also auch des Menschen) ist gleichsam ein Tropfen aus dem unendlichen Ozean des purusa, der selbst unberührt und unverändert davon bleibt. Gemäß der Samkhya-Philosophie gibt es daher viele ‚kleine purusas’, die individuellen Seelen (atman). Somit drücken sich die Seelen in den Objekten der manifesten Welt aus (dazu gehört auch der Geist des Menschen), die dadurch zu Instrumenten des reinen Bewusstseins (des purusa) werden.

Die Evolution der Welt

Die Welt der Erscheinungen kann weder allein von prakrti noch von purusa hervorgebracht werden. Ersteres ist unbewusst (könnte sich also nicht gezielt und ‚intelligent’ formen) und ruht ursprünglich in vollständiger Balance der drei gunas. Da Purusa keine Aktivität hat und es der Möglichkeit sich zu verändern oder zu verstofflichen mangelt, wird über die Qualität rajas (Bewegung, Aktivität) das Gleichgewicht in prakrti gestört. Damit ist der Evolutionsprozess vom Unmanifesten zum Manifesten ausgelöst. Es entsteht

Mahat oder buddhi: Die intuitive Weisheit, die unterscheidende Intelligenz. Dies ist der erste und feinstofflichste Zustand, welchem sich das reine Bewusstsein, das Licht von purusa, in der sich entwickelnden Welt ausdrücken kann. Mahat bezieht sich dabei auf die Entwicklung des Universums, buddhi auf die Entwicklung des individuellen Geistes. Als nächstes entwickelt sich

Ahamkara: Der Ich-Macher, das Identifikationsvermögen. Auf der universellen Ebene ermöglicht dieses Evolut die nachfolgende Entstehung von Entitäten (getrennten Seins- Zuständen), die voneinander abgegrenzt sind. Dazu kann man auch die fein- und grobstofflichen Elemente zählen. Psychisch entsteht aus ahamkara das Gefühl der Trennung von Ich und Du und die Identifikation mit dem, was mich (scheinbar) individuell ausmacht. (z.B. Ich bin Psychologiestudentin, Ich heiße ...) Aus scheinbar sattvischen (lichtvollen, reinen) Anteilen von ahamkara entstehen (unter Anstoß von rajas) weiter

Manas: Der Geist;

Jnanaendriyas: Die fünf kognitiven (wahrnehmenden) Sinne Hören, Berührungsempfinden, Sehen, Schmecken und Riechen;

Karmendriyas: Die fünf aktiven (handelnden) Sinne Sprechen, Greifen, Fortbewegung, Ausscheidung und Fortpflanzung. Aus überwiegend tamasischen Anteilen von ahamkara entstehen die

Tanmatras: Die fünf feinen Elemente, Klang, Berührung, Form/Farbe, Geschmack und Geruch. Sie sind die Prinzipien, auf deren Basis die weiter entstehenden fünf groben Elemente wahrgenommen werden können, nämlich die

Mahabhutas: Raum (Äther), Luft, Feuer, Wasser und Erde.

Siehe Abb. 1 über das Sarnkhya Modell. (Quelle: Unger, 1999, S. 24)

1. Hier ergibt sich ein Modell sowohl für die Entstehung des Universums wie auch zur Erklärung der Funktionsweise des menschlichen Geistes. Die Weltschau hängt also eng mit dem Zustand des individuellen Geistes zusammen.

2. Im Samkhya ist der Geist zwar feinstofflich, aber materiell. Im Westen wird er der Bewusstseinssphäre zugeordnet und ist immateriell.

3. Die Samkhya Philosophie enthält eine Theorie über Ursache und Wirkung (satkaryavada). Danach ist eine Wirkung schon vor ihrer Manifestation in ihrer Ursache vorhanden bzw. verborgen. Nichts wird neu geschaffen oder hervorgebracht, sondern es entfaltet sich das zuvor Verborgene. Aus psychologischer Sicht führt dies zu dem Konzept, dass Bewegung und Aktivität auf einer groben Ebene stets auf eine Bewegung und damit Ursache von einer feineren Ebene hinweisen. Zeigt eine Person ein bestimmtes äußeres Verhalten, sind diesem feine und feinste Bewegungen im Geist vorausgegangen. Der Yoga zielt mit seinen Übungen vornehmlich auf eine Veränderung des Zustandes und der Eigenschaften des Geistes. Das grundlegende Gesetz über Ursache und Wirkung wird mit dem Begriff Karma ausgedrückt. In diesem Zusammenhang wird immer das Bild von den verborgenen Saatkörnern (samskaras) genannt, die sich ihrer Wirkung entfalten und damit das Handeln des Individuums beeinflussen.

Das Menschenbild – ein Modell des Geistes

Es ergibt sich aus der Samkhya-Philosophie ein Modell des menschlichen Geistes, welches als antahkarana (das innere Instrument) bezeichnet wird. Dabei handelt es sich aber nicht um unser Instrument, sondern um das Instrument von purusa, um sich in der Welt auszudrücken. Es soll nun auf das Modell des Geistes eingegangen werden, das neben den Instanzen manas, ahamkara, buddhi noch citta („Lagerhaus der vielen Eindrücke, die unsere Begierden im Wachzustand zurücklassen“, Shankara) umfasst. Nicht zu verwechseln mit dem citta bei Patanjali, wo es nur die drei ersten erwähnten Instanzen umfasst. (vgl. Prabhavananda & Isherwood, 1998) Die Funktionsweise dieser Instanzen kann folgendermaßen erläutert werden: (in Anlehnung an Unger und Prabhavananda)

Manas: Sinnesempfindungen laufen hier ein und werden geordnet, zusammengefasst und verarbeitet. Manas verhält sich vergleichbar eines Bildschirms, auf den unablässig die Empfindungen der Wahrnehmungsorgane projiziert werden. Dabei nimmt manas Form und Färbung der Wahrnehmungsobjekte an (dies ist ein klassischer ‚Beweis’ für die Feinstofflichkeit des Geistes) und es kommt dadurch zu bewussten Wahrnehmungen. Eine weitere Aufgabe von manas ist entsprechend der wahrgenommenen Situation Reaktionen (Handlungen nach außen) herbeizuführen. Kommt es dabei nicht zu eindeutigen ‚Anweisungen’ von ahamkara oder buddhi, läuft die Reaktion entsprechend der Verhaltensgewohnheiten ab, die aus citta (dem Lagerhaus) aufsteigen. Citta: Dort sind alle Erinnerungen gespeichert, wobei jede Bewegung des Geistes eine Spur, ein Saatkorn (samskara) hinterlässt.

Diese Eindrücke werden aus citta nach manas projiziert und führen so automatisch zu einer Wiederholung schon zuvor gezeigter Verhaltensweisen. Je ruhiger die Projektionsfläche manas wird, weil die Sinneswahrnehmungen von außen zur Ruhe kommen, desto stärker beginnen Erinnerungen, Phantasien, Tagträume und Triebimpulse aus citta emporzuquellen und den Geist zu verfärben.

Ahamkara: der Ego-Sinn, der der alle Sinneseindrücke als seine eigenen ansieht und sie als individuelles Wissen lagert. Psychodynamisch setzt ahamkara die in manas einlaufenden Wahrnehmungen in Beziehung zu den eigenen Zuständen und Bedürfnissen und bewertet sie in Hinblick auf die Konsequenzen. Sowohl physiologische Zustände (z.B. Hunger) oder Emotionen (Angst) wie auch Wünsche (Ich will ein neues Fahrrad) und Selbstbildanteile (Ich bin Psychologin) bestehen als fluktuierende Identifikationen in ahamkara und färben bzw. formen den Geist.

Durch ahamkara wird es uns in einer Welt der sich ständig verändernden gunas (siehe prakrti), mit einer ständigen Konfrontation mit Genuss und Leiden erst möglich, uns als Subjekt wahrzunehmen und unsere Selbsterhaltung zu sichern. Das Erleben der Individualität bringt anderseits (manchmal schmerzliche) Trennungsgefühle mit sich und die Ahnung, aus der Einheit gefallen zu sein.

Ahamkara interpretiert die Bewegungen des Geistes entsprechend seiner Voreinstellungen, und zwar im Sinne maximaler Bedürfnisbefriedigung und der Bestätigung der schon vorhandenen Identifikationen.

Buddhi: Das Unterscheidungsvermögen oder die intuitive Weisheit. Nachdem eine Situation wahrgenommen und entsprechend den individuellen Bedürfnissen und Zuständen bewertet wurde, wird mitunter eine (Handlungs-) Entscheidung gefällt, die vom Unmittelbaren absieht, längerfristige Konsequenzen reflektiert oder eine ethische Stellungnahme beinhaltet. Dafür ist buddhi zuständig. Somit stellt buddhi eine integrierende, reflektierende und bewusst machende Instanz dar, von der aus z.B. Willensentscheidungen entgegen ursprünglichen Verhaltensmustern oder momentanen inneren Zuständen möglich sind.

Je stärker buddhi entwickelt ist, desto häufiger kommt es zu einem bewussten Wahrnehmen der eigenen Zustände, Gedankentätigkeit (‚innerer Dialog’) und Gefühle, die dann reflektiert werden können (Lösen der zuvor bestandenen Identifikationen). Je weniger buddhi geschult ist, desto mehr sind die inneren Abläufe des Geistes und die gezeigten Verhaltensweisen durch schon bestehende Gewohnheiten und gegenwärtige Befindlichkeiten und Bedürfnisimpulse, die durch die Außenreize stets wiederkehrend ausgelöst werden (Zustand der Identifikation, Kontrolle durch äußere Reize und ‚Unfreiheit’ des Verhaltens).

Die Entwicklung von buddhi, der zunehmend die Bewegungen des Geistes beobachten lernt, ohne sich in ihnen zu verlieren, ist ein zentrales Anliegen des Yoga-Übungsweges. Alle vier genannten Instanzen wirken als Ganzes und sind nicht voneinander getrennt.

Erkenntnisse

Daraus ergeben sich folgende Erkenntnisse: Purusa, das reine Bewusstsein und spirituelle Selbst (auch atman genannt) durchdringt alle Bereiche des Geistes und alle anderen Evolute aus prakrti bis hin zu den grobstofflichsten Objekten, so wie Gold in verschiedensten Konzentrationen Schmuckstücke durchdringt und sich mit ihnen vermischt, jedoch als Gold davon unberührt bleibt.

Der Geist des Menschen an sich ist unbewusste und unbelebte feinstofflichste Materie, und erst die Durchdringung mit dem spirituellen Selbst verleiht ihm Bewusstsein. Traditionell wird dieser Zusammenhang dadurch belegt, dass Gedanken und Gefühle beobachtbar sind. Das Beobachtete kann nicht der Beobachter sein, der Seher nicht das Gesehene. Purusa als ‚der Seher’ kann nur entsprechend der Wellen und Verschmutzungen der Oberfläche des Sees wahrnehmen. Die an purusa gespiegelte Erkenntnis der äußeren Welt ist daher eine Reflektion des Zustandes der Instrumente. Der Wahrnehmungsprozess durch purusa wird somit zu einer verzerrten Konstruktion entsprechend des Zustandes des Geistes.

Daher gibt es ein wahrnehmendes und bewusstes Prinzip jenseits des individuellen Geistes – das ist purusa. Buddhi hat die feinste und reinste materielle Struktur und steht purusa am nächsten. Hierdurch wird das höhere Selbst am wenigsten verschleiert und kann seine Reinheit und Weisheit am ehesten in buddhi ausdrücken. Mit zunehmender Vergrobstofflichung der Instanzen des Geistes wie auch durch seine ständigen Bewegungen und Färbungen wird das reine Licht des purusa mehr und mehr verschleiert und verdunkelt. Daher wird häufig in den Schriften von Verunreinigung der Instrumente gesprochen und von Yoga als einem Weg der Reinigung (körperlich und geistig).

Der menschliche Geist ist kein reiner und stiller See (oder Spiegel), in dem sich das Licht von purusa ungebrochen zeigen und in die Welt strahlen kann. Doch dienen die Yoga Wege und unter anderem der Mantra Yoga dazu, den Geist zu beruhigen, daher wird das Mantra u.a. auch als Werkzeug des Geistes bezeichnet. Im folgenden sollen auf die unterschiedlichen Zustände des Geistes eingegangen werden.

Zustände des Geistes

Im folgenden sollen die verschiedenen Entwicklungszustände des Geistes, die Vyasa (Prabhavananda, PYS I; 1) vornimmt, erläutert werden. Ksipta: Unruhig, verwirrt, in vollständiger Bewegung, von einem Inhalt oder Objekt zum nächsten springend, dominiert von dem guna rajas (vgl. Kap. 8.1) Dies ist einer der üblichen Wachzustände normalen Alltagsbewusstseins.

Mudha: Träge, dumpf, verdunkelt, inaktiv, dominiert von tamas. Hierdurch sind Schlaf, Ohnmacht, aber auch Zustände von Müdigkeit oder ‚geistiger Vernebelung’ (etwa durch Medikamente, Alkohol oder Drogen) gekennzeichnet.

Viksipta: Ein Wechsel zwischen den Zuständen von ksipta und mudha, ergänzt um kurze Phasen der Konzentrationsfähigkeit (sattva beginnt zu wirken), die immer wieder durch den Einfluß von rajas oder tamas unterbrochen werden. Diese Ablenkungen werden viksepas genannt und in PSY I; 30 und 31 aufgelistet.

Ekagra[9]: Fähigkeit zur einpünktigen Konzentration ohne Ablenkungen, d.h. die Bewegungen des Geistes sind kontrolliert. Vyasa identifiziert ekagra mit einer Form des samadhi (samprajnata samadhi).

Nirodha: Vollständige Kontrolle und Stillung der Bewegungen des Geistes ohne Objekt, Befreiung (asamprajnata samadhi).

Diese Unterteilungen sind zeitlich überdauernde Entwicklungsstufen einer Person, die wie die gunas oder den kosas (siehe unten) helfen, Gedanken und Gefühle (in der Therapie auch die von anderen Menschen) zu reflektieren und Veränderungen der Zustände zu beobachten. Der Geist im Alltag entspricht meistens ksipta und mudha, ist jedoch mit dem Zustand des Yoga unvereinbar.

Das Modell der kosas (koschas ausgesprochen)

Die verschiedenen aus prakrti entstehenden Manifestationen lassen sich auch als konzentrische Kreise darstellen, die sich Schicht um Schicht um das höhere Selbst, den purusa oder atman, herumlegen. Dadurch wird zum einen die Vergrobstofflichung und andererseits die zunehmende Einhüllung des Lichtes und der Klarheit des purusa veranschaulicht wie auch die Tatsache, dass jede Manifestation der prakrti (und damit auch die verschiedenen Instanzen des Geistes) ‚verschieden weit’ von purusa entfernt sind. Um sich an purusa oder atman im Sinne einer Erfahrung des reinen Bewusstseins zu nähern verläuft der Weg von außen nach innen, vom Groben zum Feinen.

Fußnoten

[1] „Ashram: ein Zentrum für religiöse Studien mit Meditation; es kann ein Heim, ein Landhaus, eine Einsiedelei oder ein Kloster sein; jeder Versammlungsort spirituell Strebender ist ein Ashram.“ (Mittwede, 1999, S. 37)

[2] Irrational: „wenn man zu einem seltsamen, dem verständigen Deuten sich durch seine Tiefe entziehenden Ereignisse sagt: ‚Es liegt ein Irrationales darin’. Wir meinen mit ‚rational’ in der Idee des Göttlichen dasjenige was von ihr eingeht in die klare Fassbarkeit unseres begreifenden Vermögens, den Bereich vertrauter und definibeler Begriffe. Wir behaupten sodann, daß um diesen Bereich begrifflicher Klarheit her eine geheimnisvoll-dunkle Sfäre liege, die nicht unserem Gefühl wohl aber unserem begrifflichen Denken sich entziehe und die wir insofern ‚das Irrationale“ nennen. ...Für alle gefundenen Momente des Numinosen, ... „es entzieht sich aller Sagbarkeit“ (Otto, 1922, S. 71); „1 mit dem Verstand nicht erfassbar; 2 vernunftwidrig, 3 unberechenbar“ (Wahrig-Burfeind,1998, S. 420)

[3] Transzendent: 1. „die Grenzen der Erfahrung u. des sinnlich Wahrnehmbaren überschreitend“ (a.a.O., S. 954)

[4] Karma: Tat, Handlung, Aktivität; Gesetz von Ursache und Wirkung (vgl. Mittwede, 1999)

[5] Mantra ist die Bezeichnung, die im Westen eher gebräuchlich ist, aber Mantram ist die ursprüngliche Form des Wortes in Sanskrit. (vgl. Eknath Easwaran, a.a.O., S. 37) Dennoch werde ich die hier im Westen verwandte Form des Mantra benutzen, Anm. H. L-R) Zudem wird in einigen Definitionen Mantra als das Mantra, (s. Lexikon der Östlichen Weisheitslehren) dann aber auch z.B. im Spirituellen Wörterbuch von der Mantra gesprochen. Ich werde in dieser Arbeit immer von „das Mantra“ sprechen. Eventuelle grammatikalische Abweichungen in Zitaten hängen dann mit der Originalzitierweise zusammen. Auch kann man manchmal Unterschiede in der Groß- und Kleinschreibung finden. Ich werde hier, wenn es sich nicht um Originalzitate handelt, immer die Großschreibung verwenden. (Anm. H. L-R)

[6] Mystik: vom griech. myein hergeleitet, heißt es Augen schließen sowie indirekt schweigen. Offenbar bildet das Bild des sich sammelnden und meditierenden Menschen die Brücke zwischen beiden Bedeutungen. Die Mysten waren in den antiken Mysterienkulten die Neueingeweihten, die Augen und Mund während der Weihe geschlossen zu halten hatten. Unmittelbar verwandt ist mysterion – Geheimnis, nicht aber (Hervorhebung H. L-R) Mythos, mythisch, womit eine urtümliche (arachische) heilige oft religionsbegründende Sage bezeichnet wird. In der abendländischen rationalistischen Wissenschaftskultur der letzten hundertfünfzig Jahre hatte Mystik einen abfälligen Klang: Mystik war alles, was sich der rationalen Begründung entzog, im Religiösen fast gleichbedeutend mit Okkultismus (...), doch darüber hinaus aufs Künstlerische ausgreifend und hier mit einem Anklang an Schwärmerei für übersinnliche Realitäten. Erst in den letzten Jahren ist eine enorme Aufwertung des Wortes und Phänomens zu verzeichnen. Es setzt sich die Erkenntnis durch, dass Mystik, d.h. die schweigende, über alle Worte und rationale Fassbarkeit hinausgehende Erfahrung des Göttlichen, der gemeinsame Mutterboden, ja die gemeinsame Substanz aller bedeutenden (dauerhaften) Religionen ist. (Dunde, 1993, S. 206)

[7] vasana: Wunsch, Neigung, Impuls; Instinkt, Charakterzug; Eindruck, geistiger Impuls; Erinnerung; Verlangen; Bindung; Tradition. Gemeint sind insbesondere ins Unterbewusstsein gesunkene und verborgene Wünsche, Neigungen und Ambitionen, sowie Eindrücke, die jederzeit wieder an die Oberfläche kommen können. ... (Mittwede, 1999, S. 274)

[8] als Quellenverweise werden folgende Abkürzungen verwandt: BG = Bhagavad Gita, PYS = Patanjali Yoga- Sutras; SK = Samkhya Karika.