Klassische Upanishaden - Die Kena-Upanishad des Samaveda
Quelle:
Klassische Upanishaden
- Die Weisheit des Yoga -
Auszüge aus dem Werk
„Sechzig Upanishads des Veda“
von Paul Deussen
Originalausgabe F.A. Brockhaus, Leipzig, 1897
Neuauflage B. Kleine Verlag GmbH, Bielefeld, 1980
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Erster Khanda
1. „Von wem gesandt, fliegt ausgesandt das Manas hin? Von wem zuerst geschirrt, streicht hin der Odem? Wer schickt die Rede aus, die wir hier reden? Wer ist der Gott, der anschirrt Ohr und Auge?“ 2. Des Hörens Hören und des Denkens Denken, Der Rede Reden ? sie ist Hauch des Hauchs nur, ? Des Auges Sehn, ? der Weise lässt sie fahren; Und wird, hinscheidend aus der Welt, unsterblich. 3. „Das, bis zu dem kein Aug' vordringt, Nicht Rede und Gedanke nicht, Bleibt unbekannt, und nicht sehn wir, Wie einer es uns lehren mag!“ 3b. Verschieden ist’s vom Wissbaren, Und doch darum nicht unbewusst! ? So haben von den Altvordern Die Lehre überkommen wir. 4. Was unaussprechbar durch Rede, Wodurch Rede aussprechbar wird, Das sollst du wissen als Brahman, Nicht jenes, was man dort verehrt.
5. Was durch das Denken undenkbar, Wodurch das Denken wird gedacht, Das sollst du wissen als Brahman, Nicht jenes, was man dort verehrt. 6. Was durch das Auge unsehbar, Wodurch man auch das Auge sieht, Das sollst du wissen als Brahman, Nicht jenes, was man dort verehrt. 7. Was durch die Ohren unhörbar, Wodurch man auch das Ohr vernimmt, Das sollst Du wissen als Brahman, Nicht jenes, was man dort verehrt. 8. Was man durch Riechen nicht wahrnimmt, Wodurch das Riechen wird gewirkt, Das sollst Du wissen als Brahman, Nicht jenes, was man dort verehrt.
Zweiter Khanda
9. Wenn du (in der erwähnten Weise das Brahman verehrend) vermeinst, dass du es wohl kennest, so ist das trügend; auch so kennst du von Brahman nur die Erscheinungsform, was von ihm du (als verehrendes Subjekt) bist und was von ihm unter den Göttern (als Objekt der Verehrung) ist. Du musst es also noch weiter erforschen. „Ich meine doch, es zu wissen! 10. Zwar weiß ich es nicht ganz, doch auch Nicht weiß ich, dass ich es nicht weiß! Wer von uns etwas weiß, weiß es, Nicht weiß er, dass er es nicht weiß.“ 11. Nur wer es nicht erkennt, kennt es, Wer es erkennt, der weiß es nicht? Nicht erkannt vom Erkennenden, Erkannt vom Nicht-Erkennenden! 12. In wem es aufwacht, der weiß es Und findet die Unsterblichkeit; Dass er es selbst ist, gibt Kraft ihm, Dass er dies weiß, Unsterblichkeit.
13. Wer ihn hienieden fand, besitzt die Wahrheit, Wer ihn hier nicht fand, dem ist's groß Verderben. In jedem Wesen nimmt ihn wahr, der Weise Und wird, hinscheidend aus der Welt, unsterblich.
Dritter Khanda
14. Es geschah, dass das Brahman für die Götter den Sieg (über die Dämonen, Brih. 1,3) erfocht. Die Götter aber brüsteten sich ob die-ses Sieges des Brahman; denn sie dachten: „Unser ist der Sieg, un-ser ist dieser Ruhm.“ 15. Als das Brahman bemerkte, dass sie das taten, machte es sich ihnen offenbar; sie aber erkannten es nicht und sprachen: „Was ist das für ein Wunderding?“ 16. Und sie sprachen zu Agni: „Erforsche doch, o Wesenkenner, was das für ein Wunderding ist!“ ? „So sei es!“ sprach er. 17. Und er stürzte auf dasselbe los. Da redet das Brahman ihn an und sprach: „Wer bist du?“ ? „Ich bin der Agni“, sprach er, „ich bin der Kenner der Wesen.“ ? 18. „Wenn du der bist, welches ist deine Kunst?“ ? „Ich vermag, dieses alles zu verbrennen, was hier auf Erden ist.“ ? 19. Da legte ihm Brahman einen Strohhalm vor und sprach: „So ver-brenne dieses!“ ? Er stürmte darauf los mit allem Ungestüme, aber er vermochte nicht, ihn zu verbrennen. Da kehrte er zurück und sprach: „Ich habe es nicht zu erforschen vermocht, was das für ein Wunderding ist.“ 20. Da sprachen sie zu Vayu (dem Gott des Windes): „Erforsche doch, o Vayu, was das für ein Wunderding ist!“ ? „So sei es!“ sprach er.
21. Und er stürzte auf dasselbe los. Da redete das Brahman ihn an und sprach: „Wer bist du?“ ? „Ich bin der Vayu“, sprach er, „ich bin der Matarishvan (der in der Mutter, d. i. dem Luftraume, Schwellende).“ 22. „Wenn du der bist, welches ist deine Kunst?“ ? „Ich vermag, dieses alles fortzureißen, was hier auf Erden ist.“ ? 23. Da legte ihm Brahman einen Strohhalm vor und sprach: „So reiße dieses fort!“ ? Er stürmte darauf los mit allem Ungestüme, aber er vermochte nicht, es fortzureißen. Da kehrte er zurück und sprach: „Ich habe es nicht zu erforschen vermocht, was das für ein Wunderding ist.“ 24. Da sprachen sie zu Indra : „Erforsche doch, o Mächtiger, was das für ein Wunderding ist!“ ? „So sei es!“ sprach er. Und er stürzte auf dasselbe los. Da verbarg es sich vor ihm. 25. Er aber begegnete an demselbigen Orte einem Weibe, die war sehr schön, der Uma, Tochter des Himavant (der Gemahlin des Shiva, hier als Personifikation des Wissens auftretend). Zu der sprach er: „Was ist das für ein Wunderding?! ?
Vierter Khanda
26. „Das ist das Brahman“, sprach sie, „das Brahman, welches jenen Sieg erfocht, ob des ihr euch brüstet!“ ? Da erst erkannte er, dasss das Brahman war. 27. Darum, fürwahr, sind diese Götter gleichsam erhaben über die an-deren Götter, nämlich Agni, Vayu und Indra . Denn sie hatten das Brahman am nächsten berührt, sie (und unter ihnen wieder Indra ) hatte es zuerst erkannt, dass das Brahman war. 28. Darum, fürwahr, ist Indra gleichsam erhaben über die andern Göt-ter, denn er hatte Brahman am nächsten berührt, er hatte es zuerst erkannt, dass es das Brahman war. 29. Über selbiges ist diese Unterweisung. Was an dem Blitze das ist, dass es blitzt und man ruft „ah“ und schließt die Augen, ? dies, dass man „ah“ ruft (ist seine Unterweisung) in Bezug auf die Gott-heit. 30. Nun in Bezug auf die Seele. Wenn etwas gleichsam eintritt in den Geist, dass man dadurch sich erinnert an etwas im Augenblick, dieses Vorstellen (ist seine Unterweisung).
31. Selbiges heißet mit Namen: „Nach-ihm-das-Sehnen“; als „Nach-ihm-das-Sehnen“ soll man es verehren. Wer selbiges als solches weiß, zu dem wohl sehnen hin sich die Wesen alle. 32. Sagst du noch: „Lehre mich die Upanishad“, so antworten wir: Gelehrt ist die Upanishad, denn wir haben dir die geheimnisvolle Lehre von dem Brahman verkündigt. 33. Die Buße, die Bezähmung, das Werk, das sind ihre Grundlagen (die sie voraussetzt), die Veden bilden alle Glieder (Taitt. 2,3) derselben, die Wahrheit, das ist ihr Stützpunkt. Wahrlich, wer dieselbe also weiß, der wehret dem Bösen und in der unendlichen Himmelswelt, der unüberwindlichen ist er gegründet, ? ist er gegründet.