Der Zerstörer der drei Städte: Unterschied zwischen den Versionen

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'''Der nachfolgende Text ist dem Buch "Indische Mythen und Symbole - Schlüssel zur Formenwelt des Göttlichen" des Indologen [[Heinrich Zimmer]] entnommen (Originaltitel "Myths and Symbols in Indian Art and Civilization", Bollingen Foundation Inc., New York). Übersetzung aus dem Englischen von Ernst Wilhelm Eschmann, Eugen Diederichs Verlag, München 1981, 5. Aufl. 1993'''
#weiterleitung[[Zerstörer]]
 
==Indische Mythen und Symbole - Kapitel 4: Shivas kosmisches Entzücken==
 
===Teil 7: Der Zerstörer der drei Städte===
Bevor wir uns den Mysterien [[Devi]]s, »Der Göttin«, zuwenden, wollen wir noch einen weiteren der »festlich-spielenden Aspekte« der großen Gottheit betrachten, deren »feststehende oder Grundfigur« der [[Lingam]] ist. Ein Relief aus Elura, datiert vom 8. Jahrhundert n. Chr., stellt [[Shiva]] als [[Tripurantaka]] dar, »der, welcher den drei Städten oder Festungen ein Ende macht«. Es ist der Gott als Eroberer und Befreier der ganzen [[Welt]].
 
Entsprechend einer alten vedischen Auffassung umfaßt das [[Universum]] drei Welten ([[Triloka]]),
 
*1. die [[Erde]],
*2. den Mittelraum oder die Atmosphäre und
*3. das Firmament oder den [[Himmel]].
 
Diese werden »die drei Städte« ([[Tripura]]) genannt (darum wird die Höchste Göttin Devi, welche die weibliche Personifikation der totalen Schöpfungsenergie ist, als »die Schönste der drei Städte« ([[Tripurasundari]]), d. h. »Unsere Liebe Frau des Alls« bezeichnet). Shiva als Tripurantaka setzt den drei Städten ein Ende ([[Anta]], verwandt mit dem deutschen und englischen Ende, end). Die Legende erzählt, daß einmal wieder im Lauf der Geschichte die Dämonen und Titanen oder Antigötter ([[Asura]]), Halbbrüder und ewige Rivalen der wahren Herrscher der Welt, die Zügel der Herrschaft an sich gerissen hatten. Wie gewöhnlich wurden sie durch einen schroffen und listigen Tyrannen angeführt, der wie Jalandhara mit Hilfe von Jahren glühender Selbstdisziplin besondere Macht erworben hatte. Der Name dieses Tyrannen war Maya (nicht zu verwechseln mit Mâyâ). Als er nun den ganzen geschaffenen Kosmos unter seine [[Gewalt]] gebracht hatte, errichtete er drei mächtige Festungen, eine im Firmament, eine auf der Erde und eine in der Atmosphäre dazwischen. Durch ein magisches Kunststück vereinigte er dann diese drei Festungen zu einer, einem einzigen, praktisch unangreifbaren ungeheuerlichen Zentrum dämonischen Chaos' und der Welttyrannei. Durch die Macht seines [[Yoga]] richtete er es dann noch so ein, daß dieser Gewaltturm niemals erobert werden sollte, es sei denn, er würde von einem einzigen Pfeil durchbohrt.
 
Natürlich lebte weder ein Bogenschütze, noch war er denkbar, der imstande gewesen wäre, einen Pfeil abzuschießen, der riesen¬haft genug war, um die vereinigte Dämonenzitadelle der Welt zu durchbohren. Indra, der König des Regens und Donners, der Ober¬herr der Götter, Agni, der Feuergott, Väyu, der Windgott, waren alle tüchtige, anständige Spezialisten, aber dieser Aufgabe nicht gewachsen. Keiner der großen Olympier, der strahlenden Bewoh¬ner des Meru-Berges, die nun aus ihrem Paradies in die bittere Leere des Exils getrieben waren, konnten jemals hoffen, die Kraft zum Sturz dieser Verteidigungsstellung aufzubringen.
Nach vedischer Tradition war Shiva in alter Zeit ein Jäger und seine Waffen Bogen und Pfeil. In einer sehr frühen Epoche, als er noch aus der respektablen und luftigen Gemeinschaft der Olympier, der Schutzherren der menschlichen, vom unbesiedelten Dschungel scharf geschiedenen Wohnsitze, ausgeschlossen war, wurde Shiva als Herr des Waldes angesehen, als Herrscher der wilden Tiere 62. Zwischen ihnen wanderte er mit seiner primitiven Waffe herum und war ihr menschengestaltiger Schutzherr. Aber er war auch der Herr der Geister und Gespenster, die jene Plätze jenseits der Dorfgrenzen bewohnen und hochgefährlich machen. Sein Gefolge war aus den Seelen der Verstorbenen zusammen¬gesetzt, die heulend hinter ihm herzogen 83
In der Vergangenheit hatte Shivas Bogen gefeierte Taten voll¬bracht. Als zum Beispiel der uranfängliche Vater der Geschöpfe,
e2 Vgl. die anfängliche Beziehung des griechischen Dionysos zu der lufti¬gen, von Zeus regierten Gemeinschaft. In alexandrinischer Zeit setzten die Griechen Shiva mit Dionysos gleich.
9» Als Herr der Entschlafenen ist Shiva mit dem nordischen Gott Wode-Wodan verwandt, dem »Wilden Jägers, der von seiner lärmenden Geisterschar gefolgt mit der »Wilden Jagde davonbrauste. Mit der Christianisierung der europäischen Heiden ging Wodans wohltätiger Aspekt auf Sankt Nikolaus (Santa Claus) über, der zur Zeit der Wintersonnenwende über die Dachfirste galoppiert und allen seinen Verehrten Geschenke austeilt.
Prajäpati, Inzest mit seiner Tochter Morgenröte, der lieblichen Maid, zu begehen wünschte — eine alte, alte Geschichte vom ersten Vater und von der ersten Tochter — wurde Shiva von den Göttern gerufen, um zu intervenieren und den frevlerischen Er¬zeuger mit seinem Bogen zu strafen. Und so ist es wieder er, der jetzt angerufen wird, die göttliche Ordnung des Alls wiederherzu¬stellen. Diesmal ist seine Aufgabe die Vernichtung der universa¬len Festung der Dämonen, Tripura, mit einem einzigen Pfeil.
Das Elürâ-Relief zeigt den göttlichen Bogenschützen wie er in seinem Luftkampfwagen, von stampfenden Rossen gezogen, da-herbraust. Die linke Hand hebt den Bogen; die rechte, die mit angewinkeltem Ellbogen die Sehne bis zum rechten Ohrläppchen und der vollen Länge des Bogens gezogen hat, hat eben das machtvolle Geschoß entsendet. Die Erhabenheit der Gebärde ver¬kündet schon das wundervolle Ergebnis. Shivas Wagenlenker ist, würdig und schön, der vierköpfige Brahma. Mit einem bezaubern¬den Ausdruck ernsten Erwartens und Vertrauens sammelt er sich auf seine Aufgabe, während der herkulische Held, kraftvoll und dynamisch, doch ohne die Kompaktheit und Schwere irdischer Krieger, im Hintergrund des Reliefs mit der Leichtigkeit und der unwiderstehlichen Macht des Blitzstrahls vorwärts stößt, schnell, triumphierend, ohne die Schwere statischer Substanz. Das magi¬sche Dämonenschloß stürzt, und sein Volk sinkt in Vergessenheit zurück. Wieder einmal ist die Welt von der Last des Übels befreit, und der Rundlauf der Geschichte schwingt wieder in seiner Bahn. Die Tyranneien des furchtsam-furchtbaren Ichs, brutal in ihrem inkonsequenten Ehrgeiz und ihrer Begierde sind mit einem Schlage aufgelöst. Die Energien des Alls strömen wieder aus den transzendentalen Quellen, alle Welten durchdringend, und der Kosmos tönt vom Klang wiedergeborenen Lebens. Shivas Bogen ist nicht weniger der Träger seiner Energie als der Lingam: beide sind ein und dasselbe.
Entlang der Wände seiner Hauptheiligtümer sind die heroi¬schen Taten des großen Gottes geschildert, und sowohl in der
mündlichen wie in der literarischen Überlieferung werden sie wieder und wieder erzählt. An den Wallfahrtszielen, den Schrei¬nen und Tempeln, entfalten Priester und Weise das Panorama der Laufbahn des Gottes durch den Gang der mythologischen Welt¬geschichte. Doch ruhevoll und selig, jenseits von Ruhe und Selig¬keit, transzendent, unerkannt und unerkennbar, jenseits selbst des zweifaltigen Wunders des Gottes und der Göttin, des Lingam und der Yoni, des Pfeiles und Tripuras, wohnt das Eine ohne einen Zweiten, das Absolute. Es ist jenes Brahman-Âtman, auf das alle Bilder und Legenden hinzielen. Es ist jener Bindu 84, der selbst unsichtbar ist, und den doch all die sichtbaren Ineinandertauchun-gen der Dreiecke lehren. Es ist jene Vitalität, aus der das Phäno¬men der expandierenden Gestalt mit unwiderstehlicher Kraft her¬vorgeht. Brahman, das inhaltsvolle Neutrum, ist Fülle, ist Ganz¬heit — nicht männlich oder weiblich, gut oder böse, sondern männlich und weiblich, gut und böse. Seine Personifikation ist Shiva, und jedes Leuchten von den Gliedern des wirbelnden Yogi-Gottes, jeder Pfeil von Shivas Bogen ist im innersten wesens¬gleich mit jener göttlichen Substanz voll ewiger Ruhe und ewigem Frieden.
 
==Siehe auch==
Weiterlesen im Buch von Heinrich Zimmer?
 
*Heinrich Zimmer, "Indische Mythen und Symbole - Schlüssel zur Formenwelt des Göttlichen"
::Kapitel 1: Ewigkeit und Zeit
:::1.1 [[Die Parade der Ameisen]]
:::1.2 [[Das Rad der Wiedergeburten]]
:::1.3 [[Die Weisheit des Lebens]]
 
::Kapitel 2: Die Mythologie Vishnus
:::2.1 [[Vishnus Maya]]
:::2.2 [[Die Wasser des Daseins]]
:::2.3 [[Die Wasser des Nichtseins]]
:::2.4 [[Maya in der indischen Kunst]]
 
::Kapitel 3: Die Wächter des Lebens
:::3.1 [[Die Schlange, Trägerin Vishnus und des Buddha]]
:::3.2 [[Gottheiten und ihre Träger]]
:::3.3 [[Schlange und Vogel]]
:::3.4 [[Vishnu als Besieger der Schlange]]
:::3.5 [[Der Lotos]]
:::3.6 [[Der Elefant]]
:::3.7 [[Heilige Flüsse]]
 
::Kapitel 4: Shivas kosmisches Entzücken
:::4.1 [[Fundamentale Gestalt und spielende Manifestationen ]]
:::4.2 [[Das Phänomen der expandierenden Gestalt]]
:::4.3 [[Shiva-Shakti]]
:::4.4 [[Der große Oberherr]]
:::4.5 [[Shivas Tanz]]
:::4.6 [[Das Antlitz der Glorie]]
:::4.7 [[Der Zerstörer der drei Städte]]
 
==Literatur==
*[https://www.yoga-vidya.de/shop/product_info.php?info=p353_Goetter-und-Goettinnen-im-Hinduismus/&XTCsid=a793ba3e94d6e68c68e3244b0615a13f Swami Sivananda, Götter und Göttinnen im Hinduismus]
*[https://www.yoga-vidya.de/shop/product_info.php?info=p44_Parabeln-von-Swami-Sivananda/&XTCsid=a793ba3e94d6e68c68e3244b0615a13f Swami Sivananda, Parabeln]
 
==Seminar==
*[https://www.yoga-vidya.de/seminare/stichwortsuche/dfu/0/dtu/0/ex/0/fu/Mythologie/ro/s/ Yoga Vidya Seminare zum Thema Mythologie]
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[[Kategorie:Heinrich Zimmer]]
[[kategorie:Indische Mythen und Symbole]]

Aktuelle Version vom 29. März 2014, 14:19 Uhr

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