Yoga-Renaissance in Indien 19.-20. Jahrhundert

Aus Yogawiki
Die druckbare Version wird nicht mehr unterstützt und kann Darstellungsfehler aufweisen. Bitte aktualisiere deine Browser-Lesezeichen und verwende stattdessen die Standard-Druckfunktion des Browsers.
Kopfstand - Den Blickwinkel ändern

Yoga-Renaissance in Indien 19.-20. Jahrhundert

Hier ein Vortrag zum Thema Yoga-Renaissance in Indien im 19. und 20. Jahrhundert von und mit Sukadev Bretz aus der Reihe Yoga Vidya Schulung, Vorträge zum ganzheitlichen Yoga.

Yoga Renaissance in Indien

spirituelle Praxis in Indien

Wie hat sich Yoga im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelt?

Es sind diese Reformbewegungen in Indien, die Yoga dafür vorbereitet haben, sich auf der ganzen Welt zu verbreiten. Darüber möchte ich heute sprechen. Dies ist der dritte Teil einer Vortragsreihe, die noch ein gutes Stück weitergehen wird.

Yoga - uralt, vermutlich ein paar tausend Jahre alt. Es gab das indische Altertum, die indische klassische Antike, wo eigentlich schon alle Grundlagen des Yoga gelegt sind, zwischen dem 8.Jahrhundert vor Christus und dem 6.Jahrhundert nach Christus. Eine Zeit auch der großen intellektuellen Diskussionen des gegenseitigen Befruchtens.

Dann das indische Mittelalter und die Neuzeit, wo Indien immer wieder erobert wurde von moslemischen Völkern aus Persien und Steppenvölkern, wo dann europäische Mächte gekommen sind und dies dazu geführt hat, dass Yoga eher in den Familienkontext und die Mönchsorden gekommen ist und es nicht mehr diese große intellektuelle Fruchtbarkeit von großen Universitäten gegeben hat. Nicht umsonst ist es oft so, dass wenn über indische Philosophie gesprochen wird, dann wird irgendwie im 6./7.Jahrhundert aufgehört, was dem Ganzen nicht gerecht wird. Denn auch die Moguls und die Sultane von Delhi usw. haben auch große Städte gehabt, es gab auch Universitäten, die aber eher islamische Universitäten waren und im Austausch waren mit den persischen, ägyptischen und türkischen Universitäten.

Auswirkungen der Koloniealisierung

Also, es gab schon noch weiterreichende intellektuelle Diskussionen. Indien war im 17.Jahrhundert das Land mit dem höchsten Lebensstandard auf der ganzen Welt. Erst die Engländer haben dann im 18./19.Jahrhundert Indien gründlich heruntergewirtschaftet. So das 1947 als Indien unabhängig wurde, Indien eines der ärmeren Länder der Welt war. Die Engländer hatten ein Land mit hohem Lebensstandard letztlich ausgesaugt und ausgelaugt. Man könnte sagen, der europäische Reichtum und die industrielle Revolution ist letztlich ermöglicht worden, weil die Europäer drei Kontinente ausgesaugt haben: Indien, Afrika und Amerika. In Afrika wurden Sklaven genommen, in Amerika wurde die einheimische Bevölkerung weitestgehend ausgerottet und die Inder wurden gezwungen die englischen Textilien anzunehmen. Indisches Handwerk und die indische Wirtschaft wurde gründlich geändert und daraus ist die industrielle Revolution entstanden, der Wohlstand der Europäer.

Ich will das jetzt auch nur deshalb erwähnen, weil manchmal gesagt wird, wenn Yoga so gut ist, warum ist denn Indien so arm? Wir müssen uns bewusst sein, Indien ist nicht arm gewesen im 17.Jahrhundert. Es waren die englischen Kolonialherren, die Indien verarmt haben. Es gibt dann auch manchmal die Frage, wenn Yoga so viel Wert auf Ahimsa, auf Gleichheit legt, warum gibt es dann das Kasten-Unwesen? Hier müssen wir uns bewusst sein, dass das Kasten-Unwesen erst durch die Engländer gründlich zum Unwesen geworden ist. Zwar gab es das Kastensystem auch schon im indischen Altertum, aber die Kasten waren recht durchlässig und es war keinesfalls so, dass dort die Brahmanen und die Kshatriya so übermäßig waren und die anderen dort so schlecht waren. Es gab Shudras, die zu Königen geworden sind. Es gab Kastenlose, die ausgewandert sind und woanders dann schrittweise einen sozialen Aufstieg haben konnten. Die Engländer haben gehandelt nach dem Grundsatz: Teile und Herrsche. Sie haben sich bewusst verbunden mit manchen der Kshatriyas, haben zum Beispiel auch den indischen Maharadschas einen großen Reichtum ermöglicht, aber sie dafür von dem Rest der Bevölkerung getrennt, denn sie wollten nur mit bestimmten Brahmanen sprechen, so dass sie Teil der Herrschaft waren. Und sie haben bewusst zur Trennung der höheren von den niederen Kasten ermutigt, das sollte man sich auch bewusst machen.

Die Stellung der Frau in Indien

Genauso auch die Stellung der Frau in Indien, die heute stark kritisiert wird, zum Teil zu Recht, aber eben auch nur zum Teil. Wir vergessen, dass Indira Gandhi die erste große Regierungschefin eines großen, demokratischen Landes war in Indien. Und auch heute gibt es manche Unternehmen, die von Frauen geleitet werden und ich glaube es gibt mehr Frauen, die indischen Bundesstaaten als Ministerpräsidentinnen vorstehen als es in Deutschland Ministerpräsidentinnen gibt. Also es gibt diesen Aspekt, aber es gibt Regionen in Indien, wo Frauen einen sehr niederen Status haben und dort wird angenommen, dass das in der Zeit der Herrschaft von Persischen- und Turkvölkern war, wo eben die Frau in den Hintergrund getreten ist.

Wenn man zum Beispiel alte Darstellungen findet auf indischen Tempeln und Palästen, dort sieht man genauso viele Männer wie Frauen. Übrigens sieht man dort Männer und Frauen typischerweise mit nacktem Oberkörper, das gehörte zur Kultur dazu und dann, ab der indischen Neuzeit, sieht man plötzlich nur noch Männer als Herren und man sieht, wann immer dort etwas Großartiges abgebildet ist, sind es Männer und die indischen Frauen mussten auch Schleier usw. tragen, was in der indischen Klassik eben nicht war.

So muss man sich das eben auch bewusst machen, aber die indischen Frauen heute sind mehrheitlich dort recht selbstbewusst. Die ich kenne, haben dort ein Selbstbewusstsein. Und dass es Teile in Indien gibt, wo die Frau unterdrückt wird, wissen wir heute auch deshalb, weil es eben indische Frauen sind, die Initiativen dagegen in das Leben gerufen haben, um das Los der Frauen zu verbessern.

Gut, aber das Thema ist ja jetzt nicht so sehr indische Geschichte, auch wenn ich das jetzt gerade immer wieder mit einfließen lasse, sondern die Renaissance des Yoga im 19. und Anfang des 20.Jahrhunderts.

Indien unter englischer Kolonialherrschaft

19.Jahrhundert – Ganz Indien unter englischer Kolonialherrschaft. Die Inder selbst haben aber begonnen ein gewisses Selbstbewusstsein zu erlangen. Die Engländer, die ja nicht ganz Indien selbst beherrschen konnten, haben auch Inder dazu ermutigt an indischen Universitäten zu studieren, haben eigene Universitäten, zum Beispiel in Kalkutta errichtet, wo dann Inder auch englisches Wissen und englische Bildung bekommen haben. Manche Inder fanden sich dann selbst minderwertig, denn sie wurden ja von den Engländern beherrscht. Es gab manche Inder, die probiert haben, wie Europäer zu leben und auch europäische Kleidung getragen haben.

Indische Renaissance

Om - Der Urklang

Aber es gab da auch eine indische Renaissance, die gesagt hat, wir haben eine uralte Kultur, unsere Kultur ist der englischen Kultur nicht unterlegen, aber es gibt Abirrungen in unserer Kultur und die müssen wir überwinden. Diese Kastentrennung und die Unterdrückung der Frau und dieser schamanische Dünkel, das gilt es zu überwinden. Und so gab es im 19.Jahrhundert Reformbewegungen Brahmo Samaj genannt und Arya Samaj, die gesagt haben, wir brauchen eigene Erneuerungen der Tradition und sie haben gesagt, die Veden sind wichtig, aber Kastentrennung müssen wir überwinden. Auch die Unterscheidung zwischen Mann und Frau müssen wir überwinden, die spirituelle Praxis muss im Vordergrund stehen und die Vielzahl an Vorschriften, die man alle beachten muss und die ganze Vielzahl an Alltagsregeln, die müssen wir reduzieren. Meditation, Veden Rezitation, Gayatri Mantra Rezitation, das Om, die Spiritualität der Veden und des Yoga Sutra, diese sind wichtig.

Interesse der Europäer an indischer Kultur

Hinzu kam, und das wird ein anderes Thema sein, das Interesse der Europäer an der indischen Kultur und die große Faszination von Intellektuellen in Europa an den Upanishaden, an Bhagavad Gita und an den Yoga Sutras. Das führte dann auch dazu, dass sich auch indische Intellektuelle damit auseinander setzten.

Und so gab es im ganzen 19.Jahrhundert auch immer mehr Inder selbst, die gesagt haben, ja unsere Religion muss sich reformieren. Übrigens ist im 19.Jahrhundert überhaupt der Begriff von Hinduismus als Religion entstanden. Wenn Du dieser Vortragsreihe schon gefolgt bist, dann hast Du das schon öfters gehört. Hindu kommt vom Fluss Sindhu, die Griechen haben daraus den Fluss Indus gemacht, die Perser haben ihn dann als Hindus bezeichnet, die Griechen haben von den Indern gesprochen als diejenigen, die um den Fluss Indus herum leben und die dort hintendran leben. Für die Perser war dann Hindustan das Land um den Fluss Hindus, also den Indus herum, und später wurde Hindustan ganz Indien genannt. Ein Hindu war also ein Inder, Hindu ist eigentlich der persische Ausdruck für Inder.

Entstehung des Begriffs Hinduismus

Die Engländer haben dann irgendwann gesagt, es gibt in Indien zum einen die indischen Religionen und es gibt die nicht-indischen Religionen und so wurden als indische Religionen Jainismus, Buddhismus, Sikhismus und Hinduismus bezeichnet und die nicht-indischen Religionen waren dann eben Christen, Juden, Moslems und die Parsis, die es ja alle in Indien gab. Dann haben die englischen Kolonialherren noch weiter überlegt, wie man die Untertanen einteilen konnte und haben dann gesagt, gut die Jains kann man identifizieren als eigene Religion, die Buddhisten und die Sikhs und alles was dann noch übrig bleibt, nennen wir dann einfach „sonstige Hindus“. Und aus den „Sonstigen Hindus“ wurden dann später die Hindus und dann irgendwann in der zweiten Hälfte des 20.Jahrhunderts haben dann auch manche Hindus selbst diesen Begriff aufgenommen. Ansonsten war eigentlich sonst eher Sanatana Dharma so der Ausdruck für diejenigen, die die Veden als Autorität anerkannt haben und die deshalb diese ewige Ordnung akzeptierten. Und so entstand dann dieser Ausdruck des Hinduismus, der dann auch von Indern langsam angenommen wurde und dann eben diese Renaissance entstand. Das war also zum einen eine intellektuelle aber auch eine religiöse Renaissance, aber dann vor allem spirituelle Renaissance.

Alle Religionen sind Eins

Ramakrishna

Dann gab es nämlich im 19.Jahrhundert einige große Mystiker, Meister und Meisterinnen. Der bekannteste ist sicher Ramakrishna Paramahamsa, der selbst gottverwirklichter Heiliger war, der gesagt hat alle Religionen sind letztlich Eins. Er selbst hat auch mal eine Weile moslemische Spiritualität geübt und christliche Spiritualität geübt. Er hat letztlich Krishna verehrt, er hat Kali verehrt, er hat Shiva verehrt und hat so diese Einheit aller Religionen selbst erfahren durch mystische Erfahrungen in allen verschiedenen Traditionen und schließlich auch zur vollkommenen Verwirklichung.

Rama Krishna war nicht der Einzige aber es gab einige große Mystiker, die zum einen Gott verwirklicht haben, zum zweiten diese Einheit aller Religionen beschrieben haben und zum dritten auch durchaus die eigenen Schriften kannten. Aus dieser Tradition entstand dann eine sehr reiche religiöse Bewegung, wo zunächst einmal Swami Vivekananda zu nennen ist. Im Westen ist vor allem Swami Vivekananda bekannt unter den Schülern von Ramakrishna gibt es auch andere wichtige, wie zum Beispiel einen Swami Brahmananda, einen anderen Swami Sivananda und noch einige andere. Und ein Swami Prabawananda ist noch bekannt, weil er einmal in Amerika große Wirkungen hatte. Aber vor allen Dingen Swami Vivekananda war einer der selbst tiefste spirituelle Erfahrungen gemacht hat, ein sehr kluger Kopf mit einem sehr weiten Denken, der auch eine westliche Bildung hatte, er ist an eine englische Universität in Kalkutta gegangen und er war auch der erste der nach Amerika gegangen ist unter den großen indischen Yogis und dann auch nach Europa. Und er hat letztlich große Auswirkungen gehabt auf die Renaissance des Yoga.

Gut, dann sind Menschen natürlich zu nennen, wie Swami Sivananda, Sri Aurobindo, wie Anandamayi Ma und Ramana Maharshi ….alles Menschen, die diesen Universalismus verbunden haben mit tiefer spiritueller Erfahrung, mit letztlich Gottverwirklichung und das Lehren von Yoga jenseits von Kaste, Geschlecht, Religion und Nation. Die also auch gesehen haben, das Yoga nichts hinduistisches ist, sondern etwas ist, dass unabhängig von religiösen Überzeugungen praktiziert werden und zur Gotteserfahrung geführt werden kann.

Große Yogabewegung in Indien

Und so können wir sagen, dass zwischen dem Ende des 19.Jahrhunderts und der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts eine große Yogabewegung in Indien entstanden ist, wo der Hatha Yoga zwar keine allzu große Rolle gespielt hatte aber eben der spirituelle Yoga als religionsübergreifendes Übungssystem mit dem Ziel der Einheit mit dem Göttlichen durch systematische spirituelle Praxis und Überwindung von allen Trennungen von Kaste, sozialer Herkunft, Hautfarbe, sozialer Stand usw… Diese Renaissance hat dann Yoga darauf vorbereitet zu der großen kulturübergreifenden Tradition zu werden, die Yoga jetzt im 21.Jahrhundert geworden ist.

Soweit für heute über die sogenannte Yoga Renaissance Ende des 19.und Anfang des 20.Jahrhunderts. Beim nächsten Mal will ich etwas sprechen über die Frühzeit des Yoga im Westen. Und es wird auch noch mal wichtig sein, wie Yoga sich auch in Indien weiter entwickelt hat. Heutzutage ist ja auch Yoga in Indien recht populär und man könnte auch sagen, es gibt gerade auch eine große Welle von Hatha Yoga in Indien. Konnte man vor 20 Jahren sagen, dass es mehr Europäer und Amerikaner gibt, die Hatha Yoga üben, ist heute sicherlich ohne Zweifel Indien wieder das Land, in dem Hatha Yoga am meisten geübt wird. Wie es dazu kommt, wird dann auch wieder Thema eines weiteren Vortrags sein.

Hatha Yoga ist wichtig

Swami Vishnu Devananda unterrichtet Hatha Yoga

Vielleicht sollte ich noch erwähnen, dass zur Renaissance des Yoga auch gehört, dass durchaus ab 1900 nach Christus in Indien auch Hatha Yoga und Ayurveda Einzug gefunden haben in das ganzheitliche Yoga. Ich hatte ja vorher schon mal gesagt, dass Hatha Yoga, Ayurveda und auch Raja Yoga und Jnana Yoga, sich mehr zurückgezogen hatten in die Mönchsorden und die Familientradition.

Aber das intellektuelle Leben Ende des 19.Jahrhunderts, vorher war es wieder so, dass verschiedene Traditionen sich gegenseitig befruchtet hatten, und es zum Beispiel auch in Swami Kuvalaiananda Anfang des 20.Jahrhunderts auch in Swami Sivananda Menschen gab, die Vedanta mit Raja Yoga, Bhakti Yoga, Kundalini Yoga auch verbunden haben mit den Hatha Yoga Traditionen und auch gerade erkannt erkannt haben, wie wichtig der Hatha Yoga werden kann, gerade auch für Gesundheit und Wohlbefinden. Darüber aber mehr das nächste Mal.

Video - Yoga Renaissance in Indien

Siehe auch

Seminare

Yogalehrer Ausbildung

17.05.2024 - 24.05.2024 Yogalehrer Ausbildung Intensivkurs Woche 2
Lasse dich in diesem Seminar zum Yogalehrer ausbilden. Woche 2 der 4-wöchigen Yogalehrer Ausbildung. Teilnahmevoraussetzung: 1. Woche der Yogalehrer Ausbildung bereits absolviert. – Falls du die Ausb…
Dana Oerding, Bhavani Jannausch
17.05.2024 - 26.05.2024 Yogalehrer Ausbildung Intensivkurs Woche 4
Du möchtest auch Fortgeschrittene in Yoga unterrichten? In Woche 4 der Yogalehrer Ausbildung kannst du als angehender Yogalehrer auch lernen, wie man Meditationen anleitet und Hatha Yoga variiert. Wo…
Karuna M Wapke