Verwirklichung

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Verwirklichung

Verwirkliche

- ein Vortrag von Sukadev Bretz -

Manchmal, wenn man die Schriften oder Biografien über das Leben von großen Meistern und Heiligen liest, neigt man dazu, die Selbstverwirklichung mental in große Ferne zu verschieben - etwas, was zwar erstrebenswert und sicher auch schön wäre, was aber ganz nebulös irgendwo in unerreichbarer Zukunft liegt. Diese Einstellung sollten wir bewusst verändern. Es gibt kleine und große Verwirklichungen. Die kleinen geschehen mehr oder weniger häufig, während man den Weg geht und sie bringen einen schrittweise näher zum großen Ziel, zur großen Verwirklichung.

Gott, die Einheit mit allem zu verwirklichen, heißt zunächst nicht notwendigerweise, sofort im reinen Einheitsbewusstsein aufzugehen. Gott im anderen zu sehen kann dazu führen, dass wir mit größerem Verständnis auf ihn zugehen, dass wir geduldiger, toleranter, liebevoller mit ihm umgehen - und auch mit uns selbst, denn das Göttliche ist nicht nur im anderen, sondern auch in uns, wenn es wirklich absolut und unteilbar sein soll. So kommen wir wieder zum Ausgangspunkt, zum Dienen – Lieben – Geben zurück und der Kreis schließt sich. Und ich meine, es ist nicht nur ein Kreis, sondern eine aufwärts gerichtete Spirale, die uns schließlich zur großen, vollen Selbstverwirklichung führen wird.

Die zweite Zeile dieses Liedes von Swami Sivananda:

Be good, do good, be kind, be compassionate

Sei gut, tue Gutes, sei freundlich, sei mitfühlend

Sei gut, tue Gutes.

Indem man Güte in sich entwickelt, folgt als nächstes, Gutes zu tun. So wie eine Rose, die duftet und diesen Duft weithin verströmt. Aus innerer Güte und Liebe heraus handelt man auch gut.

Sei freundlich, sei mitfühlend.

Die Grundeinstellung eines spirituellen Aspiranten sollte freundlich und einfühlsam sein. Das heißt nicht, dass man sich alles gefallen lassen muss. Und es heißt auch nicht, sich in die Opferrolle drängen zu lassen.

Mitfühlen kann durchaus auch einmal Strenge beinhalten. Zum Beispiel muss man Kindern auch mal Grenzen aufzeigen. Manchmal tut man einem anderen einen Gefallen, indem man ihm sagt: „Nein, deine Arbeit übernehme ich heute nicht.“ Aber man reagiert nicht aus Verletztheit oder Gereiztheit oder Böswilligkeit, sondern aus Mitgefühl und Liebe. Man kann sogar aus Liebe zu jemandem aufhören, ihn zu umsorgen, um ihm eine Chance zu geben, selbst an seinen Aufgaben zu wachsen und sich zu entwickeln.

Ein großes Beispiel für Handeln ohne Gewalt, mit Liebe und Verständnis selbst für die Menschen, gegen die man sich durchsetzen muss, ist Mahatma Gandhi. Er wollte die Unabhängigkeit für Indien, aber nicht mit Hass und nicht mit Bomben, sondern mit gewaltlosem Widerstand und mit Liebe. Auch Jesus sagt: „Liebet, die euch hassen, und tut Gutes denen, die euch verfolgen.“

Die dritte Zeile:

Adapt, adjust, accommodate

Passe dich an, stelle dich ein, sei flexibel

Eine wichtige Voraussetzung für die spirituelle Entwicklung liegt für Swami Sivananda auch in der Fähigkeit, sich an die Umstände anzupassen, sich auf andere Menschen und Situationen einzustellen. Das ist vielleicht so etwas wie die Kehrseite der Medaille des aktiven Dienens: passiv dienen, indem man anderen Menschen nicht lästig fällt und unnötiges Aufhebens macht, indem man höflich und zurückhaltend ist in seinen persönlichen Ansprüchen.

Wir sind es gewohnt, zu erwarten, dass äußere Bedingungen sich uns anpassen. Das fängt schon damit an, dass wir uns zum Beispiel nur bei einer Raumtemperatur von sagen wir mal 21 Grad wohlfühlen. Bei 23 Grad muss die Klimaanlage eingeschaltet werden, bei 18 Grad die Heizung. In Wirklichkeit kann der menschliche Körper sich sehr gut in diesem Temperaturbereich anpassen. Das kann man sich bewusst machen und dann lernt der Körper diese Anpassung. Natürlich ist das nur ein einfaches Beispiel. Aber aus diesem Wunsch, die Außenwelt ständig manipulieren und den eigenen (angeblichen) Bedürfnissen anpassen zu wollen, resultiert viel Unruhe und Zerstreuung. Hat man das einmal bis zu einem gewissen Grad überwunden, ist es eine große Quelle des Friedens.

Ein anderes Beispiel ist die weit verbreitete Alles-oder-Nichts-Philosophie: Entweder alles klappt oder es hat eh keinen Sinn. Entweder ich kann es vollkommen oder ich lasse es besser ganz sein. Entweder der Mensch mag mich wirklich und dann muss er mich in all meinen Aspekten annehmen und in jedem Moment und immer oder ich will nichts mit ihm zu tun haben. – Das Leben ist nicht nur schwarz/weiß, gut/schlecht, hell/dunkel. Aus jeder Situation das Bestmögliche zum Nutzen aller zu machen, ist die Kunst yogisch geschickten Handelns. Das erreicht man durch innere Flexibilität.

Natürlich gibt es auch komplexere Probleme, gerade auch im emotionalen Bereich. Da kann man sich nicht sofort darauf einstellen, sondern muss sich Zeit geben. Und manchmal stellt man sich auf eine Situation am besten ein, indem man sie mutig verändert oder auch gegenüber anderen sich durchzusetzen lernt. Im allgemeinen ist es jedoch hilfreich, zu lernen, sich auf verschiedene Situationen und Menschen einzustellen. Dies ist ja in unserer schnelllebigen Gesellschaft noch viel notwendiger ist als in früheren Zeiten. Menschen sind nicht gleich, die Erfordernisse sind nicht gleich. Man muss mal das eine machen, mal das andere. Sich so auf verschiedene Menschen und Situationen einzustimmen ist letztlich auch etwas Schönes. Die Vorstellung, dass das alles – das ganze Leben, die eigene Persönlichkeit – eigentlich ein interessantes, vorübergehendes Schauspiel ist, aus dem man viel lernen kann, kann einem dabei viel helfen.

Vierte Zeile:

Trage Schmähung, trage Kränkung, höchstes Yoga

Das ist so etwas wie der Lackmustext für unseren Geist. Färbt unser Geist sich vor Ärger und Wut knallrot oder deprimiert blau oder bleibt er ausgewogen und im Gleichgewicht, wenn uns jemand kritisiert oder etwas nicht so läuft, wie wir es gerne hätten? Daran können wir erkennen, wie erfolgreich unser Sadhana, unsere spirituelle Praxis, tatsächlich ist.

Sehen wir jede Kritik sofort als Bedrohung, auf die wir nur mit Flucht oder Kampf reagieren können? Oder nehmen wir die Kritik an, analysieren sie und lernen etwas daraus? Ändern wir etwas in unserem Verhalten, wenn wir erkennen, der andere hat vielleicht ganz oder teilweise recht? Bleiben wir ruhig und gelassen, wenn wir merken, das Ganze hat eigentlich keine Berechtigung, sondern ist nur ein Problem des anderen, das sich in seiner Psyche abspielt oder seiner Erwartungshaltung? Wie reagieren wir, wenn wir feststellen: Ich tue zwar mein Bestes, aber ich kann den Erwartungen des anderen nicht gerecht werden? Fühlen wir dann wirklich: Meine wahre Natur ist sat-chid-ananda, Sein, Wissen und Glückseligkeit? An diesen Dingen können wir ablesen, ob wir etwas erreicht haben in unserer Entwicklung.

5. Zeile:


Frage “Wer bin ich”? Erkenne Dein Selbst, und sei frei.

Und so können wir fragen: „Wer bin ich?“, uns selbst, unser wahres Selbst, erkennen als sat-chid-ananda und frei sein.

Freiheit ist nicht, nur das zu tun und zu lassen, was einem gerade beliebt. Freiheit ist auch nicht, rücksichtslos gegenüber anderen Menschen zu sein.

Freiheit bedeutet, frei sein von eigenen Zwängen, frei von eigenen Konditionierungen, frei von Reaktionsschemata. Frei sein heißt, geschickt zu handeln und leben in der Welt und dabei innerlich nicht gebunden zu sein. Freiheit heißt letztlich, sich eins zu fühlen mit dem Einen.


Siehe auch