Sterben

Aus Yogawiki

Der sterbende Weise

Artikel aus dem Buch „Das System des Vedanta“ von Paul Deussen, Elibron Classics, 2. Auflage, Leipzig (1906), S. 461-465.

Seine Seele zieht nicht aus

Die in Adhyaya 4,2 dargestellte Utkranti, d. h. „der Auszug" der Seele aus dem Leibe, welcher, wie wir sahen (S. 409), dem Nichtwissenden und dem exoterisch Wissenden gemeinsam ist, wird 4,2,12-16 durch eine zur höhern Wissenschaft gehörige Episode (Prasangiki Paravidya-Gata Cinta, S. 1103,12) unterbrochen, die von dem Tode des esoterisch Wissenden und infolgedessen nicht mehr Verlangenden (Akamayamana) handelt. Von ihm heißt es Brih. 4,4,6 (S. 209):

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„Nunmehr von dem Nichtverlangenden. — Wer ohne Verlangen, frei von Verlangen, gestillten Verlangens, selbst sein Verlangen ist, dessen Lebensgeister ziehen nicht aus, sondern Brahman ist er und in Brahman löst er sich auf."

Man könnte meinen, sagt Shankara, weil es statt „dessen (Tasya) Lebensgeister ziehen nicht aus" in der andern (Madhyandina-)Rezension heißt: „aus ihm (Tasmad) ziehen die Lebensgeister nicht aus", an dieser Stelle werde nicht der Auszug der Seele aus dem Leibe (Deha, Shariram), sondern der der Organe aus der individuellen Seele (Dehin, Sharira) verneint; dass der Erlöste aus dem Leibe ausziehe, sei ja selbstverständlich; hier werde gelehrt, dass aus ihm (d. h. aus dem Atman) seine Lebensorgane nicht auszögen, sondern mit ihm verbunden blieben (S. 1099,2).

Dem ist aber nicht so; vielmehr lehrt die Stelle, dass der Akamayamana, der „Nichtverlangende". d. h. der vollerlöste Weise, beim Tode nicht wie die andern (der fromme Verehrer und der Werktätige) aus seinem Leibe auszieht. Dies beweist die Stelle (Brite. 3 2,11), wo der Sohn des Ritabhaga den Yajnavalkya fragt: „Yajnavalkya! so sprach er, wenn dieser Mensch stirbt, ziehen dann die Lebensgeister aus ihm aus oder nicht? — Nein! so sprach Yajnavalkya, sondern daselbst eben lösen sie sich auf; derselbige schwillt an, bläht sich auf; aufgebläht liegt der Tote." — Hier ist es offenbar der Auszug aus dem Leibe, welcher verneint wird, und dementsprechend muss man auch die obige Stelle erklären, mag man nun Tasmad (d. h. aus dem Leibe) oder Tasya (d. h. des Wissenden) lesen (S. 11(0,4). Diese Erklärung wird weiter auch dadurch gefordert, dass es an der fraglichen Stelle nach Beschreibung des Auszuges aus dem Leibe heißt: „So der Verlangende. — Nunmehr der Nichtverlangende" (S. 209). Diese Gegenüberstellung würde ungereimt sein, wenn auch bei dem Nichtverlangenden ein Auszug der Seele aus dem Leibe anzunehmen wäre (S. 1100,12). Ein solcher kann endlich auch deswegen von dem das Verlangen und die Werke überwunden habenden Brahmanwisser nicht zugegeben werden, weil kein Grund dazu vorhanden ist, da der Erlöste beim Tode zu Brahman wird, dieses aber allgegenwärtig ist (S. 1101,2). In diesem Sinne sagt auch die Smriti (Mahabharatam XII, 9657):

„Wer, aller Wesen Selbst geworden, völlig durchschauet die Natur,
Des Pfad die Götter selbst verlieren, verfolgend des Spurlosen Spur."

Die Auflösung des psychischen Apparates

Die individuelle Seele ist, wie wir schon oft sahen, mit einem komplizierten Apparate von Upadhis umgeben, welche teils mit ihr im Herzen wohnen (S.335), teils beim Tode sich in dasselbe konzentrieren (S. 409), um mit der Seele auszuziehen. Zu diesem die Seele auf allen ihren Wanderungen begleitenden Upadhi-Komplexe gehören: Indriyas, Manas, Prana und Sukshmam Shariram, welche gleichsam zu einem vom Tode nicht lösbaren Knoten zusammengeknüpft sind. Dieser Knoten des Herzens (wenn wir Hridaya-Granthi, Mund. 2,2,8, vgl. Kath. 6,15, in dieser konkreten, allerdings durch keine Autorität gestützten Sinne nehmen dürfen) spaltet sich bei dem Wissenden, und während beim Sterben zwar auch die andern in die höchste Gottheit eingehen, jedoch so, dass ein Same für die neue Existenz übrig bleibt, welcher eben in jenem zusammengerollten und mit den jedesmaligen Werken versetzten Apparate besteht (S. 368. 402), während also bei ihnen die genannten Samenkräfte als Rest übrig bleiben (S. 1103,3), so geschieht die Auflösung des sterbenden Weisen in Brahman ohne Rest (Niravashesha), und er geht mit allen seinen Teilen in die Ungeteiltheit ein (S. 1103,4). Denn so sagt die Schrift (Prashna 6,5): „Gleichwie jene Flüsse, die dahinströmend ihren Gang zum Ozean nehmen, nachdem sie in den Ozean gelangt sind, zur Ruhe kommen, — ihre Namen und Gestalten zerrinnen und werden nur noch Ozean genannt, — ebenso auch kommen, jene sechzehn Teile des Allschauenden [das Samyagdarshanam Besitzenden], die zum Geiste (Purusha) ihren Gang nehmen, nachdem sie in den Geist gelangt sind, zur Ruhe; ihre Namen und Gestalten zerrinnen und werden nur noch Geist genannt; der ist jener Unteilbare, Unsterbliche."

Unter den „sechzehn Teilen" versteht hier Shankara „die Prana genannten Indriyas und die Elemente" (S. 1102,4), deren, nach seinem Systeme, allerdings siebzehn (vgl. ad Brih. S. 6.15,9 und Mahabh. 12, 13756, zitiert S. 690,16) sind. In der Prashna-Stelle sind ursprünglich folgende Teile gemeint : 1. Prana, 2. Shraddha, 3. Äther, 4. Luft, 5. Feuer, 6. Wasser, 7. Erde, 8. die zehn Indriyas, 9. Manas, 10. die Nahrung, 11. die Kraft (Viryam), 12. die Askese, 13. die Mantras des Veda, 14. das Werk, 15. die Welten, 16. der Name.

Ob der Erlöste einen neuen Leib annehmen könne?

Eine Episode in 3,3,32 behandelt die Frage, ob der Wissende, nachdem sein Leib dahingefallen, nochmals einen neuen Leib annehmen könne (S. 913,2)? — Zwar geht aus dem Wissen (und zwar ist das Samyagdarshanam hier zu verstehen, S. 915,1) die Absolutheit (Kaivalyam) hervor, doch erzählen die Itihasas und Puranas, wie manche Brahmanwisser nochmals zur Verkörperung gelangt seien (S. 913,7); so Apantaratamas, Vasishtha, Bhrigu, Sanatkumara, Daksha, Narada und andere (S. 913), wie denn die Sulabha bei Lebzeiten ihren Leib zeitweilig verließ (S. 915,8), und andere wiederum mehrere Leiber zugleich belebten (S. 914,2). Hieraus könnte man schließen, dass das Brahmanwissen manchmal zur Erlösung führe und manchmal nicht (S. 914,5); dem aber ist nicht so; denn wenn die Genannten zur Leiblichkeit zurückkehrten, so geschah es nur zur Erfüllung einer Mission (Adhi-Kara), z. B. um zum Besten der Welt das Gedeihen des Veda zu befördern (S. 914,6).

„Wie jener heilige Savitar (die Sonne), nachdem er tausend Weltperioden hindurch seine Weltmission erfüllt hat, zuletzt nicht mehr aufgeht und untergeht, sondern Absolutheit genießt, — wie die Schrift (Chand. 3,11,1) sagt: ‚aber dann, nachdem er emporgestiegen, wird er nicht mehr aufgehen und nicht mehr untergehen, sondern allein in der Mitte stehen‘ [eine seit Kopernikus erfüllte Weissagung], — und wie auch die lebenden Brahmanwisser, nachdem der angebrochene Werkgenuss verbraucht ist, die Absolutheit genießen, indem es heißt (Chand. 6,14,2, übersetzt S. 287): ‚diesem [Welttreiben] werde ich nur solange angehören, bis ich erlöst sein werde, darauf werde ich heimgehen, — ebenso muss man annehmen, dass auch die „Herrlichen, Apantaralamas usw., von dem Allerherrlichsten mit dieser oder jener Mission betraut, trotzdem sie die volle Erkenntnis, welche die Bedingung der Vollendung ist, besaßen, [noch] nicht schwindenden Werks, solange die Mission dauerte, bestanden und [erst] nach ihrer Beendigung dispensiert wurden" (S. 914,8-915,2). Dabei muss man annehmen, dass, außer dem ihnen aufgetragenen Werke, kein sonstiges Werk zur Erscheinung kam, welches als Same eines neuen Lebens hätte dienen können, da sonst ihre Erlösung hinfällig geworden wäre (S. 915,11). Dass aber die Erlösung ein Ende nehme, ist nicht denkbar, nachdem die Werke, welche der Same des künftigen Daseins sind, durch das Feuer des Wissens verbrannt worden; wie die Smriti sagt (der erste Vers in Bhag. G. 4,37):

„Wie Feuers Glut das Holz in Asche wandelt,
So der Erkenntnis Feuer alle Werke." --
„Wie Same nicht mehr wächst, wenn er verbrannt ist,
So nicht der Seele Not, verbrannt vom Wissen.”

Siehe auch

Literatur

  • Vedanta für Anfänger von Swami Sivananda
  • Vedanta - Der Ozean der Weisheit von Swami Vivekananda
  • Paul Deussen: Das System des Vedanta, Elibron Classics, 2. Auflage, 1906.
  • Soami Divyanand: Vedamrit - Die Botschaft der Veden. ISBN 3-926696-03-6 (Übersetzung der Veden auf Deutsch, Bd. 1); ISBN 3-926696-13-3 (Bd. 2); ISBN 3-926696-26-5 (Bd. 3)
  • Wilfried Huchzermeyer: Die heiligen Schriften Indiens - Geschichte der Sanskrit-Literatur. (edition-sawitri.de) ISBN 3-931172-22-8
  • Moritz Winternitz: Geschichte der Indischen Literatur, Leipzig, 1905 - 1922, Vol. I - III. Reprint in englischer Übersetzung: Maurice Winternitz: History of Indian Literatur, Motilal Barnarsidass, Delhi, 1985.
  • Aurobindo: Das Geheimnis des Veda, 2. Auflage 1997, Hinder + Deelmann, ISBN 3-873481-65-0
  • Lokamanya Bâl Gangâdhar Tilak: Orion ou Recherches sur l'Antiquité des Védas, Milan, Éditions Archè, 1989

Weblinks

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