Schlange: Unterschied zwischen den Versionen

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Die '''Schlange''' ist der Name für eine Gruppe von Reptilien. Die Schlange spielt in verschiedenen [[spirituell]]en Traditionen, in [[Religion]]en und [[Mythologie]]n eine wichtige Rolle. In vielen Geschichten und Analogien tauchen Schlangen auf.
'''Schlange''' ist der Name für eine Gruppe von Reptilien. Die Schlange spielt in verschiedenen [[spirituell]]en Traditionen, in [[Religion]]en und [[Mythologie]]n eine wichtige Rolle. Auch in vielen Geschichten und Analogien tauchen Schlangen auf.
 
[[Datei:Vishnu and Lakshmi on Shesha Naga, ca 1870.jpg|thumb|Vishnu, auf Shesha Naga (Ananta) ruhend, während Lakshmi ihm die Füße massiert und der viergesichtige Brahma aus dem Nabellotos aufsteigt]]
'''Der nachfolgende Text ist dem Buch "Indische Mythen und Symbole - Schlüssel zur Formenwelt des Göttlichen" des Indologen [[Heinrich Zimmer]] entnommen (Originaltitel "Myths and Symbols in Indian Art and Civilization", Bollingen Foundation Inc., New York). Übersetzung aus dem Englischen von Ernst Wilhelm Eschmann, Eugen Diederichs Verlag, München 1981, 5. Aufl. 1993)'''
 
==Indische Mythen und Symbole - Kapitel 3: Die Wächter des Lebens==
 
===Teil 1: Die Schlange, Trägerin Vishnus und des Buddha===
Während die Mythen der Weltentstehung und -auflösung in einer kalten und rücksichtslosen Unpersönlichkeit kreisen, welche die große [[Welt]] menschlichen Wohles und [[Leid]]es zu eigentlicher Nichtigkeit einschrumpfen macht, überquillt die volkstümliche Sage von Gottheiten und Genien voll warmer [[Sympathie]] für die Lebens[[illusion]].
 
Den Weisen [[Narada]] und [[Markandeya]] wurden magische [[Erfahrung]]en von der Unerfaßlichkeit der Maya gewährt. Auf der anderen Seite leben und arbeiten die Menschheitsmillionen innerhalb des Traumgewebes und seiner Netze. Sie werden in ihrem [[Leben]] getäuscht, umgeben, unterstützt und getröstet von einer Überfülle vertrauter Beschützergestalten, deren Aufgabe es ist, über der örtlichen, ununterbrochenen Wirksamkeit jener kosmogonischen [[Macht]] zu wachen, die am Anfang die [[Welt]] formte. Genien ([[Yaksa]]), die Kräfte des Bodens, die mineralischen Schätze, die kostbaren Metalle und Edelsteine der [[Erde]] vertretend; Schlangenkönige und -königinnen ([[Naga]], [[Nagini]]), welche die irdischen Gewässer der Seen und Teiche, Flüsse und Ozeane verkörpern und lenken; die Göttinnen der drei heiligen Ströme, [[Ganga]] (der Ganges), [[Yamuna]](der Jumna), [[Sarasvati]] (der Saraswati); Dryaden oder Baumgottheiten ([[Vriskha]]-[[Devata]]), Patroninnen der Vegetationswelt; heilige Elefanten (Naga — derselbe Ausdruck wie für Schlange), die ursprünglich Flügel hatten und den Wolken zu gesellt waren, und die selbst jetzt noch auf Erden ihre Macht behalten haben, ihre früheren regenschwangeren Genossen anzuziehen: diese alle schenken den [[Kind]]ern der Welt all die Gaben irdischer [[Glückseligkeit]], Überfluß an Ernten und Vieh, Wohlstand, Nachkommenschaft, [[Gesundheit]] und langes [[Leben]].
 
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Die schreckliche Hitze der verzehrenden [[Sonne]] wird in Indien als eine tödliche [[Gewalt]] betrachtet. Im Gegensatz dazu ist der [[Mond]], der den erfrischenden Tau herabsendet, Sitz und [[Quelle]] des Lebens. Der Mond ist der Herrscher der Gewässer und diese, durch das All kreisend, alle lebenden Geschöpfe erhaltend, sind der indische Widerpart für das Himmelsnaß [[Amrita]], den Trank der Götter ('a' heißt nicht und 'mrita' tot, das Wort ist etymologisch dem griechischen ambrosia verwandt). Tau und Regen werden zum Saft der [[Pflanze]]n, der Saft der Pflanzen wird zur [[Milch]] der [[Kuh]], und die Milch verwandelt sich in [[Blut]]; Amrita, Saft der Pflanzen, Milch und Blut stellen nur verschiedene Zustände desselben Elixiers dar. Das Gefäß oder der Becher dieses unsterblichen Fluidums ist der Mond. Die eindrucksvollsten und am meisten wohltätigen seiner Manifestationen auf Erden sind die großen Ströme und unter ihnen besonders die drei heiligen: Ganges, Jumna, Saraswati.
 
Die Mythologie Indiens ist reich an Personifikationen der lebenspendenden Kraft des Wassers. Die erste unter ihnen ist [[Vishnu]] selbst, der höchste Schöpfer des Alls. Die zweite nach ihm ist die Göttin [[Padma]] (»Lotos«), seine Gattin und Königin, auch [[Lakshmi]] und [[Shri]] (Wohlstand, [[Glück]], Schönheit, [[Tugend]]) genannt. Der Gott und die Göttin sind auf den indischen Schreinen in enger Gesellung mit den vielfältigen örtlichen Genien dargestellt, welche das [[Spiel]] der lebenden Wasser in der geschaffenen Welt wiedergeben.
 
[[Datei:Vishnu.png|thumb|Eine andere Darstellung des auf Ananta, der Weltenschlange, schlafenden Vishnu]]
Ein herrliches Relief im Tempel von [[Deogarh]] zeigt Vishnu auf den Windungen [[Ananta]]s, der kosmischen Riesenschlange, ruhend (Vishnu Anantâsâyin). Das Werk — im [[Gupta]]-Stil der [[Zeit]] von ungefähr 600 n. Chr. — gehört derselben Periode an wie die klassischen Erzählungen der Puranas, welche die zehn [[Avatar]]e oder Inkarnationen dieser obersten Gottheit aufzählen und beschreiben. Die menschengestaltige Figur, die Schlange, die sein Lager bildet, und das Wasser, auf dem die Schlange schwimmt, sind dreieinige Offenbarungen der einen und einzigen göttlichen, unvergänglichen, kosmischen Substanz, der Energie, die allen Formen des Lebens zugrundeliegt und in ihnen wohnt.
 
In anmutiger, entspannter Haltung liegt der schlummernde [[Gott]], als sei er in den [[Traum]] der in ihm wesenden [[Welt]] versunken. Zu seinen Füßen an dem bescheidenen Platz, der dem Hinduweib gebührt, steht Lakshmi-Shri, die Göttin Lotos, seine Gattin. Ihre rechte Hand hält seinen Fuß, ihre linke streichelt sanft das Bein. Dieses Streicheln gehört zu der [[Verehrung]], die das Hinduweib überlieferungsgemäß den Füßen ihres Herrn erweist.
 
Aus dem Nabel des Gottes wächst ein Lotos, der eine zweite Manifestation der Göttin zu seinen Füßen ist. Auf seiner Blütenkrone trägt der Lotos [[Brahma]], den viergesichtigen Schöpfer-Demiurgen. Darüber sind höhere Gottheiten des Hindu-Pantheons angeordnet. Die Gestalt zur Rechten des viergesichtigen Brahma ist [[Indra]], der auf Airavata, seinem Elefanten, reitet. Das Paar, das sich auf einem Stier durch den Raum schwingt, ist [[Shiva]] und seine Gattin, »Die Göttin«. In der rechten Ecke entdeckt man eine knabenhafte Gestalt, die mehrere Profile darbietet; wahrscheinlich der sechsgesichtige Kriegsgott [[Skanda]]-[[Karttikeya]].
 
Darunter stehen fünf männliche Figuren und eine Frau in einer Reihe; offenbar die fünf [[Pandava]]-Fürsten mit ihrer Gattin, die Helden des [[Mahabharata]]-Epos. Als berühmte Empfänger seiner [[Gnade]] stehen sie in besonderer Beziehung zu Vishnu. Nach jener erhabenen Legende verloren sie ihr Königreich bei einem Würfelspiel an ihre Vettern, die [[Kaurava]]s, und wurden dann bei ihren Bemühungen, es wieder zu erlangen, vom Höchsten Gotte selbst unterstützt. In der irdischen Gestalt ihres Freundes [[Krishna]] diente ihnen Vishnu als Ratgeber und Wagenlenker. Vor dem Beginn der Endschlacht enthüllte er ihrem Anführer [[Arjuna]] die gesegnete Botschaft der [[Bhagavad Gita]] und schenkte ihm die ewige Freiheit wie den Sieg auf Erden. — Die zentrale Persönlichkeit auf dem Deogarh-Relief ist offenbar [[Yudhishthira]]; die beiden zu seiner Linken sind [[Bhima]] und Arjuna, und die zu seiner Rechten die Zwillinge [[Nakula]] und [[Sahadeva]]. In der Ecke steht die gemeinsame Gattin der fünf, [[Draupadi]] (diese Helden werden selbst als Inkarnationen betrachtet. Yudhishthira ist eine menschliche Manifestation [[Dharma]]s, des heiligen Lebensgesetzes. Bhima vertritt den Windgott [[Vayu]]; er wird durch die mächtige Eisenkeule charakterisiert, mit der er durch einen unfairen Schlag die Schenkel des Anführers der Gegner zerschmettert, den er zum Zweikampf herausgefordert hat. Arjuna ist der menschliche Widerpart Indras. Nakula und Sahadeva verkörpern die Zwillingsgottheit der Rosseführer, der [[Ashvin]] (eine Hinduparallele zu den griechischen Dioskuren). Draupadi endlich ist ein Doppel [[Indrani]]s, der Königin der Götter und Gattin Indras. Ihre Vielmännerehe mit den fünf Brüdern ist ein außerordentlicher und ausnahmsweiser Fall in der [[Brahmane|brahmanischen]] Überlieferung).
 
[[Datei:Krishna und Kaliya.png|thumb|Die Nagini-Königinnen bitten bei Krishna um Gnade für ihren besiegten Herrscher Kaliya]]
 
Zum Problem der großen Schlange als Lager des Gottes zurückkehrend, können wir bei dieser Gelegenheit das ganze Thema des Schlangensymbols in der indischen Ikonographie betrachten. Vishnus Schultern und sein [[Kopf]] sind von neun Schlangenhäuptern mit aufgeblasenen Hauben umgeben und beschützt; sein Leib ruht auf den mächtigen Schlingen. Diese vielköpfige Schlange ist das tierische Gegenstück zu dem menschengestaltigen Schläfer selbst. Endlos ([[Ananta]]) wird sie genannt, auch »Die Bleibende«, »Der Rest« ([[Shesha]]). Es ist eine Gestalt, die den Rest versinnbildlicht, der nach der Formung der Erde, der himmlischen und höllischen Regionen und all ihrer Geschöpfe aus den kosmischen Wassern des Abgrundes zurückbleibt. Die drei geschaffenen Welten fluten auf den Wassern; das meint, sie schweben auf den aufgeblasenen Hauben. Shesha ist der König und Ahn aller Schlangen, welche die Erde bekriechen.
 
Der Schultern und Haupt umgebende Schild aus aufgeblasenen Schlangenhauben ist ein charakteristischer Zug der Schlangen-Geister in der indischen Kunst. Eine typische Darstellung wurde bei der Ausgrabung der großen buddhistischen Klosteruniversität Nalanda in Nordost-Indien entdeckt. Es handelt sich um ein Werk im reifen klassischen Stil der späteren Gupta-Periode, ungefähr 500 n. Chr. Der Schlangenfürst oder Naga ist in menschlicher Gestalt wiedergegeben, und zwar in der Haltung eines Verehrenden, in der Stellung der [[Meditation]], einen [[Mala|Rosenkranz]] um die Innenfläche seiner rechten Hand geschlungen. Von seinem Rücken wächst die charakteristische Glorie in Form einer ungeraden Zahl aufgeblasener Kobrahauben, die einen Teil des [[Körper]]s bilden und das Haupt beschirmen. Zuweilen wird der gewundene Leib der Schlange den Rücken herablaufend dargestellt. Oder der Menschenleib mag sich auch von den Hüften ab in eine Schlange verwandeln, wie bei einer Meer-Jungfrau. Ein gigantisches Relief, das den Abstieg des [[Ganga|Ganges]] zur Erde darstellt und das wir am Schluß dieses Kapitels besprechen werden, zeigt zwei solcher Figuren, eine männliche und eine weibliche.
 
Die Nagas sind über den Menschen stehende Genien. Sie bewohnen unterseeische Paradiese und weilen auf den Gründen der Flüsse, Seen und Meere in glänzenden, mit Edelsteinen und Perlen ausgelegten Palästen. Als Hüter der Lebensenergie, die in den irdischen Gewässern der Quellen, Brunnen und Teiche aufgespeichert liegt, bewachen sie auch die Schätze des Meeres, die Korallen, kostbaren Muscheln und Perlen. Man glaubt, daß sie ein kostbares Juwel in ihrem Haupt tragen. Schlangenprinzessinnen, berühmt für Schönheit und Charme, figurieren unter den Ahnfrauen mancher südindischer Dynastie; eine Nagini oder einen Naga im Stammbaum zu haben, gibt Hintergrund.
 
[[Datei:Wächternagas Tempeleingang in Chiang Mai, Nordthailand.jpg|thumb|Ineinander verschlungene Nagas als Torwächter an einem Tempeleingang in Chiang Mai, Nordthailand]]
 
Eine wichtige Funktion der Nagas ist die des »Torwächters« ([[Dvarapala]]). Als solche erscheinen sie häufig an den Portalen hinduistischer und buddhistischer Tempel. In dieser Rolle ist die ihnen gemäße Haltung die der frommen Hingabe ([[Bhakti]]), eifriger und liebevoller Sammlung auf die inwendige [[Darshana|Schau]] des Gottes oder des [[Buddha]]s, dessen Bereich sie hüten. Es ist außerordentlich interessant und wichtig, zu beobachten, daß die buddhistischen und hinduistischen Darstellungen dieser volkstümlichen Gottheiten weder in der ganzen Auffassung noch in den Einzelheiten voneinander abweichen. Denn die hinduistische und buddhistische Kunst Indiens sind im Grunde eins, ebenso wie die buddhistische und hinduistische Weltauffassung. Fürst [[Gautama]] [[Siddhartha]], der »geschichtliche Buddha«, der im sechsten und fünften Jahrhundert vor [[Christus]] lehrte, war ein Reformer, ein mönchischer Reformer, der innerhalb des für selbstverständlich angesehenen Gesamtgewebes indischer Kultur blieb. Er leugnete niemals die Götterwelt der Hindu noch brach er mit dem traditionellen Hinduideal der [[Erlösung]] durch [[Erleuchtung]] ([[Moksha]], [[Nirvana]]). Nicht darin bestand seine Tat, daß er etwas ablehnte, sondern daß er die alterslose indische Lehre der Befreiung aus den Schlingen der Maya auf Grund einer tiefen persönlichen [[Erfahrung]] neu formulierte. Der neue Orden der Bettelmönche, den er zur praktischen Ausübung seiner besonderen sittlichen Vorschriften gründete, war in Indien nur einer unter zahllosen anderen. »Ich habe den alten [[Weg]] erblickt« wird eine Äußerung von ihm berichtet, »die alte Straße, welche die früheren Vollendet-Erleuchteten gegangen sind, und das ist auch der Pfad, dem ich folge.«
 
Wie jeder indische Heilige von einigem Rang wurde Gautama schon während seiner Lebenszeit als menschliches Fahrzeug der Absoluten [[Wahrheit]] verehrt. Nach seinem Hinscheiden wurde die [[Erinnerung]] an ihn mit der gewöhnlichen mythischen Ausstattung umkleidet. Und als die buddhistische Sekte sich ausdehnte und sich aus einer wesentlich mönchischen Gemeinschaft zu einer auch die Weltkinder umgreifenden religiösen Gemeinschaft entwickelte (eine [[Entwicklung]], die sich ein Halbjahrtausend später in der Geschichte des [[Christentum]]s wiederholen sollte), wurde ihr großer Gründer immer weniger und weniger ausschließlich als ein zu befolgendes Beispiel angesehen. Denn wie kann ein Laie den Asketen nachahmen und zu gleicher Zeit seine [[Familie]]npflichten erfüllen? So wurde der Buddha immer mehr ein Sinnbild, das zu verehren war — ein Sinnbild der befreienden [[Kraft]] der Erleuchtung, die in jedem in Täuschung verstrickten Wesen ruht. Während der goldenen Jahrhunderte, welche der Epoche des Buddha folgten und bis zum Einbruch der wilden Zeloten [[Mohammed]]s in Indien dauerten, entwickelten sich Buddhismus und Hinduismus Seite an Seite, Thesen und Einsichten austauschend und denselben Einflüssen unterworfen. In der späteren buddhistischen Kunst finden wir den siegreich Vollendeten als höchste Personifikation des Absoluten zwischen den alten dämonischen und göttlichen Mächten der fruchtbaren [[Erde]], der [[Himmel]] und der [[Hölle]]n.
 
Die frühesten steinernen Denkmäler Indiens stammen aus der [[Maurya]]-Periode (320-185 v. Chr.), insbesondere aus der epochemachenden Regierungszeit des Kaisers [[Ashoka]] (272-232 v. Chr.). Ashoka war zum buddhistischen [[Glauben]] bekehrt worden und wurde sein überaus mächtiger Schutzherr. Sein Reich umfaßte nicht nur ganz Nordindien und strebte danach, Afghanistan, [[Kaschmir]] und den Dekkan einzubeziehen, sondern er sandte auch Missionare aus, im Süden bis nach Ceylon und westlich sogar nach Syrien und Ägypten. In seinem Kaiserreich gründete er zahllose Klöster und soll bis zu achtzigtausend Dagabas oder Stupas (buddhistische Reliquienschreine) errichtet haben. Aus den Ruinen seiner Epoche bricht die bildkünstlerische Überlieferung der indischen Mythen und Symbole für uns zuerst wie ein Sturzbach ins Tageslicht.
 
Dennoch ist es aus der Verfeinerung, dem Grad der Vollendung, der Verschiedenartigkeit der [[Arbeit]] und der Arbeiten, die plötzlich in der Epoche Ashokas erscheinen und sich dann schnell vermehren, ersichtlich, daß schon in früheren Jahrhunderten der Strom indischer religiöser Kunst mit Macht geflossen sein muß. Er bleibt uns nur unsichtbar, weil er auf die vergänglichen Stoffe Elfenbein und Holz beschränkt war. Die Kunsthandwerker, welche die so fein geschmückten Tore der »Großen Stupa« zu [[Sanchi]] und die nun zerfallenen Schreine von Bharhut, [[Bodhgaya]] und Amaravati schufen, übertrugen in der Hauptsache die alten Motive ihrer überlieferten Kunst in Stein und paßten sie geschickt den besonderen Erfordernissen und speziellen Legenden der neuen Sekte an.
 
Der wolkenbildähnliche [[Indra]], den wir im vorigen Kapitel besprachen, schmückt den Eingang eines buddhistischen Klosters des zweiten Jahrtausends v. Chr. Nagas, [[Vriksha]]-[[Devata]]s, [[Yaksha]]s und [[Yahshini]]s (Schlangenkönige, Baumgöttinnen, Erdgottheiten und ihre Königinnen) wimmeln buchstäblich in den zahlreichen Monumenten des buddhistischen Glaubens. Und ihr Platz im Verhältnis zum Mittelschrein oder zum Bild des Siegreich-Vollendeten ist schwer von dem zu unterscheiden, den sie bei ihrem Erscheinen als Umgebung der orthodoxen Hindu-Personifikationen des Absoluten, Vishnu und [[Shiva]], einnehmen. In Ceylon zum Beispiel gibt es ein Nâga-Relief, das am Fuß der langen zur Ruanweli Dagaba führenden Stufenflucht steht. Der anmutige Prinz bietet in beiden Händen Sinnbilder vegetativer Fruchtbarkeit dar, für die er als Wächter und halbgöttliche Schlangenverkörperung der lebenserhaltenden irdischen Gewässer persönlich verantwortlich ist. In seiner Linken ist ein Baum, in seiner Rechten ein Wasserbecken, das Gefäß des Überflusses, aus dem eine [[Pflanze]] voller Süßigkeit wächst. Die von diesem Schlangenfürsten als Türhüter und anbetende Figur eingenommene Haltung geht auf die früheste Periode buddhistischer Kunst zurück.
 
Zwischen dem Buddha und dem Naga in Indien herrscht kein solcher Antagonismus wie wir ihn in dem »Heiland contra Schlange« — Symbolismus des Westens gewohnt sind. Nach der buddhistischen Überzeugung bejubeln alle Genien der [[Natur]] zusammen mit den höchsten Göttern die Erscheinung des inkarnierten Erlösers, und die Schlange als die hauptsächlichste Personifikation der Wasser des irdischen Lebens macht davon keine Ausnahme. Begierig, dem All-Lehrer zu dienen, halten sie besorgt an seinem Weg zur endlichen Erleuchtung Wache. Denn es ist gleicherweise zur Befreiung aller Wesen gekommen: der Geschöpfe der Erde, der Himmel und der Höllen.
 
Es gibt einen besonderen Buddhatypus, welcher diese höchste [[Harmonie]] zwischen dem Erlöser betont, der die Fesseln der Natur überwunden hat, und der Schlange, die eben diese Fesseln darstellt. Dieser Typus tritt auffallend in der buddhistischen Kunst Kambodschas und Siams hervor. Gleich dem Abbild Vishnus auf Ananta stellt dieser Buddha eine besondere Modifikation einer traditionellen hinduistischen Naga-Formel dar. Dieser Typus erscheint nicht unter den Kunstwerken des eigentlichen Indien. Aber seine erklärende Legende bildet einen Teil der frühesten buddhistischen Überlieferung Indiens und nimmt in dem orthodoxen Kanon, wie er von der ehrwürdigen buddhistischen Gemeinschaft Ceylons bewahrt wird, einen hervorragenden Platz ein. Sie gründet auf einem Geschehnis, das sich kurz nach Gautamas Erleuchtung ereignet haben soll.
 
[[Datei:Buddha-Muchalinda Foto Heinrich Damm.jpg|thumb|Der von Muchalinda vor dem Unwetter beschützte Buddha - Foto:Heinrich Damm]]
 
Als der Hochgesegnete in der letzten Stunde der Nacht der [[Erkenntnis]] das Mysterium von Ursache und Wirkung ausgelotet hatte, erdröhnten die zehntausend Welten von seiner Erlangung der Allweisheit. Dann saß er mit untergeschlagenen Beinen sieben Tage lang am Fuß des Bo-Baumes (dem [[Boddhi]]-Baum, dem »Baum der Erleuchtung«) an den Ufern des Flusses Nairanjana in die [[Seligkeit]] seiner Erkenntnis versunken. Und er bewegte in seinem [[Gemüt]] sein neues [[Wissen]] von den Fesseln alles individualisierten Daseins; von der verhängnisvollen [[Macht]] eingeborener Unwissenheit, die ihren Bann über alle lebenden Wesen wirft; von dem irrationalen Durst nach [[Leben]], der darum alles durchdringt; von dem endlosen Kreislauf aus [[Geburt]], Leben, Verfall, [[Tod]] und [[Reinkarnation|Wiedergeburt]]. Als diese sieben Tage verstrichen waren, erhob er sich und ging ein wenig weiter zu dem großen [[Banyan]]-Baum (dem »Baum der Ziegenherde«), an dessen Fuß er wieder seinen Sitz mit untergeschlagenen Beinen einnahm. Und wieder saß er weitere sieben Tage lang in die Seligkeit seiner Erleuchtung versunken. Nach dem Ende dieser Zeit erhob er sich abermals, um den Banyan-Baum zu verlassen und zu einem dritten großen Baum zu wandeln. Wieder saß er und erfuhr sieben Tage lang jenen Zustand erhabenster [[Ruhe]]. Dieser dritte Baum, der Baum unserer Legende, erhielt den Namen »Der Baum des Schlangenkönigs [[Muchalinda]]«.
 
Muchalinda, eine ungeheure Schlange, hauste in einer [[Höhle|Höhlung]] inmitten der Wurzeln. Sobald der Buddha in den Zustand der Seligkeit entrückt war, bemerkte er, daß außerhalb jeder Jahreszeit eine große Sturmwolke am Horizont erschien, woraufhin er gelassen aus seinem dunklen Loch glitt und mit den Windungen seines Körpers siebenmal den begnadeten Leib des Siegreich-Vollendeten umhüllte; mit seiner aufgeblasenen riesigen Schlangenhaube schützte er wie ein Schirm das heilige Haupt. Sieben Tage regnete es fort, der Wind blies kalt, und der Buddha blieb in [[Meditation]] versunken. Aber am siebten Tag verschwand der unerwartet gekommene Sturm; Muchalinda entfaltete die Spiralen seines Leibes, verwandelte sich selbst in einen freundlichen Jüngling und, die gefalteten Hände an seine Stirn bringend, verneigte er sich in [[Ehrfurcht]] vor dem Erlöser der [[Welt]].
 
In dieser Legende und in den Bildwerken des Muchalinda-Buddhas wird eine vollständige Versöhnung entgegengesetzter Prinzipien dargestellt. Die Schlange, das Sinnbild der Lebenskraft, die hinter Geburt und Wiedergeburt wirkt, und der Erlöser, der Vernichter dieses blinden Lebenswillens, der die Fesseln der Geburt aufhebt, der Wegweiser zum Unvergänglich-Transzendenten, sie öffnen hier in harmonischer Gemeinschaft eine Schau, die jenseits aller Entzweiung des Denkens liegt. Einige dieser Muchalinda-Buddhas der Mon-Khmers (Siam und Kambodscha, 9.-13. Jahrhundert n. Chr.) gehören zu den bedeutendsten Meisterwerken buddhistischer Kunst. Mit der träumerischen, anmutig-lustvollen Geschmeidigkeit eines zarten, unirdischen, sinnbetörenden Charmes verschmelzen sie hohe [[Spiritualität]] mit gelassenem Entrücktsein. Die Seligkeit inneren Gebanntseins durch das Erlebnis der Erleuchtung, Triumph über die Bande des Daseins, höchster [[Frieden]], Nirvana-Erlösung durchdringen die Substanz des Bildwerkes und entsenden eine zarte, mitleidige, süße Strahlung.
 
Einige sagen, daß, als der Buddha seine Lehre zu verkünden begann, er bald einsehen mußte, wie die Menschen nicht vorbereitet waren, sie in ihrer ganzen Tiefe anzunehmen. Sie schraken vor den außerordentlichen Anforderungen zurück, die seine [[Vision]] der universellen Lehre ([[Sunyata]]) stellte. Darum vertraute er die tiefere Deutung der Wirklichkeit einer Zuhörerschaft von Nagas an, die sie als Treuhänder bewahren sollten bis die Menschheit zum Verständnis reif geworden sei. Dann eröffnete er seinen menschlichen [[Schüler]]n als eine Art von vorbereitender Schulung und eine Annäherung an die Paradoxe der Wahrheit die verhältnismäßig rationale und realistische Lehre der sogenannten [[Hinayana]]-Richtung des Buddhismus. Erst nach dem Ablauf von sieben Jahrhunderten wurde der große Weise [[Nagarjuna]], "Arjuna der Nagas", durch die Schlangenkönige in die Erkenntnis der großen Lehre (Sunya) eingeweiht. So war er es, der den Menschen die voll ausgereiften Lehren des [[Mahayana]] brachte.


==Verschiedene Bedeutungen der Schlange==
==Verschiedene Bedeutungen der Schlange==
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==Siehe auch==
==Siehe auch==
Weiterlesen im Buch von Heinrich Zimmer?
*Heinrich Zimmer, "Indische Mythen und Symbole - Schlüssel zur Formenwelt des Göttlichen"
::Kapitel 1: Ewigkeit und Zeit
:::1.1 [[Die Parade der Ameisen]]
:::1.2 [[Das Rad der Wiedergeburten]]
:::1.3 [[Die Weisheit des Lebens]]
::Kapitel 2: Die Mythologie Vishnus
:::2.1 [[Vishnus Maya]]
:::2.2 [[Die Wasser des Daseins]]
:::2.3 [[Die Wasser des Nichtseins]]
:::2.4 [[Maya in der indischen Kunst]]
::Kapitel 3: Die Wächter des Lebens
:::3.1 [[Die Schlange, Trägerin Vishnus und des Buddha]]
:::3.2 [[Gottheiten und ihre Träger]]
:::3.3 [[Schlange und Vogel]]
:::3.4 [[Vishnu als Besieger der Schlange]]
:::3.5 [[Der Lotos]]
:::3.6 [[Der Elefant]]
:::3.7 [[Heilige Flüsse]]
::Kapitel 4: Shivas kosmisches Entzücken
:::4.1 [[Fundamentale Gestalt und spielende Manifestationen ]]
:::4.2 [[Das Phänomen der expandierenden Gestalt]]
:::4.3 [[Shiva-Shakti]]
:::4.4 [[Der große Oberherr]]
:::4.5 [[Shivas Tanz]]
:::4.6 [[Das Antlitz der Glorie]]
:::4.7 [[Der Zerstörer der drei Städte]]
::Kapitel 5: Die Göttin
:::5.1 [[Die Entstehung der Göttin]]
:::5.2 [[Die Juweleninsel]]


* Hinduismus
* Hinduismus
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* Chakren
* Chakren
* Vedanta
* Vedanta
==Literatur==
*[https://www.yoga-vidya.de/shop/product_info.php?info=p353_Goetter-und-Goettinnen-im-Hinduismus/&XTCsid=a793ba3e94d6e68c68e3244b0615a13f Swami Sivananda, Götter und Göttinnen im Hinduismus]
*[https://www.yoga-vidya.de/shop/product_info.php?info=p44_Parabeln-von-Swami-Sivananda/&XTCsid=a793ba3e94d6e68c68e3244b0615a13f Swami Sivananda, Parabeln]


==Weblinks==
==Weblinks==
* Alles zum Thema [https://www.yoga-vidya.de/kundalini-yoga/ Kundalini Yoga]
* Alles zum Thema [https://www.yoga-vidya.de/kundalini-yoga/ Kundalini Yoga]
==Seminar==
*[https://www.yoga-vidya.de/seminare/stichwortsuche/dfu/0/dtu/0/ex/0/fu/Mythologie/ro/s/ Yoga Vidya Seminare zum Thema Mythologie]
* [https://www.yoga-vidya.de/seminare/interessengebiet/kundalini-yoga/ Kundalini Yoga Seminare]
* [https://www.yoga-vidya.de/seminare/interessengebiet/kundalini-yoga/ Kundalini Yoga Seminare]
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[[Kategorie:Heinrich Zimmer]]
 
[[Kategorie:Zimmer Indische Mythen und Symbole]]
[[Kategorie:Indische Philosophie]]
[[Kategorie:Indische Philosophie]]
[[Kategorie:Yoga]]
[[Kategorie:Mythologie]]
[[Kategorie:Mythologie]]
[[Kategorie:Tier]]
[[Kategorie:Kundalini Yoga]]
[[Kategorie:Shaktismus]]
[[Kategorie:Biologie]]

Version vom 29. März 2014, 11:12 Uhr

Schlange ist der Name für eine Gruppe von Reptilien. Die Schlange spielt in verschiedenen spirituellen Traditionen, in Religionen und Mythologien eine wichtige Rolle. Auch in vielen Geschichten und Analogien tauchen Schlangen auf.

Vishnu, auf Shesha Naga (Ananta) ruhend, während Lakshmi ihm die Füße massiert und der viergesichtige Brahma aus dem Nabellotos aufsteigt

Der nachfolgende Text ist dem Buch "Indische Mythen und Symbole - Schlüssel zur Formenwelt des Göttlichen" des Indologen Heinrich Zimmer entnommen (Originaltitel "Myths and Symbols in Indian Art and Civilization", Bollingen Foundation Inc., New York). Übersetzung aus dem Englischen von Ernst Wilhelm Eschmann, Eugen Diederichs Verlag, München 1981, 5. Aufl. 1993)

Indische Mythen und Symbole - Kapitel 3: Die Wächter des Lebens

Teil 1: Die Schlange, Trägerin Vishnus und des Buddha

Während die Mythen der Weltentstehung und -auflösung in einer kalten und rücksichtslosen Unpersönlichkeit kreisen, welche die große Welt menschlichen Wohles und Leides zu eigentlicher Nichtigkeit einschrumpfen macht, überquillt die volkstümliche Sage von Gottheiten und Genien voll warmer Sympathie für die Lebensillusion.

Den Weisen Narada und Markandeya wurden magische Erfahrungen von der Unerfaßlichkeit der Maya gewährt. Auf der anderen Seite leben und arbeiten die Menschheitsmillionen innerhalb des Traumgewebes und seiner Netze. Sie werden in ihrem Leben getäuscht, umgeben, unterstützt und getröstet von einer Überfülle vertrauter Beschützergestalten, deren Aufgabe es ist, über der örtlichen, ununterbrochenen Wirksamkeit jener kosmogonischen Macht zu wachen, die am Anfang die Welt formte. Genien (Yaksa), die Kräfte des Bodens, die mineralischen Schätze, die kostbaren Metalle und Edelsteine der Erde vertretend; Schlangenkönige und -königinnen (Naga, Nagini), welche die irdischen Gewässer der Seen und Teiche, Flüsse und Ozeane verkörpern und lenken; die Göttinnen der drei heiligen Ströme, Ganga (der Ganges), Yamuna(der Jumna), Sarasvati (der Saraswati); Dryaden oder Baumgottheiten (Vriskha-Devata), Patroninnen der Vegetationswelt; heilige Elefanten (Naga — derselbe Ausdruck wie für Schlange), die ursprünglich Flügel hatten und den Wolken zu gesellt waren, und die selbst jetzt noch auf Erden ihre Macht behalten haben, ihre früheren regenschwangeren Genossen anzuziehen: diese alle schenken den Kindern der Welt all die Gaben irdischer Glückseligkeit, Überfluß an Ernten und Vieh, Wohlstand, Nachkommenschaft, Gesundheit und langes Leben.

Die schreckliche Hitze der verzehrenden Sonne wird in Indien als eine tödliche Gewalt betrachtet. Im Gegensatz dazu ist der Mond, der den erfrischenden Tau herabsendet, Sitz und Quelle des Lebens. Der Mond ist der Herrscher der Gewässer und diese, durch das All kreisend, alle lebenden Geschöpfe erhaltend, sind der indische Widerpart für das Himmelsnaß Amrita, den Trank der Götter ('a' heißt nicht und 'mrita' tot, das Wort ist etymologisch dem griechischen ambrosia verwandt). Tau und Regen werden zum Saft der Pflanzen, der Saft der Pflanzen wird zur Milch der Kuh, und die Milch verwandelt sich in Blut; Amrita, Saft der Pflanzen, Milch und Blut stellen nur verschiedene Zustände desselben Elixiers dar. Das Gefäß oder der Becher dieses unsterblichen Fluidums ist der Mond. Die eindrucksvollsten und am meisten wohltätigen seiner Manifestationen auf Erden sind die großen Ströme und unter ihnen besonders die drei heiligen: Ganges, Jumna, Saraswati.

Die Mythologie Indiens ist reich an Personifikationen der lebenspendenden Kraft des Wassers. Die erste unter ihnen ist Vishnu selbst, der höchste Schöpfer des Alls. Die zweite nach ihm ist die Göttin Padma (»Lotos«), seine Gattin und Königin, auch Lakshmi und Shri (Wohlstand, Glück, Schönheit, Tugend) genannt. Der Gott und die Göttin sind auf den indischen Schreinen in enger Gesellung mit den vielfältigen örtlichen Genien dargestellt, welche das Spiel der lebenden Wasser in der geschaffenen Welt wiedergeben.

Eine andere Darstellung des auf Ananta, der Weltenschlange, schlafenden Vishnu

Ein herrliches Relief im Tempel von Deogarh zeigt Vishnu auf den Windungen Anantas, der kosmischen Riesenschlange, ruhend (Vishnu Anantâsâyin). Das Werk — im Gupta-Stil der Zeit von ungefähr 600 n. Chr. — gehört derselben Periode an wie die klassischen Erzählungen der Puranas, welche die zehn Avatare oder Inkarnationen dieser obersten Gottheit aufzählen und beschreiben. Die menschengestaltige Figur, die Schlange, die sein Lager bildet, und das Wasser, auf dem die Schlange schwimmt, sind dreieinige Offenbarungen der einen und einzigen göttlichen, unvergänglichen, kosmischen Substanz, der Energie, die allen Formen des Lebens zugrundeliegt und in ihnen wohnt.

In anmutiger, entspannter Haltung liegt der schlummernde Gott, als sei er in den Traum der in ihm wesenden Welt versunken. Zu seinen Füßen an dem bescheidenen Platz, der dem Hinduweib gebührt, steht Lakshmi-Shri, die Göttin Lotos, seine Gattin. Ihre rechte Hand hält seinen Fuß, ihre linke streichelt sanft das Bein. Dieses Streicheln gehört zu der Verehrung, die das Hinduweib überlieferungsgemäß den Füßen ihres Herrn erweist.

Aus dem Nabel des Gottes wächst ein Lotos, der eine zweite Manifestation der Göttin zu seinen Füßen ist. Auf seiner Blütenkrone trägt der Lotos Brahma, den viergesichtigen Schöpfer-Demiurgen. Darüber sind höhere Gottheiten des Hindu-Pantheons angeordnet. Die Gestalt zur Rechten des viergesichtigen Brahma ist Indra, der auf Airavata, seinem Elefanten, reitet. Das Paar, das sich auf einem Stier durch den Raum schwingt, ist Shiva und seine Gattin, »Die Göttin«. In der rechten Ecke entdeckt man eine knabenhafte Gestalt, die mehrere Profile darbietet; wahrscheinlich der sechsgesichtige Kriegsgott Skanda-Karttikeya.

Darunter stehen fünf männliche Figuren und eine Frau in einer Reihe; offenbar die fünf Pandava-Fürsten mit ihrer Gattin, die Helden des Mahabharata-Epos. Als berühmte Empfänger seiner Gnade stehen sie in besonderer Beziehung zu Vishnu. Nach jener erhabenen Legende verloren sie ihr Königreich bei einem Würfelspiel an ihre Vettern, die Kauravas, und wurden dann bei ihren Bemühungen, es wieder zu erlangen, vom Höchsten Gotte selbst unterstützt. In der irdischen Gestalt ihres Freundes Krishna diente ihnen Vishnu als Ratgeber und Wagenlenker. Vor dem Beginn der Endschlacht enthüllte er ihrem Anführer Arjuna die gesegnete Botschaft der Bhagavad Gita und schenkte ihm die ewige Freiheit wie den Sieg auf Erden. — Die zentrale Persönlichkeit auf dem Deogarh-Relief ist offenbar Yudhishthira; die beiden zu seiner Linken sind Bhima und Arjuna, und die zu seiner Rechten die Zwillinge Nakula und Sahadeva. In der Ecke steht die gemeinsame Gattin der fünf, Draupadi (diese Helden werden selbst als Inkarnationen betrachtet. Yudhishthira ist eine menschliche Manifestation Dharmas, des heiligen Lebensgesetzes. Bhima vertritt den Windgott Vayu; er wird durch die mächtige Eisenkeule charakterisiert, mit der er durch einen unfairen Schlag die Schenkel des Anführers der Gegner zerschmettert, den er zum Zweikampf herausgefordert hat. Arjuna ist der menschliche Widerpart Indras. Nakula und Sahadeva verkörpern die Zwillingsgottheit der Rosseführer, der Ashvin (eine Hinduparallele zu den griechischen Dioskuren). Draupadi endlich ist ein Doppel Indranis, der Königin der Götter und Gattin Indras. Ihre Vielmännerehe mit den fünf Brüdern ist ein außerordentlicher und ausnahmsweiser Fall in der brahmanischen Überlieferung).

Die Nagini-Königinnen bitten bei Krishna um Gnade für ihren besiegten Herrscher Kaliya

Zum Problem der großen Schlange als Lager des Gottes zurückkehrend, können wir bei dieser Gelegenheit das ganze Thema des Schlangensymbols in der indischen Ikonographie betrachten. Vishnus Schultern und sein Kopf sind von neun Schlangenhäuptern mit aufgeblasenen Hauben umgeben und beschützt; sein Leib ruht auf den mächtigen Schlingen. Diese vielköpfige Schlange ist das tierische Gegenstück zu dem menschengestaltigen Schläfer selbst. Endlos (Ananta) wird sie genannt, auch »Die Bleibende«, »Der Rest« (Shesha). Es ist eine Gestalt, die den Rest versinnbildlicht, der nach der Formung der Erde, der himmlischen und höllischen Regionen und all ihrer Geschöpfe aus den kosmischen Wassern des Abgrundes zurückbleibt. Die drei geschaffenen Welten fluten auf den Wassern; das meint, sie schweben auf den aufgeblasenen Hauben. Shesha ist der König und Ahn aller Schlangen, welche die Erde bekriechen.

Der Schultern und Haupt umgebende Schild aus aufgeblasenen Schlangenhauben ist ein charakteristischer Zug der Schlangen-Geister in der indischen Kunst. Eine typische Darstellung wurde bei der Ausgrabung der großen buddhistischen Klosteruniversität Nalanda in Nordost-Indien entdeckt. Es handelt sich um ein Werk im reifen klassischen Stil der späteren Gupta-Periode, ungefähr 500 n. Chr. Der Schlangenfürst oder Naga ist in menschlicher Gestalt wiedergegeben, und zwar in der Haltung eines Verehrenden, in der Stellung der Meditation, einen Rosenkranz um die Innenfläche seiner rechten Hand geschlungen. Von seinem Rücken wächst die charakteristische Glorie in Form einer ungeraden Zahl aufgeblasener Kobrahauben, die einen Teil des Körpers bilden und das Haupt beschirmen. Zuweilen wird der gewundene Leib der Schlange den Rücken herablaufend dargestellt. Oder der Menschenleib mag sich auch von den Hüften ab in eine Schlange verwandeln, wie bei einer Meer-Jungfrau. Ein gigantisches Relief, das den Abstieg des Ganges zur Erde darstellt und das wir am Schluß dieses Kapitels besprechen werden, zeigt zwei solcher Figuren, eine männliche und eine weibliche.

Die Nagas sind über den Menschen stehende Genien. Sie bewohnen unterseeische Paradiese und weilen auf den Gründen der Flüsse, Seen und Meere in glänzenden, mit Edelsteinen und Perlen ausgelegten Palästen. Als Hüter der Lebensenergie, die in den irdischen Gewässern der Quellen, Brunnen und Teiche aufgespeichert liegt, bewachen sie auch die Schätze des Meeres, die Korallen, kostbaren Muscheln und Perlen. Man glaubt, daß sie ein kostbares Juwel in ihrem Haupt tragen. Schlangenprinzessinnen, berühmt für Schönheit und Charme, figurieren unter den Ahnfrauen mancher südindischer Dynastie; eine Nagini oder einen Naga im Stammbaum zu haben, gibt Hintergrund.

Ineinander verschlungene Nagas als Torwächter an einem Tempeleingang in Chiang Mai, Nordthailand

Eine wichtige Funktion der Nagas ist die des »Torwächters« (Dvarapala). Als solche erscheinen sie häufig an den Portalen hinduistischer und buddhistischer Tempel. In dieser Rolle ist die ihnen gemäße Haltung die der frommen Hingabe (Bhakti), eifriger und liebevoller Sammlung auf die inwendige Schau des Gottes oder des Buddhas, dessen Bereich sie hüten. Es ist außerordentlich interessant und wichtig, zu beobachten, daß die buddhistischen und hinduistischen Darstellungen dieser volkstümlichen Gottheiten weder in der ganzen Auffassung noch in den Einzelheiten voneinander abweichen. Denn die hinduistische und buddhistische Kunst Indiens sind im Grunde eins, ebenso wie die buddhistische und hinduistische Weltauffassung. Fürst Gautama Siddhartha, der »geschichtliche Buddha«, der im sechsten und fünften Jahrhundert vor Christus lehrte, war ein Reformer, ein mönchischer Reformer, der innerhalb des für selbstverständlich angesehenen Gesamtgewebes indischer Kultur blieb. Er leugnete niemals die Götterwelt der Hindu noch brach er mit dem traditionellen Hinduideal der Erlösung durch Erleuchtung (Moksha, Nirvana). Nicht darin bestand seine Tat, daß er etwas ablehnte, sondern daß er die alterslose indische Lehre der Befreiung aus den Schlingen der Maya auf Grund einer tiefen persönlichen Erfahrung neu formulierte. Der neue Orden der Bettelmönche, den er zur praktischen Ausübung seiner besonderen sittlichen Vorschriften gründete, war in Indien nur einer unter zahllosen anderen. »Ich habe den alten Weg erblickt« wird eine Äußerung von ihm berichtet, »die alte Straße, welche die früheren Vollendet-Erleuchteten gegangen sind, und das ist auch der Pfad, dem ich folge.«

Wie jeder indische Heilige von einigem Rang wurde Gautama schon während seiner Lebenszeit als menschliches Fahrzeug der Absoluten Wahrheit verehrt. Nach seinem Hinscheiden wurde die Erinnerung an ihn mit der gewöhnlichen mythischen Ausstattung umkleidet. Und als die buddhistische Sekte sich ausdehnte und sich aus einer wesentlich mönchischen Gemeinschaft zu einer auch die Weltkinder umgreifenden religiösen Gemeinschaft entwickelte (eine Entwicklung, die sich ein Halbjahrtausend später in der Geschichte des Christentums wiederholen sollte), wurde ihr großer Gründer immer weniger und weniger ausschließlich als ein zu befolgendes Beispiel angesehen. Denn wie kann ein Laie den Asketen nachahmen und zu gleicher Zeit seine Familienpflichten erfüllen? So wurde der Buddha immer mehr ein Sinnbild, das zu verehren war — ein Sinnbild der befreienden Kraft der Erleuchtung, die in jedem in Täuschung verstrickten Wesen ruht. Während der goldenen Jahrhunderte, welche der Epoche des Buddha folgten und bis zum Einbruch der wilden Zeloten Mohammeds in Indien dauerten, entwickelten sich Buddhismus und Hinduismus Seite an Seite, Thesen und Einsichten austauschend und denselben Einflüssen unterworfen. In der späteren buddhistischen Kunst finden wir den siegreich Vollendeten als höchste Personifikation des Absoluten zwischen den alten dämonischen und göttlichen Mächten der fruchtbaren Erde, der Himmel und der Höllen.

Die frühesten steinernen Denkmäler Indiens stammen aus der Maurya-Periode (320-185 v. Chr.), insbesondere aus der epochemachenden Regierungszeit des Kaisers Ashoka (272-232 v. Chr.). Ashoka war zum buddhistischen Glauben bekehrt worden und wurde sein überaus mächtiger Schutzherr. Sein Reich umfaßte nicht nur ganz Nordindien und strebte danach, Afghanistan, Kaschmir und den Dekkan einzubeziehen, sondern er sandte auch Missionare aus, im Süden bis nach Ceylon und westlich sogar nach Syrien und Ägypten. In seinem Kaiserreich gründete er zahllose Klöster und soll bis zu achtzigtausend Dagabas oder Stupas (buddhistische Reliquienschreine) errichtet haben. Aus den Ruinen seiner Epoche bricht die bildkünstlerische Überlieferung der indischen Mythen und Symbole für uns zuerst wie ein Sturzbach ins Tageslicht.

Dennoch ist es aus der Verfeinerung, dem Grad der Vollendung, der Verschiedenartigkeit der Arbeit und der Arbeiten, die plötzlich in der Epoche Ashokas erscheinen und sich dann schnell vermehren, ersichtlich, daß schon in früheren Jahrhunderten der Strom indischer religiöser Kunst mit Macht geflossen sein muß. Er bleibt uns nur unsichtbar, weil er auf die vergänglichen Stoffe Elfenbein und Holz beschränkt war. Die Kunsthandwerker, welche die so fein geschmückten Tore der »Großen Stupa« zu Sanchi und die nun zerfallenen Schreine von Bharhut, Bodhgaya und Amaravati schufen, übertrugen in der Hauptsache die alten Motive ihrer überlieferten Kunst in Stein und paßten sie geschickt den besonderen Erfordernissen und speziellen Legenden der neuen Sekte an.

Der wolkenbildähnliche Indra, den wir im vorigen Kapitel besprachen, schmückt den Eingang eines buddhistischen Klosters des zweiten Jahrtausends v. Chr. Nagas, Vriksha-Devatas, Yakshas und Yahshinis (Schlangenkönige, Baumgöttinnen, Erdgottheiten und ihre Königinnen) wimmeln buchstäblich in den zahlreichen Monumenten des buddhistischen Glaubens. Und ihr Platz im Verhältnis zum Mittelschrein oder zum Bild des Siegreich-Vollendeten ist schwer von dem zu unterscheiden, den sie bei ihrem Erscheinen als Umgebung der orthodoxen Hindu-Personifikationen des Absoluten, Vishnu und Shiva, einnehmen. In Ceylon zum Beispiel gibt es ein Nâga-Relief, das am Fuß der langen zur Ruanweli Dagaba führenden Stufenflucht steht. Der anmutige Prinz bietet in beiden Händen Sinnbilder vegetativer Fruchtbarkeit dar, für die er als Wächter und halbgöttliche Schlangenverkörperung der lebenserhaltenden irdischen Gewässer persönlich verantwortlich ist. In seiner Linken ist ein Baum, in seiner Rechten ein Wasserbecken, das Gefäß des Überflusses, aus dem eine Pflanze voller Süßigkeit wächst. Die von diesem Schlangenfürsten als Türhüter und anbetende Figur eingenommene Haltung geht auf die früheste Periode buddhistischer Kunst zurück.

Zwischen dem Buddha und dem Naga in Indien herrscht kein solcher Antagonismus wie wir ihn in dem »Heiland contra Schlange« — Symbolismus des Westens gewohnt sind. Nach der buddhistischen Überzeugung bejubeln alle Genien der Natur zusammen mit den höchsten Göttern die Erscheinung des inkarnierten Erlösers, und die Schlange als die hauptsächlichste Personifikation der Wasser des irdischen Lebens macht davon keine Ausnahme. Begierig, dem All-Lehrer zu dienen, halten sie besorgt an seinem Weg zur endlichen Erleuchtung Wache. Denn es ist gleicherweise zur Befreiung aller Wesen gekommen: der Geschöpfe der Erde, der Himmel und der Höllen.

Es gibt einen besonderen Buddhatypus, welcher diese höchste Harmonie zwischen dem Erlöser betont, der die Fesseln der Natur überwunden hat, und der Schlange, die eben diese Fesseln darstellt. Dieser Typus tritt auffallend in der buddhistischen Kunst Kambodschas und Siams hervor. Gleich dem Abbild Vishnus auf Ananta stellt dieser Buddha eine besondere Modifikation einer traditionellen hinduistischen Naga-Formel dar. Dieser Typus erscheint nicht unter den Kunstwerken des eigentlichen Indien. Aber seine erklärende Legende bildet einen Teil der frühesten buddhistischen Überlieferung Indiens und nimmt in dem orthodoxen Kanon, wie er von der ehrwürdigen buddhistischen Gemeinschaft Ceylons bewahrt wird, einen hervorragenden Platz ein. Sie gründet auf einem Geschehnis, das sich kurz nach Gautamas Erleuchtung ereignet haben soll.

Der von Muchalinda vor dem Unwetter beschützte Buddha - Foto:Heinrich Damm

Als der Hochgesegnete in der letzten Stunde der Nacht der Erkenntnis das Mysterium von Ursache und Wirkung ausgelotet hatte, erdröhnten die zehntausend Welten von seiner Erlangung der Allweisheit. Dann saß er mit untergeschlagenen Beinen sieben Tage lang am Fuß des Bo-Baumes (dem Boddhi-Baum, dem »Baum der Erleuchtung«) an den Ufern des Flusses Nairanjana in die Seligkeit seiner Erkenntnis versunken. Und er bewegte in seinem Gemüt sein neues Wissen von den Fesseln alles individualisierten Daseins; von der verhängnisvollen Macht eingeborener Unwissenheit, die ihren Bann über alle lebenden Wesen wirft; von dem irrationalen Durst nach Leben, der darum alles durchdringt; von dem endlosen Kreislauf aus Geburt, Leben, Verfall, Tod und Wiedergeburt. Als diese sieben Tage verstrichen waren, erhob er sich und ging ein wenig weiter zu dem großen Banyan-Baum (dem »Baum der Ziegenherde«), an dessen Fuß er wieder seinen Sitz mit untergeschlagenen Beinen einnahm. Und wieder saß er weitere sieben Tage lang in die Seligkeit seiner Erleuchtung versunken. Nach dem Ende dieser Zeit erhob er sich abermals, um den Banyan-Baum zu verlassen und zu einem dritten großen Baum zu wandeln. Wieder saß er und erfuhr sieben Tage lang jenen Zustand erhabenster Ruhe. Dieser dritte Baum, der Baum unserer Legende, erhielt den Namen »Der Baum des Schlangenkönigs Muchalinda«.

Muchalinda, eine ungeheure Schlange, hauste in einer Höhlung inmitten der Wurzeln. Sobald der Buddha in den Zustand der Seligkeit entrückt war, bemerkte er, daß außerhalb jeder Jahreszeit eine große Sturmwolke am Horizont erschien, woraufhin er gelassen aus seinem dunklen Loch glitt und mit den Windungen seines Körpers siebenmal den begnadeten Leib des Siegreich-Vollendeten umhüllte; mit seiner aufgeblasenen riesigen Schlangenhaube schützte er wie ein Schirm das heilige Haupt. Sieben Tage regnete es fort, der Wind blies kalt, und der Buddha blieb in Meditation versunken. Aber am siebten Tag verschwand der unerwartet gekommene Sturm; Muchalinda entfaltete die Spiralen seines Leibes, verwandelte sich selbst in einen freundlichen Jüngling und, die gefalteten Hände an seine Stirn bringend, verneigte er sich in Ehrfurcht vor dem Erlöser der Welt.

In dieser Legende und in den Bildwerken des Muchalinda-Buddhas wird eine vollständige Versöhnung entgegengesetzter Prinzipien dargestellt. Die Schlange, das Sinnbild der Lebenskraft, die hinter Geburt und Wiedergeburt wirkt, und der Erlöser, der Vernichter dieses blinden Lebenswillens, der die Fesseln der Geburt aufhebt, der Wegweiser zum Unvergänglich-Transzendenten, sie öffnen hier in harmonischer Gemeinschaft eine Schau, die jenseits aller Entzweiung des Denkens liegt. Einige dieser Muchalinda-Buddhas der Mon-Khmers (Siam und Kambodscha, 9.-13. Jahrhundert n. Chr.) gehören zu den bedeutendsten Meisterwerken buddhistischer Kunst. Mit der träumerischen, anmutig-lustvollen Geschmeidigkeit eines zarten, unirdischen, sinnbetörenden Charmes verschmelzen sie hohe Spiritualität mit gelassenem Entrücktsein. Die Seligkeit inneren Gebanntseins durch das Erlebnis der Erleuchtung, Triumph über die Bande des Daseins, höchster Frieden, Nirvana-Erlösung durchdringen die Substanz des Bildwerkes und entsenden eine zarte, mitleidige, süße Strahlung.

Einige sagen, daß, als der Buddha seine Lehre zu verkünden begann, er bald einsehen mußte, wie die Menschen nicht vorbereitet waren, sie in ihrer ganzen Tiefe anzunehmen. Sie schraken vor den außerordentlichen Anforderungen zurück, die seine Vision der universellen Lehre (Sunyata) stellte. Darum vertraute er die tiefere Deutung der Wirklichkeit einer Zuhörerschaft von Nagas an, die sie als Treuhänder bewahren sollten bis die Menschheit zum Verständnis reif geworden sei. Dann eröffnete er seinen menschlichen Schülern als eine Art von vorbereitender Schulung und eine Annäherung an die Paradoxe der Wahrheit die verhältnismäßig rationale und realistische Lehre der sogenannten Hinayana-Richtung des Buddhismus. Erst nach dem Ablauf von sieben Jahrhunderten wurde der große Weise Nagarjuna, "Arjuna der Nagas", durch die Schlangenkönige in die Erkenntnis der großen Lehre (Sunya) eingeweiht. So war er es, der den Menschen die voll ausgereiften Lehren des Mahayana brachte.

Verschiedene Bedeutungen der Schlange

Die Schlange in der christlichen Mythologie: Die Schlange als Versucherin

In der christlichen Mythologie ist die Schlange die Versucherin, die Eva dazu gebracht hat, vom Baum der Erkenntnis zu essen und so mitverantwortlich ist für die Vertreibung aus dem Paradies. Auch sonst gilt die Schlange in der christlichen Mythologie als die Versucherin, als "böses" Tier und wird mit Satan in Verbindung gebracht. Im Abendland ist es eine Beleidigung jemand anderen als "Schlange" zu bezeichnen.

Die Schlange in der griechischen Heilkunst: Die Schlange als Heilerin

Im alten Griechenland gab es den Äskulapstab als Symbol der Heilkunst: Zwei Schlangen winden sich um einen Stab und schauen sich oben entweder an oder schauen in zwei Richtungen. Hier ist die Schlange die Heilerin. In der Schulmedizin wird der Äskulapstab mit nur einer Schlange dargestellt - ein Zeichen dafür, dass die moderne Schulmedizin zur Einseitigkeit neigt und als Ergänzung die Alternativmedizin bzw. Yoga, Meditation und Ayurveda braucht.

Die Schlange in der chinesischen Mythologie: Heilige Drachen

Im Taoismus bzw. in der chinesischen Mythologie werden Schlangen als heilig angesehen und als Drachen verehrt.

Die Schlange in der indischen Mythologie: Kundalini und Nagas

In der indischen Mythologie wird die kosmische Energie im Menschen als Kundalini, also als Schlangenkraft, bezeichnet. Die Schlange symbolisiert hier die Shakti, die göttliche Mutter. Sie wird auch als Bhujangini, als Kraft der Kobra, bezeichnet. Die Kundalini kann heilen, sie kann Kräfte schenken, sie kann bedrohlich wirken - und sie kann die höchsten Erfahrungen hervorrufen.

In der indischen Mythologie findet man auch die Nagas, Wesen, die halb Schlange, halb Mensch sind. Sogar Patanjali wird als Naga dargestellt. Nagas kann man interpretieren als aus dem Unterbewusstsein kommende Kräfte, als spezielle Art der Astralwesen, oder auch als Volksstamm im alten Indien mit einer schlangenartigen Kleidung.

Die Schlange in uns

Artikel von Beate Wolfsteller

Erinnern wir uns an die Geschichte von Adam und Eva, der Versuchung durch die Schlange, der Eva und dann auch Adam erlegen war. Nun strafte Gott dieses Vergehen mit einem Erdenleben, verbunden mit Schmerz und Freud, dem wir heute noch nachgehen in unserer schöpferischen Art.

Das Leben als Mensch bietet kleine Freuden, Fallstricke aber auch Chancen, Evas Fehler zu beheben mit Anleitungen heiliger Schriften und Meister, die uns führen. In der Regel arrangieren wir uns mit den individuellen und gesellschaftlichen Entwicklungen und erspüren trotzdem eine tiefe Suche. Schicksalsschläge, aber auch eine fortgeschrittene geistige und seelische Entwicklung fördern Veränderung der Prioritätenliste „Leben“ als einen Weg zu Gott.

Die Schlange, oft in dem Kontext „Versuchung“ definiert, begegnet uns täglich und sorgt für karmische Verstrickungen und Disbalancen.

In uns wohnt die Schlange materialisiert in Form einer Wirbelsäule, ermöglicht einen aufrechten Gang und Stabilität. Am Ende der Wirbelsäule, in der Nähe des Steißbeines weilt die Kundalini als subtile Energie, Shakti ein Ausdruck der göttlichen Mutter.

Mit der Erweckung dieser Energie werden uns Fähigkeiten anvertraut, die über den bekannten Möglichkeiten hinausgehen. Kundalini-Yoga fördert neben beliebten spürbaren Veränderungen wie Gelassenheit und Klarheit die Annäherung zu Shiva (Bewusstsein) im Sahasrara Chakra. Das Erwachen wird oft als energetische Erfahrung wahrgenommen. Es folgt ein Streben nach einer Verwirklichung bzw. der Verbindung der Kundalini-Shakti mit Shiva, dem Bewusstsein, welches im Sahasrara Chakra wohnt. Wie fühlt es sich an, wenn himmlische Energien in der Seele erwachen ?

Der menschliche, verstandesorientierte und emotionale Teil erspürt mit regelmäßiger Yogapraxis die Harmonisierung von Körper, Geist und Seele. Der Körper wird mit Sauerstoff angereichert zur Förderung von autonomen Steuerungsprozessen und spürbarer Vitalisierung.

Es gibt dann einen Alltag mit emotionalen Höhen und Tiefen, der mit Kundalini-Yoga in Balance gebracht wird und Gedächtnis und Konzentration stärkt

Die Konzentration auf die Chakren fördert die individuelle Entwicklung und evolutioniert unser Sein, die Seele. Die Eva in uns wird ohne ein entwickeltes Bewusstsein sich weiterhin auf der Erde vergnügen bis zur fortgeschrittenen Erkenntnis.

Die Geschichte von der Schlange und dem Seil

In Indien, wo es viele Schlangen gibt, kam abends ein Mann nach Hause. In seinem Vorgarten trat er auf eine Schlange, sprang zur Seite und merkte, dass die Schlange ihn gebissen hatte. Und da er wusste, dass es eine Giftschlange gewesen sein mußte, rief er sofort den Priester für die letzten Ölungen, die letzten Riten. Er spürte, wie seine Lebenskräfte ihn langsam verließen. Da kam eine alte Frau vorbei, die Dorfweise, und schaute sich die Wunde an. Dann nahm sie eine Lampe und ging hinaus in den Vorgarten. Und was sah sie dort? - Ein Seil! -

Heutzutage wäre es vielleicht eher ein Schlauch, aber damals war es eben ein Seil. Neben dem Seil wuchs ein Dornbusch. Als er erschrocken zur Seite gesprungen war, hatte der Mann sich an dem Busch die Wunde zugezogen und gedacht, es sei ein Schlangenbiss. Die Frau ging wieder hinein und rief dem Mann zu: „Du stirbst nicht. Das ist kein Schlangenbiss, das war nur ein Seil, und deine Wunde ist nur eine Dornenwunde.“

Die ganze Zeit war nur das Seil wirklich. Woher kam die Schlange? Die Schlange existierte nur in der Einbildung, in der Vorstellung. Brahman entspricht dem Seil, es ist immer da. Die Welt, so wie wir sie sehen, ist eine Einbildung, sie existiert nicht wirklich in dieser Form, wie wir sie wahrnehmen. Wir legen die Vorstellung einer Welt über das reine Bewusstsein darüber. Das Seil ist niemals zur Schlange geworden, Brahman ist niemals zur Welt geworden, sondern Brahman existiert immer weiter als reines Bewusstsein.

Diese Geschichte von Schlange und Seil wird auch als Rajjusarpa Nyaya, die Analogie (Nyaya) von Seil (Rajju) und Schlange (Sarpa).

Siehe auch

Weiterlesen im Buch von Heinrich Zimmer?

  • Heinrich Zimmer, "Indische Mythen und Symbole - Schlüssel zur Formenwelt des Göttlichen"
Kapitel 1: Ewigkeit und Zeit
1.1 Die Parade der Ameisen
1.2 Das Rad der Wiedergeburten
1.3 Die Weisheit des Lebens
Kapitel 2: Die Mythologie Vishnus
2.1 Vishnus Maya
2.2 Die Wasser des Daseins
2.3 Die Wasser des Nichtseins
2.4 Maya in der indischen Kunst
Kapitel 3: Die Wächter des Lebens
3.1 Die Schlange, Trägerin Vishnus und des Buddha
3.2 Gottheiten und ihre Träger
3.3 Schlange und Vogel
3.4 Vishnu als Besieger der Schlange
3.5 Der Lotos
3.6 Der Elefant
3.7 Heilige Flüsse
Kapitel 4: Shivas kosmisches Entzücken
4.1 Fundamentale Gestalt und spielende Manifestationen
4.2 Das Phänomen der expandierenden Gestalt
4.3 Shiva-Shakti
4.4 Der große Oberherr
4.5 Shivas Tanz
4.6 Das Antlitz der Glorie
4.7 Der Zerstörer der drei Städte
Kapitel 5: Die Göttin
5.1 Die Entstehung der Göttin
5.2 Die Juweleninsel
  • Hinduismus
  • Hindu
  • Kundalini
  • Chakren
  • Vedanta

Literatur

Weblinks

Seminar

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