Sanskrit Kurs Lektion 72

Aus Yogawiki
Shiva mit dem Dreizack

Dieser Sanskrit Kurs führt anhand einfacher Beispielsätze und -verse in die Grammatik des Sanskrit ein. Einen ausführlichen Überblick über das Sanskrit findest Du im Artikel Sanskrit. Hinweise zur indischen Schrift, der wissenschaftlichen Umschrift (Transliteration) sowie der korrekten Aussprache gibt der Artikel Devanagari. Stichwörter, nach denen Du in der Yoga Vidya Wiki suchen kannst, sind in vereinfachter Schreibweise (Transkription) wiedergegeben.

Konsonantische Nominalstämme (2)

Die Substantive des Sanskrit können in vokalische (auf Vokal endende) und konsonantische (auf Konsonant endende) Stämme bzw. Nominalstämme (Pratipadika) eingeteilt werden. In Lektion 36 haben wir die acht Fälle des Singulars der konsonantisch auslautenden Stämme auf -as betrachtet. Nun folgt eine Übersicht der konsonantischen Stämme auf -in. Diese sind stets männlich bzw. sächlich.


Bildung

Die meisten konsonantischen Stämme auf -in sind Substantive und Adjektive, die von auf -a oder endenden Substantiven durch Anfügung des Suffixes (Pratyaya) -in gebildet wurden. Die Bedeutung des Suffixes -in ist in Verbindung mit Substantiven und Adjektiven in der Regel "haben, besitzen, verfügen über":

  • bala (Bala, m.) "Kraft, Stärke" + -in > balin "kräftig, stark" (Balin, adj.)
  • hasta (Hasta, m.) "Hand" + -in > hastin "mit Händen versehen, Elefant" (Hastin, adj. u. m., die "Hand" des Elefanten ist der Rüssel)
  • mālā (Mala, f.) "Kranz" + -in > mālin "der einen Kränz trägt, Gärtner" (Malin, adj. u. m.)

An Wörter, die auf -as enden, tritt das Suffix -vin:

  • tejas (Tejas, n.) "Feuer, Glanz, Licht" + -in > tejasvin "leuchtend, glänzend" (Tejasvin, adj.)
  • yaśas (Yashas, n.) "Ehre, Ruhm" + -in > yaśasvin "hoch angesehen, berühmt" (Yashasvin, adj.)


Femininum

Zu allen Substantiven und Adjektiven auf -in kann regelmäßig eine weibliche Form gebildet werden, indem an das Suffix -in ein langes gefügt wird:

  • balin (m.) "kräftig, stark" > balinī (Balini f.)
  • hastin (m.) "Elefant" > hastinī (Hastini f.) "Elefantenkuh"
  • mālin (m.) "Gärtner" > mālinī (Malini f.) "Gärtnerin, Frau eines Gärtners"
  • yogin (m.) "Yogi" > yoginī (Yogini f.) "Yogini"

Anmerkung: Bei der weiblichen Form wird stets die letzte Silbe betont, die vorletzte Silbe ist kurz und unbetont: yoginī). Diese Formen folgen der vokalischen Deklination der auf ī endenden weiblichen Substantive (vgl. Lektion 65).


Übersicht 1: häufige Substantive und Adjektive auf -in

Devanagari Transliteration siehe Bedeutung abgeleitet von siehe Bedeutung
योगिन् yogin Yogin Yogi yoga Yoga Verbindung, Versenkung, das Yogasystem
भोगिन् bhogin Bhogin genießend, Genießer; Schlange bhoga Bhoga Genuss, Erfahrung; Windung (vgl. "Bogen")
ज्ञानिन् jñānin Jnanin weise, Weiser jñāna Jnana Erkenntnis, Wissen
त्यागिन् tyāgin Tyagin aufgebend, freigebig tyāga Tyaga das Aufgeben, Entsagung; Freigebigkeit
उपवासिन् upavāsin Upavasin fastend upavāsa Upavasa das Fasten
केशिन् keśin Keshin langhaarig keśa Kesh Haar
अश्विन् aśvin Ashvin mit Pferden versehen; die beiden Ärzte der Götter aśva Ashva Pferd
सुखिन् sukhin Sukhin glücklich sukha Sukha Glück
गुणिन् guṇin Gunin Vorzüge, Eigenschaften besitzend guṇa Guna Vorzug, Eigenschaft
रोगिन् rogin Rogin krank roga Roga Krankheit
कुशलिन् kuśalin Kushalin gesund, heil kuśala Kushala Wohlergehen, Wohlbefinden
कुण्डलिन् kuṇḍalin Kundalin mit Ohrringen geschmückt, geringelt; Schlange kuṇḍala Kundala Ohrring, Ring, Ringel
तपस्विन् tapasvin Tapasvin geplagt; Asket, Büßer tapas Tapas Hitze, Askese
मनस्विन् manasvin Manasvin sinnvoll, verständig manas Manas Geist, Denken
स्वामिन् svāmin Svamin Eigentümer, Herr, Gebieter sva Sva eigen; das Eigene, Eigentum, das Selbst
ब्रह्मचारिन् brahmacārin Brahmacharin Keuschheit übend, die heilige Wissenschaft studierend brahmacarya Brahmacharya Keuschheit, heiliges Studium
मिताहारिन् mitāhārin Mitaharin wenig Speise zu sich nehmend mitāhāra Mitahara mäßiges Essen
त्रिशूलिन् triśūlin Trishulin mit dem Dreizack versehen (Shiva) triśūla Trishula Dreizack


Übersicht 2: Singular der männlichen Substantive auf -in

In der folgenden Übersicht wurde das männliche Wort Yogin "Yogi" in allen acht Fällen des Singulars (Einzahl, Ekavachana) dekliniert. Diesem Bildungstyp folgen alle männlichen und (mit geringen Abweichungen) sächlichen Substantive und Adjektive auf -in.

Fall (Kasus) Sanskritname Frage Devanagari Transliteration Transkription deutsche Wiedergabe
1. Nominativ Prathama Wer? Was? योगी yogī yogi "der Yogi"
2. Akkusativ Dvitiya Wen? Wohin? योगिनम् yoginam yoginam "den Yogi"
3. Instrumental Tritiya Mit wem? Womit? योगिना yoginā yogina "mit dem Yogi"
4. Dativ Chaturthi Wem? योगिने yogine yogine "dem Yogi, für den Yogi"
5. Ablativ Panchami Von wem? Von wo? योगिनः yoginaḥ yoginah "vom Yogi (her)"
6. Genitiv Shashthi Wessen? Wovon? योगिनः yoginaḥ yoginah "des Yogis"
7. Lokativ Saptami Wo? योगिनि yogini yogini "beim Yogi"
8. Vokativ Sambodhana Rufform (oh ..., he ...!) योगिन् yogin yogin "(he) Yogi!"


Übung 1

  • Devanagari: उपवासी तपस्वी स्वप्नदर्शने व्याघ्रचर्मासीनं कुण्डलिनं त्रिशूलिनं पश्यति |
  • wissenschaftliche Transliteration: upavāsī tapasvī svapnadarśane vyāghracarmāsīnaṃ kuṇḍalinaṃ triśūlinaṃ paśyati |
  • vereinfachte Transkription: upavasi tapasvi svapnadarshane vyaghracharmasinam kundalinam trishulinam pashyati |
  • Wort-für-Wort-Übersetzung: Der fastende (Upavasin, Nom. Sg. m.) Asket (Tapasvin, Nom. Sg. m.) in einer Traumvision (Svapnadarshana, Lok. Sg. m.) den auf einem Tigerfell sitzenden (Vyaghracharman-Asina, Akk. Sg. m.) Ohringe tragenden (Kundalin, Akk. Sg. m.) Shiva mit dem Dreizack (Trishulin, Akk. Sg. m.) sieht (paś, Verb), d.h. "Der fastende Asket sieht in einer Traumvision den auf einem Tigerfell sitzenden, Ohringe tragenden Shiva mit dem Dreizack."

Erläuterungen

  • Der Nominativ (Prathama) upavāsī bezieht sich als Adjektiv auf das Substantiv tapasvī und steht daher ebenfalls im Nominativ Singular Maskulinum.
  • Der Nominativ tapasvī ist das logische Subjekt (Agens, Kartri) der Verbalhandlung paśyati.
  • Der Akkusativ (Dvitiya) vyāghra-carmāsīnam ist ein Kompositum vom Typ Tatpurusha und bezieht sich als Adjektiv auf das Substantiv tri-śūlinam. Das Kompositum besteht aus drei Gliedern: vyāghra (Vyaghra "Tiger"), carma (Charman "Fell") und āsīna (Asina "sitzend", Partizip Präsens der Sanskrit Verbalwurzel ās "sitzen"). Das stammauslautende -n von carman entfällt in Komposita, es wird nur der verkürzte Stamm carma- komponiert.
  • Der Akkusativ kuṇḍalinam bezieht sich ebenfalls auf das Substantiv tri-śūlinam und steht daher gleichfalls im Akkusativ Singular Maskulinum.
  • Der Akkusativ tri-śūlinam ist das logische Objekt (Karman) der Verbalhandlung paśyati.
  • Die Verbform paśyati ("er sieht") ist die 3. Person Singular Aktiv (Parasmaipada) der Gegenwart der Verbalwurzel paś "sehen" (4. bzw. Div Klasse), die im Präsens anstelle der Wurzel dṛś "sehen" gebraucht wird.
  • Sandhi: Die Endung m von vyāghra-carmāsīnam, kuṇḍalinam und tri-śūlinam geht vor folgendem Konsonanten (Vyanjana) in Anusvara () über, welcher vereinfachend wie m ausgesprochen wird. Gleichartige Vokale (Svara) verschmelzen am Wortende und -anfang sowie in Komposita zu einem Langvokal: a + ā wird zu ā in °carmāsīnam (carma + āsīnam).


Übung 2

  • Devanagari: रोगिनः स्वामिनो भिषगश्विनावाहूय तौ बलिनं भेषजं प्रार्थयते |
  • wissenschaftliche Transliteration: roginaḥ svāmino bhiṣag aśvināv āhūya tau balinaṃ bheṣajaṃ prārthayate |
  • vereinfachte Transkription: roginah svamino bhishag ashvinav ahuya tau balinam bheshajam prarthayate |
  • Wort-für-Wort-Übersetzung: Eines kranken (Rogin, Gen. Sg. m.) Herrn (Svamin, Gen. Sg. m.) Arzt (Bhishaj, Nom. Sg. m.) die beiden Ashvins (Ashvin, Akk. Dual m.) herbeigerufen habend (hve, Absolutivum) diese beiden (Tad, Akk. Dual m.) um ein kraftvolles (Balin, Akk. Sg. n.) Heilmittel (Bheshaja, Akk. Sg. n.) bittet (pra + arthay, Verb), d.h. "Der Arzt eines kranken Herrn ruft die beiden Ashvins (die Ärzte der Götter) herbei und bittet sie um ein kraftvolles Heilmittel."

Erläuterungen

  • Der Genitiv (Shashthi) roginaḥ bezieht sich als Adjektiv auf das Substantiv svāminaḥ.
  • Der Genitiv svāminaḥ bezieht sich auf das Substantiv bhiṣaj.
  • Der Nominativ bhiṣak ist das logische Subjekt (Agens, Kartri) der Haupthandlung prārthayate sowie der Nebenhandlung āhūya.
  • Der Akkusativ aśvinau (Dual) ist das logische Objekt (Karman) der Nebenhandlung āhūya. Da es sich um zwei Ashvins (Ärzte der Götter) handelt, wird im Sanskrit der Dual ("Zweizahl") verwendet.
  • Das Absolutivum āhūya "herbeigerufen habend" bezeichnet eine Nebenhandlung (Guna Kriya), die vor der Haupthandlung (Mukhya Kriya) prārthayate erfolgt, und mit dieser dasselbe logische Subjekt hat (hier das Substantiv bhiṣak). Die Form āhūya bezieht sich auf den Akkusativ aśvinau und ist von der Wurzel hve "rufen" abgeleitet, die in Verbindung mit dem Verbalpräfix (Upasarga) ā "anrufen, herbeirufen" bedeutet. Die deutsche Übersetzung ist etwas freier: "ruft ... herbei".
  • Das Demonstrativpronomen tau "diese beiden" steht im Akkusativ Dual und bezieht sich auf das Substantiv aśvinau. Es fungiert als das direkte Objekt (Mukhyakarman) der Haupthandlung prārthayate.
  • Das Adjektiv balinam bezieht sich auf das Substantiv bheṣajam und steht daher ebenfalls im Akkusativ Singular Neutrum.
  • Der Akkusativ bheṣajam ist das indirekte Objekt (Gunakarman) der Haupthandlung prārthayate.
  • Die Verbform prārthayate "er bittet" ist die 3. Person Singular Indikativ (Präsens Medium bzw. Atmanepada) der doppelt transitiven Verbalwurzel arthay "streben, verlangen", die in Verbindung mit dem Verbalpräfix (Upasarga) pra "bitten" bedeutet. Doppelt transitiv (Dvikarmaka) bedeutet, dass das Verb zwei (Dvi) Objekte (Karman) hat, die beide im Akkusativ stehen: ein direktes Objekt (Mukhyakarman, hier: wen man bittet) und ein indirektes Objekt (Gunakarman, hier: worum man bittet): er bittet sie (tau, die beiden Ashvins) um ein kraftvolles Heilmittel (balinaṃ bheṣajam).
  • Sandhi: Die Form svāmino steht für svāminaḥ, da auslautendes -aḥ vor stimmhaftem Konsonant (hier: bh) zu -o wird. Die Form bhiṣag steht für bhiṣaj, da ein auslautendes j zu stimmlosem k wird, welches wiederum vor Vokal (hier: a) zu stimmhaftem g wird. Die Form aśvināv steht für aśvinau, da auslautendes -au vor Vokal (hier: ā) zu -āv wird. Die Endung m von balinam und bheṣajam geht vor folgendem Konsonanten (Vyanjana) in Anusvara () über, welcher wie m ausgesprochen wird.


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