Sanskrit Kurs Lektion 31

Aus Yogawiki

Dieser Sanskrit Kurs führt anhand einfacher Beispielsätze und -verse in die Grammatik des Sanskrit ein. Einen ausführlichen Überblick über das Sanskrit findest Du im Artikel Sanskrit. Hinweise zur indischen Schrift, der wissenschaftlichen Umschrift (Transliteration) sowie der korrekten Aussprache gibt der Artikel Devanagari. Stichwörter, nach denen Du in der Yoga Vidya Wiki suchen kannst, sind in vereinfachter Schreibweise (Transkription) wiedergegeben.

Der Optativ (1)

Der Optativ bzw. die Wunschform ist im Sanskrit neben dem Indikativ und dem Imperativ ein Modus (d.h. eine Aussageform) des Verbs (Akhyata). Ein Verb im Optativ drückt ein zum Zeitpunkt des Sprechens (noch) nicht wirkliches Geschehen aus, oft eine Möglichkeit (eine "Option") oder etwas Wünschenswertes. Darüber hinaus kann der Optativ auch eine Wahrscheinlichkeit, Ungewissheit, einen Zweifel oder eine (höfliche) Aufforderung zum Ausdruck bringen.

Vor allen in Texten, die Anweisungen für Übungen, Rituale u.ä. enthalten (wie etwa in der Hatha Yoga Pradipika), ist der Optativ eine sehr geläufige Form, wobei zumeist die 3. Person Singular erscheint:

  • pūrayet vom Kausativ der Wurzel pṝ "(mit Atemluft) füllen" heißt: "man atme ein, er (sie, es) soll einatmen"
  • recayet vom Kausativ der Wurzel ric "(von Atemluft) leeren" heißt: "man atme aus, er (sie, es) soll ausatmen"
  • kumbhayet von Wurzel kumbh "(den Atem) anhalten" heißt: "man halte den Atem an, er (sie, es) soll den Atem anhalten"


Bildung

Innerhalb der 10 Verbklassen des Sanskrit unterscheidet sich die Bildung des Optativs, je nachdem, ob eine Verbalwurzel‏‎ (Dhatu) der thematischen oder der athematischen Konjugation angehört (näheres findest du hier).

In den thematischen Klassen, also der 1., 4., 6. und 10. Klasse (einschließlich des Kausativs) bzw. der Bhu-, Div-, Tud- und Chur Klasse, endet die 3. Person Singular eines Verbs auf -et (pūrayet, das e ist im Sanskrit stets lang zu sprechen).


Übersicht: Optativ der 3. Person Singular einiger wichtiger Verben

In der folgenden Übersicht erscheinen einige wichtige Verben der thematischen Verbklassen unter folgenden Aspekten: Verbalwurzel (Dhatu) nebst Klasse und Hauptbedeutung(en), der davon abgeleitete (schwache) Präsensstamm, die gebeugte (konjugierte) Form der 3. Person Singular Optativ Aktiv der Gegenwart (Präsens, Vartamana):

Verbalwurzel Klasse Bedeutung der Wurzel Präsensstamm 3. Person Singular Übersetzung
bhū 1. sein, werden bhava- bhavet er (sie, es) möge sein, er (...) möge werden
gam 1. gehen gaccha- gacchet er möge gehen
sthā 1. stehen, bleiben tiṣṭha- tiṣṭhet er möge stehen, er möge bleiben
1. trinken piba- pibet er möge trinken
div 4. spielen dīvya- dīvyet er möge spielen
tud 6. stoßen tuda- tudet er möge stoßen
cur 10. stehlen coraya- mā corayet er möge nicht stehlen
cint 10. nachdenken cintaya- cintayet er möge nachdenken
pūj 10. ehren, verehren pūjaya- pūjayet er möge ehren, er möge verehren
pṝ Kausativ füllen, einatmen pūraya- pūrayet er möge füllen, er möge einatmen
ric Kausativ leeren, ausatmen recaya- recayet er möge leeren, er möge ausatmen
kumbh Kausativ die Luft anhalten kumbhaya- kumbhayet er möge die Luft anhalten


Übung 1

  • Devanagari: दृढासनो योगी वायुमिडया पूरयेत् |
  • wissenschaftliche Transliteration: dṛḍhāsano yogī vāyum iḍayā pūrayet |
  • vereinfachte Transkription: dridhasano yogi vayum idaya purayet |
  • Wort-für-Wort-Übersetzung: In fester (Dridha) Sitzhaltung (Asana, (Nom. Sg. m.) der Yogi (Yogin, Nom. Sg. m.) die Luft ("Wind", Vayu, Akk. Sg. m.) durch den Mondkanal (Ida, Instr. Sg. f.) er soll einatmen (pṝ, Verb), d.h. "Der Yogi, dessen Sitzhaltung fest ist, soll die Luft durch den Mondkanal (das linke Nasenloch bzw. Ida) einatmen."

Erläuterungen

  • Das Kompositum (Samasa) dṛḍhāsanaḥ ("dessen Sitzhaltung fest ist") bezieht sich als Adjektiv auf yogī und steht daher ebenfalls im Nominativ Singular Maskulinum. Es setzt sich aus dem Adjektiv dṛḍha und dem Substantiv āsana zusammen und gehört zum Typ des Bahuvrihi. Das Adjektiv dṛḍha ist ein von der Wurzel dṛh "fest sein" abgeleitetes Partizip Präteritum Passiv.
  • Der Nominativ (Prathama) yogī ist das logische Subjekt (Agens, Kartri) der Verbalhandlung pūrayet.
  • Der Akkusativ (Dvitiya) vāyum ist das logische Objekt (Karman) der Verbalhandlung pūrayet.
  • Der Instrumental (Tritiya) iḍayā steht als Instrument der Handlung (Karana) in syntaktischem Zusammenhang zum Verb pūrayet. Er bezeichnet hier den Weg bzw. die Passage der Atemluft beim Einatmen.
  • Sandhi: Gleichartige Vokale (Svara) verschmelzen in Komposita zu einem Langvokal: a + ā wird zu ā in dṛḍhāsanaḥ. Die Form dṛḍhāsano steht für °āsanaḥ, da auslautendes -aḥ vor stimmhaften Konsonanten (hier: y) zu -o wird.


Übung 2

  • Devanagari: ततो यथाशक्ति पवनं कुम्भयेत् |
  • wissenschaftliche Transliteration: tato yathāśakti pavanaṃ kumbhayet |
  • vereinfachte Transkription: tato yathashakti pavanam kumbhayet |
  • Wort-für-Wort-Übersetzung: Dann (Tatas, Adverb) nach Vermögen (Yathashakti, Adverb) den Atem ("Wind", Pavana, Akk. Sg. m.) er soll anhalten (kumbh, Verb), d.h. "Dann soll er den Atem nach Vermögen anhalten."

Erläuterungen

  • Das Adverb tataḥ ist der Ablativ (Panchami) des Demonstrativpronomens Tad. Es schließt syntaktisch an den Satz aus Übung 1 an. Somit bleibt auch in diesem Satz der Agens der Verbalhandlung der Nominativ Singular yogī.
  • Das Adverb yathā-śakti "nach Vermögen" ist ein adverbielles Kompositum (Avyayibhava) und als Umstandsbestimmung der Art und Weise eine nähere Bestimmung zum Verb kumbhayet.
  • Der Akkusativ pavanam ist das logische Objekt (Karman) der Verbalhandlung kumbhayet.
  • Sandhi: Die Form tato steht für tataḥ, da auslautendes -aḥ vor stimmhaften Konsonanten (hier: y) zu -o wird. Die Endung m von pavanam geht vor folgendem Konsonanten (Vyanjana) in Anusvara () über, welcher vor k wie m auszusprechen ist, in streng traditioneller Rezitation jedoch wie (sprich: ng, Klassennasal des ka-Varga): pavanaṃ kumbhayet.


Übung 3

  • Devanagari: ततो मारुतं शनैरेव पिङ्गलया रेचयेत् |
  • wissenschaftliche Transliteration: tato mārutaṃ śanair eva piṅgalayā recayet |
  • vereinfachte Transkription: tato marutam shanair eva pingalaya recayet |
  • Wort-für-Wort-Übersetzung: Dann (Tatas, Adverb) die Luft ("Wind", Maruta, Akk. Sg. m.) langsam (Shanais, Adverb) gewiss (Eva, Partikel) durch den Sonnenkanal (Pingala, Instr. Sg. f.) er soll ausatmen (ric, Verb), d.h. "Dann soll er die Luft ganz langsam durch den Sonnenkanal (das rechte Nasenloch bzw. Pingala) ausatmen."

Erläuterungen

  • Das Adverb tataḥ schließt auch diesen Satz syntaktisch an den Satz aus Übung 1 an. Somit bleibt der Nominativ Singular yogī der Agens der Verbalhandlung.
  • Der Akkusativ mārutam ist das logische Objekt (Karman) der Verbalhandlung recayet.
  • Das Adverb śanaiḥ "langsam" ist als Umstandsbestimmung der Art und Weise eine nähere Bestimmung zum Verb recayet.
  • Die Partikel (Nipata) eva "gewiss" betont das vorausgehende Wort, so dass śanair eva mit "ganz langsam" zu übersetzen ist.
  • Der Instrumental piṅgalayā steht als Instrument der Handlung (Karana) in syntaktischem Zusammenhang zum Verb recayet. Er bezeichnet hier den Weg bzw. die Passage der Atemluft beim Ausatmen.
  • Sandhi: Die Form yato steht für yataḥ, da auslautendes -aḥ vor stimmhaftem Konsonant (hier: m) zu -o wird. Die Form śanair steht für śanaiḥ, da Visarga () vor Vokalen (Svara) zu -r wird, wenn es nicht zwischen zwei a-Lauten (kurz oder lang) steht. Die Endung m von mārutam geht vor folgendem Konsonanten in Anusvara () über, welcher vor ś wie m auszusprechen ist: mārutaṃ śanair.


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