Retreat

Aus Yogawiki
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Retreat stammt aus dem Englischen und bedeutet "Rückzug" vom Alltag, eine geistige Ruhepause oder Rückzug von der gewohnten Umgebung. In Verbindung mit Yoga ist meist auch ein Rückzug mit Meditation, Asanas und eventuell Schweigen gemeint. Dies geht einher mit der Auseinandersetzung mit geistigen, spirituellen und persönlichen Themen.

Die Bedeutung von spirituellem Retreat (spiritueller Rückzugsort) kann je nach religiöser Gemeinschaft schon unterschiedlich sein. Spirituelle Retreats sind ein wesentlicher Bestandteil von vielen hinduistischen, buddhistischen, christlichen und sufistisch-islamischen Glaubensgemeinschaften. Im Hinduismus und Buddhismus werden meditative Retreats von vielen Anhängern als wesentlicher Bestandteil der Lehre angesehen, um sich wieder mit dem eigenen Selbst zu verbinden.

Retreats sind auch in den christlichen Kirchen populär und wurden in ihrer heutigen Form von St. Ignatius von Loyola (1491-1556) in seinen spirituellen Übungen beschrieben. Papst Pius XI machte 1922 Ignatius sogar zum Schutzpaton für spirituelle christliche Retreats. Viele Katholiken, Protestanten und orthodoxe Christen nehmen jedes Jahr an spirituellen Retreats teil, die von den Kirchen extra organisiert werden. Meditative Retreats sind eine wichtige Praxis im Sufismus, dem mystischen Weg des Islam. Das Buch "Reise zum Herrn der Macht" ist zugleich Orientierungshilfe und Wegweiser für die Reise nach Innen und wurde vor über 700 Jahren von dem Sufi Lehrer Ibn Arabi veröffentlicht.

Retreat - verschiedene Bedeutungen eines eingedeutschten Wortes

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Das Wort Retreat kommt ja zunächst aus dem Englischen. Es bedeutet zunächst "zurückziehen", vom lateinischen Wort "retirere". Das Wort Retreat hat eine Bedeutung im Militärischen, im täglichen Alltag, in der Lebensplanung. Retreat bedeutet aber auch Rückzug aus dem Alltag, ähnlich wie das deutsche Wort Clausur bzw. Klausur. Das Wort Retreat ist inzwischen auch ein deutsches Wort, also ein Lehnwort aus dem Englischen, das Eingang in die deutsche Sprache gefunden hat. Als deutsches Wort bedeutet es Zeit für intensivere Praxis, ein Rückzug für eine gewisse Zeit, um mehr zu meditieren, zu entspannen, zu sich zu kommen. Das Retreat hat im Buddhismus und im Yoga eine sehr spezielle Bedeutung.

Retreat ist zunächst einmal ein englisches Wort. Retreat heißt Rückzug. Retreat kann auch bedeuten, dass die Truppen einer Armee sich zurückziehen, dann ist das eben das Retreat des Heeres. Retreat kann auch heißen, dass man sich von etwas im Alltag zurückzieht. Heutzutage wird Retreat vor allem benutzt für eine geplante spirituelle Ruhepause, ein Rückzug aus der gewohnten Umgebung. Retreat hat im Amerikanischen aber auch noch eine weitere Bedeutung. Retreat im Amerikanischen kann auch bedeuten "ein Ort wohin du dich zurück ziehen kannst".

Wenn du in Amerika zu einem Yogaretreat gehst, dann heißt das nicht nur das du intesiv Yoga üben willst, sondern das kann heißen, dass du einen Ort besuchst, wo Menschen Yoga üben und dort eben auch übernachten. Man kann sagen eine Art Ashram in Amerika wird auch als Retreat bezeichnet, insbesondere als Yogaretreat. Hier soll es aber eher um das spirituelle Retreat gehen, im Grunde genommen das was im Christentum als "Exerzitien" bezeichnet wird oder auch als "Klausur" - das ist das, was im Buddhismus als Retreat bezeichnet wird.

Und dieser Ausdruck, Retreat, hat sich inzwischen auch in Yogakreisen durchgesetzt. Wenn man intensiver Yoga und Meditation praktizieren will, dann ist das ein Yogaretreat, insbesondere wenn man es an einem Ort macht, der für die spirituelle Praxis geeignet ist. Wenn man also z. Bsp. zu einem Yoga Ashram geht und dort intensiver praktiziert, es einem dort weniger darauf ankommt Äußeres zu erleben, sondern wenn man mehr nach innen gehen will, dann ist das ein Yoga Retreat.

In Indien haben die Yogaretreats noch eine andere Bedeutung. Da ist ein Ort, wo man Yoga praktiziert "Yogaretreat", und wenn man sich ein paar Tage oder eine Woche mit anderen zusammen der Yogapraxis widmet, dann ist auch das ein Yogaretreat. Man kann sagen im modernen Yoga wird der Yogaretreat als eine Art Erholungsurlaub verstanden. Hier geht es um den Rückzug vom Alltag für ein paar Tage. Dann gibt es ein Wochenretreat, oder ein Retreat kann auch mehrere Wochen dauern. Typischerweise ist aber fünf Tage bis zwei Wochen die Dauer eines Yogaretreats oder eines Meditationsretreats.

Im Englischen gibt es auch den Ausdruck Retreat für die Naturwissenschaften. Wenn sich eine Gruppe von Naturwissenschaftlern für ein paar Tage zurückzieht vom Alltag und sich dabei austauschen, wo neben dem wissenschaftlichen Austausch auch soziale Aktivitäten eine Rolle spielen, dann ist das ein Retreat und wird auch als "Scientific Retreat" bezeichnet. So geht es darum, in einer anderen Atmosphäre das Kennenlernen und die Interaktionen im wissenschaftlichen Alltag zu fördern. Retreat ist manchmal auch eine Entspannungstherapie. Und es gibt auch den Ausdruck Retreat für eine längere Phase des Rückzugs. Z. Bsp. gibt es Menschen, die für ein paar Monate oder Jahre in einem Yoga Ashram oder buddhistischen Zentrum verbringen und das wird auch Retreat genannt.

Retreat hat also viele Bedeutungen. Wenn wir bei Yoga Vidya von Retreat sprechen dann meinen wir bei Yoga Vidya ein Seminar, das mindestens fünf Tage dauert, wo Meditation eine besondere Rolle spielt, wo es um Spiritualität geht, wo das Ganze ruhiger ist, wo es also nicht darum geht, körperlich intensive Tätigkeiten zu machen, wo es nicht darum geht, verschiedenstes Äußeres zu erleben, sondern wo es mehr um Ruhe geht und darum innerlich zur Ruhe zu kommen. Retreat heißt eben auch Ruhe und Rückzug.

Meditationshöhle im Shivalaya Retreat Zentrum, Haus Shanti, Yoga Vidya Bad Meinberg

Bei Yoga Vidya gibt es verschiedene Arten von Retreats: Es gibt die Schweigeretreats, bei denen geschwiegen wird. Es gibt die Meditationsretreats, wo besonders viel meditiert wird. Es gibt spirituelle Retreats, wo es auch Vorträge und Frage-Antwort Sessions gibt mit spirituellen Lehrern, die schon längere Zeit auf dem Weg sind und gute Erfahrungen haben, spirituelle Aspiranten anzuleiten. Es gibt Vipassana Retreat. Vipassana ist die buddhistische Meditationspraxis, wo eben ein paar Tage oder bis zu neun Tagen die buddhistische Meditationstechnik Vipassana geübt wird. Und manches wird auch als Yogaretreat bezeichnet, wo man in entspannter Atmosphäre tiefer Yoga praktiziert.

Eine Bedeutung hätte ich fast vergessen. Als Retreat bezeichnen wir bei Yoga Vidya auch, wenn ein Mensch für eine gewisse Phase selbstständig intensiver praktiziert. Also wir sagen zum Beispiel, dass ein bestimmter Sevaka gerade im Retreat ist. Das heißt er praktiziert für sich allein, er schweigt entweder oder hat seine Kommunikation mit anderen reduziert, er widmet sein Leben der spirituellen Praxis. Wir haben z. Bsp. eine langjährige Mitarbeiterin, Swami Nirgunananda. Sie macht jedes Jahr zwei bis drei Monate Retreat, in der sie viele Stunden am Tag meditiert, Asanas, Pranayama übt und manchmal dabei auch ein Buch veröffentlich oder an einem Buch arbeitet.

Das ist auch ein Retreat. Viele der langjährigen Mitarbeiter, die schon viele Seminare besucht haben, die machen dann ihre eigenen spirituellen Retreats, um auf ihrem eigenen spirituellen Weg gute Fortschritte zu machen. Individuelle eigene Retreats kannst du auch selbst bei Yoga Vidya machen. Der Vorteil in einem Ashram ein eigenes Retreat zu machen ist, du brauchst dich nicht zu kümmern um Essen, du brauchst keine Zeit verbringen mit Haushalt, mit Einkäufen usw. du bist in einer spirituellen Umgebung, du hast alles was du brauchst.

Gerade bei Yoga Vidya Bad Meinberg gibt es einen Speisesaal für Essen im Schweigen. Wenn du etwas früher als die allgemeinen Esszeiten zum Buffet hinkommst ist es auch ruhig am Buffet, und es gibt eine ganze Etage, die in Schweigen ist mit mehreren Räumen für Meditation und für Yogapraxis, wo jeder für sich üben kann. Und manche üben auch einfach in ihrem Zimmer, auch da gibt es in Bad Meinberg und auch in den anderen Yoga Ashrams wunderbare Gelegenheiten, gute Retreats zu machen.

Buddhismus

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Im Buddhismus kann ein Retreat entweder eine Zeit der individuellen Zurückgezogenheit oder eine Gemeinschaftserfahrung bezeichnen. Einige Retreats werden in absoluter Stille abgehalten, und bei anderen gibt es Raum für Konversation, je nach Verständnis der gastgebenden Einrichtungen und den von den Teilnehmern akzeptierten Übungsinhalten. Retreats werden oft in ländlichen oder entlegenen Gegenden und Orten durchgeführt, manchmal in Privathäusern oder aber auch in einem Retreat-Zentrum, wie etwa einem Kloster. Es gibt auch einige Retreats für Fortgeschrittene, wo etwa die Zeit in völliger Dunkelheit verbracht wird. Diese Form von Retreat ist eine Dzogchen-Übung, wie sie in der Nyingma-Schule des Tibetischen Buddhismus praktiziert wird.

Spirituelle Retreats räumen Zeit für Besinnung, Gebet und Meditation ein. Sie werden im Buddhismus als wesentlicher Bestandteil der Lehre angesehen und waren seit der Einführung von Vassa, oder dem Regenzeit-Retreat, durch Gautama Buddha, dem Gründer des Buddhismus, gang und gäbe. Im Zen Buddhismus wird Retreat als "Sesshin" bezeichnet.

Christentum

Der christliche Retreat kann, einfach ausgedrückt, als eine Zeitspanne der Zurückgezogenheit definiert werden, welche von einigen Stunden bis zu einem Monat dauern kann. In dieser Zeit lassen die Teilnehmer ihr normales Alltagsleben ruhen, um sich wieder Gott zuzuwenden. Obwohl dieses Sich-Lösen vom Alltag, sei es als eine Erfahrung in der Wüste (wie bei den Wüstenvätern) oder in einem Kloster, so alt wie das Christentum selbst ist, so ist doch die Übung, sich für einen bestimmten Zeitraum auf einer höheren Ebene mit Gott zu verbinden, ein eher modernes Phänomen. Es stammt aus den zwanziger Jahren des 16. Jahrhunderts (1520), in denen St. Ignatius von Loyola dies unter dem Begriff "Spirituelle Übungen" einführte. Auch wird als biblischer Hintergrund für Retreats das 40-tägige Fasten Jesu Christi in der Wüste herangezogen.

Im 20. Jahrhundert wurden, angeregt durch die Cursillo-Bewegung (auf Mallorca gegründete, spanische Bewegung), die Drei-Tage-Retreats äußerst populär. Auch sie basierten auf der Spiritualität des heiligen Ignatius.

Die Idee des spirituellen Rückzugs (Retreat) wurde innerhalb der römisch-katholischen Kirche von den Jesuiten verbreitet. Ihr Ordensgründer St. Ignatius von Loyola, der um das Jahr 1520 noch ohne Priesterwürden war, hatte damals begonnen, andere in diese spirituelle Übungen einzuweisen. Es kam dann noch eine andere Form der Übung hinzu, die unter dem Namen "neunzehnte Selbstbetrachtung" bekannt wurde. Hier durften die gewöhnlichen Tagesverrichtungen, also das Alltagsgeschäft, beibehalten werden, aber nur unter der Bedingung, dass zumindest einige Stunden täglich diesem speziellen, heiligen Zweck gewidmet wurden. Die spirituellen Übungen waren besonders für die Menschen bestimmt, die ihr Leben noch mehr nach dem Willen Gottes ausrichten wollten.

Ermuntert durch das schnelle Anwachsen der Cursillo-Bewegung wurden ähnliche Retreats von anderen Konfessionen übernommen. Sie benutzten entweder lizensierte Cursillo-Inhalte oder, unabhängig davon, frei zusammengestellte Übungsinhalte, die aber trotzdem auf demselben Konzept basierten. Diese Entwicklung führte zum Entstehen der Drei-Tage-Bewegung.

Sufi Retreats oder Spirituelle Khalwas

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Die wörliche Bedeutung von "Khalwa" ist Zurückgezogenheit oder Abgeschiedenheit, aber in der Sufi Terminologie hat es noch eine andere Assoziation: Es geht dabei um vollkommene Entsagung, um Selbstaufgabe und um das Sehnen nach Gott. In vollständiger Abgeschiedenheit rezitieren die Sufis ununterbrochen den Namen Gottes. Muhiyid-Did Ibn Arabi (1165-1240) beschreibt in seinem Buch "Reise zum Herrn der Macht" die einzelnen Stadien, die ein Sufi während seiner Khalwa durchläuft.

Ibn Arabi stellt da fest: "Ein Sufi sollte vierzig Tage lang seine Tür vor der Außenwelt verschließen und sich auschließlich nur mit Gebet und der Anrufung von Allah befassen, wobei er ständig 'Allah, Allah' wiederholen sollte". Dann wird Gott ihm die verschiedenen Ebenen und Stufen seines Königreiches als Prüfung eröffnen. Als erstes wird der Sufi das Geheimnis der Ebene der Mineralwelten entdecken. Wenn er sich dann weiter mit Dhikr beschäftigt, wird Gott ihm die Geheimnisse des Pflanzenreiches und danach die des Tierreiches enthüllen.

Ferner wird er bald auch jene Ebenen durchlaufen, welche unser Dasein mit göttlicher Lebenskraft durchströmen sowie das "oberflächliche Zeichen", das Licht der Heiligen Namen, wie es Abdul-Karim Al-Jeeli, der Übersetzer des Buches nennt. Den Ebenen der wissenschaftlichen Scheinwelten werden dann wieder die Welten der Formgebung, Schönheit und Zier folgen und darauf die Ebenen von Qutb (spiritueller Lehrer, Seele, Dreh- oder Angelpunkt des Universums).

Ihm werden dann göttliche Weisheit, Macht über Sinnbilder und Autorität über die Schleier bzw. die Entschleierungen gegeben werden. Er wird Klarheit erlangen über die Gegenwart Gottes, und auch der Garten Eden (Paradies) und die Hölle würden sich ihm offenbaren. Er werde dann die ursprünglichen Nachkommen der Söhne Adams und den Thron Gottes schauen können.

Wenn es dann Gott angemessen erscheint, würden sich dem Sufi Lebensschicksal und Bestimmung offenbaren. Darauf würde er zuerst auf die Stufe des "Schreibstiftes", des Verstandes ersten Grades (wie er von den Sufi Philosophen genannt wird), dann auf die Ebene des "Nutzers des Schreibstiftes" und letztlich auf jene Ebene erhoben werden, welche "die Rechte Hand der Wahrheit" genannt wird (Wahrheit definiert im Sinne von Al-Jeeli als: das, aus dem alles erschaffen wurde, der Allerhöchste Gott)

Die Praxis von Khalwa wird von Sufis regelmäßig mit Zustimmung und unter der Supervision eines Sufi-Meisters ausgeführt. Im Sufismus wird die 40-Tage-Zeitspanne von Khalwa mit der vierzig Tage dauernden Periode begründet, welche Allah seinerzeit Moses als Fastenzeit auferlegt hatte. Erst dann hätte er mit ihm gesprochen, heißt es in verschiedenen Kapiteln des Korans. Khalwa wird heutzutage immer noch von hochwürdigen Scheichs wie z. B. Nazim Al-Haqqani aus Lefka, Zypern praktiziert.

Yoga

In der modernen Yoga-Szene wird mit dem Begriff Retreat oft eine Yoga-Freizeit oder ein Yoga-Erholungsurlaub beworben. In diesem Zusammenhang kann Retreat bedeuten, seine Alltagsgeschäfte entweder für ein paar Tage (Wochenend-Retreat) oder auch für einige Wochen ruhen zu lassen. Das Ziel hier ist es, Probleme und alltäglichen Stress loszulassen. Vielen Menschen fällt es leichter, sich anstelle reiner Meditation eher auf Yoga-Übungen und Stellungen (Asanas) zu konzentrieren. Häufig werden Retreats auch als organisierter Yoga-Urlaub mit Auslandsreisen verbunden.

Retreat - Urlaub für die linke Gehirnhälfte

Swami Vishnudevananda meditierend

Ein Beitrag aus dem Yoga Vidya Journal Nr. 38, I/2019 von Stefanie Oberländer

- von gedanklichen Glitzerpartys und düsteren Denkdebatten –

Dies ist ein Versuch, das Schweige-Retreat im Westerwald- Ashram im November 2018 - fünf erkenntnisreiche, emotionale und erquickende Tage - zusammenzufassen.

Ich sitze auf meinem Meditationskissen und schaue in die Runde. 24 andere Mutige: Männer und Frauen, jünger und älter, alles bunt durchmischt. In der kurzen Vorstellrunde wird klar, die Bandbreite reicht von langjährigen Retreat-Wiederholungstätern über treue Yoga-(Vidya)ner bis hin zu blutigen Schweige- und Yogaanfängern.

Alle haben wir unserer linken Gehirnhälfte, der eher logisch-analytischen Hälfte, für die kommenden Tage Urlaub verordnet. Wir werden schweigen! Da dieser Teil des Gehirns vorwiegend über Worte und Schrift gespeist wird, gilt natürlich auch die Empfehlung, keine Bücher zu lesen. Dass mein Kopf nach rationalem Stoff lechzt wie ein Süchtiger, soll ich dann am nächsten Abend realisieren, als ich mich beim Duschen dabei ertappe, wie ich die Shampoo-Inhaltsstoffe exzessiv studiere. 21.47 Uhr. Es wird ernst. Wir erhalten alle unsere Schweige-Anstecker.

Morgenstund´ hat Gold im Mund

Ich fühle mich getragen von der Gruppe. Es fällt mir ungewöhnlich leicht, morgens 5:30 Uhr aus dem Bett zu schleichen. Pünktlich um 6 Uhr sitze ich auf meinem Meditationskissen und harre der Dinge, die da kommen.

„Endlich still!“, denke ich.

Nett gedacht … Ich schrecke auf vom wiederholten Zucken meines Kopfes nach vorn. Da bin ich wohl im wahrsten Sinne des Wortes weggenickt. Erschrocken stelle ich fest, dass mein Körper trotz erholsamen acht Stunden Schlafs von der Idee, nicht mehr zu liegen, nicht gerade der größte Fan ist. Das hatte ich mir augenscheinlich anders vorgestellt. Schon fast will ich mich meinem Frust darüber hingeben, da erläutert unser Seminarleiter Maheshwara Mario Illgen „zufällig“, wie sich bei vielen Menschen anfangs eine unglaubliche Müdigkeit aufbäumt.

Eine Mattheit, die, einmal eingeladen, unaufhaltsam ihren Raum fordert. Es ist diese unterschwellige Abgespanntheit, die „wir“ erzeugen durch das ständige Hin- und Herspringen zwischen Rajas und Tamas im Alltag.

Es ist diese tiefsitzende Angst, funktionieren zu müssen, um geliebt zu werden. Es ist dieser festsitzende Glaubenssatz, ich dürfe mir ein Nichtstun nicht erlauben. Es überfällt mich eine dunkle Schwere, als mir die inneren Kämpfe dämmern, die meine Erschöpfung erklären könnten.

Reden ist Silber, Schweigen eine Herausforderung

Durchzogen mit zwei Yogastunden, zwei Satsangs und zweimal super, leckerem Essen, tiefberührenden Mantras und inspirierenden Kurzvorträgen, meditieren wir ca. 4 ½ Stunden am Tag. Wir stellen uns immer wieder innerlich die Frage:

„Was ist, wenn ich diesen Moment einfach genauso annehme, wie er ist?“ 

Wir praktizieren eine reine, pure Form der Aufmerksamkeit, wobei wir unseren Fokus nicht auf Erfahrungsobjekte richten. Wir versuchen, uns als stets anwesende Bewusstheit zu erfahren. Ewiglich und unvergänglich. Denn das ist unsere wahre Natur. An Tag zwei hat scheinbar jede/r seine/ihre Strategie entwickelt, um sich nicht vom schmerzenden Rücken oder ziehenden Beinen unterkriegen zu lassen. Es werden Kissenburgen gebaut, Stühle mit Decken gepolstert und Meditationsbänke präpariert. Mein eher hyperaktiver Körper jubelt über die Möglichkeit kurzer Geh- Meditationen zwischen den einzelnen Sitzungen.

Eine Mischung ganz nach meinem Geschmack

Maheshwara schafft es, die ganze Gruppe an die Hand zu nehmen. In der Feedbackrunde wird klar, dass er tatsächlich das quasi Unmögliche schaffte: jeden genau an dem Punkt abzuholen, an dem er/ sie vor dem Retreat stand. Er bringt lebensnahe, witzige Beispiele, vermengt mit tiefem spirituellem Wissen. Auf schriftliche Fragen zitiert er spontan eine passende Stelle aus der Bhagavad Gita inklusive Kapitel und Vers. Ich fühle mich sowohl gefordert als auch unglaublich unterhalten.

Eine Mischung ganz nach meinem Geschmack. Er spricht ehrlich und authentisch aus, was sich wahrscheinlich jede/r schon mal gefragt hat: wie man wieder zurückfindet, wenn es scheinbar einfach nicht funktionieren will mit dieser Meditation. Wenn man stundenlang dasitzt und sich fragt, ob man jetzt eigentlich schon meditiert. Und warum man das hier eigentlich tut. Oder ob die anderen schon bemerkt haben, dass man keinen Schimmer hat, was man hier tut. Wenn man nach ganzen vier vergangenen Minuten schon wieder auf die Uhr schaut. Und sich fragt, wie es denn der Nachbar hinbekommt, so gelassen auszusehen, dem Samadhi nah. Ich fühle mich verstanden. Gesehen.

Stille Gewässer sind sehr tief – und schlammig

Versunken im Universum meiner Gedanken holt mich Maheshwaras angenehme Stimme ruhig aber bestimmt zurück ins Hier und Jetzt: „Und wenn dein Geist abdriftet, dann bringe ihn ganz einfach wieder zurück in diesen Moment.“ Ich stelle mir meinen Geist als alte, verwirrte, ein wenig verrückte Dame vor. Eine dieser Omis, der man einfach nicht böse sein kann, dass sie schon wieder, zum hundertsten Male, eine ihrer verrückten Flunker- Geschichten von damals ausschmückt. Meine alte Dame ist sehr redselig und berichtet von früheren Liebhabern, Kindheitsträumen und Schabernack in der Jugend. Weinerlich berichtet sie auch von meinen alten Narben, vergessenen Wunden und Erinnerungen, die bis jetzt tief vergraben waren. Mir rollt eine Salzkuller über die Wange … Ich nehme die Alte verständnisvoll in den Arm, nicke ihr ganz nett zu. Dann begleite ich sie aber konsequent wieder zurück in die Stille. „Endlich still!“, denke ich. Nichts mehr sagen müssen. Nicht mehr gegenreden müssen. Nichts mehr müssen. Sein dürfen. Sein.

Nett gedacht! Es wird unglaublich laut. Da ist diese scheinbar unerträgliche, schreiende Stille. Mein innerer Kommentator sitzt in einer düsteren Eckkneipe in meinem Kopf und hat sich zusammen mit meinem inneren Kritiker verschworen.

Sie malen schwarz. Am Nachbartisch führen Fräulein Mut und Herr Selbstzweifel eine hitzige Debatte über hohe eigene Ansprüche, den Drang, perfekt zu sein und die Angst, nicht zu genügen. Der Seminarbeschreibungstext hält, was er verspricht: eine tiefe Begegnung mit mir selbst! In meinem Kopf kreist unaufhörlich ein Gedanken-Karussell: limitierende Glaubenssätze, vergangene Gespräche, vergessene Geister … tief sitzende Selbstzweifel, schmerzhafte Schuldgefühle, dunkle Schatten

Es blitzt der Vorgeschmack der Wahrheit ans Licht. Und allmählich, zaghaft und leise, vernehme ich einen süßlich-lieblichen Klang. Die Stimme aus meinem tiefsten Innersten. Dann gibt es da Momente, in denen scheinbar mein inneres Kind, meine Krafttiere, Fräulein Leichtigkeit, Frau Selbstliebe und Herr Mut eine glitzernde Tanzparty in meinem Kopf schmeißen.

Am fünften und letzten Tag lädt uns Maheshwara ein, unsere ersten Worte bewusst und für uns bedeutsam zu wählen. Ich spüre kurz in mich hinein und nehme dann seine Einladung an, das allumfassende Gebet mitzusprechen. Als bei „und befreie uns von Selbstsucht, Gier, Zorn und Hass!“ eine salzige Krokodilsträne sich ihren Weg auf meiner Wange bahnt, bin ich mir sicher, die richtige Wahl getroffen zu haben. Und als die letzte Träne meine Wange runterrollt, fühle ich mich auf einmal so klar. Geklärt, gereinigt und neu … als hätte jemand eine schwere Last von meinem Herzen genommen und die Gewitterwolke über meinem Kopf in Sonnenschein transformiert …

Siehe auch

Literatur

  • Sukadev Bretz: Meditieren lernen in 10 Wochen - Übungsbuch mit MP3-CD
  • Muhyiddin Ibn Arabi: Reise zum Herrn der Macht: Meine Reise verlief nur in mir selbst
  • Swami Sivananda: Die Kraft der Gedanken; Books. ISBN 3-922477-94-1
  • Swami Sivananda: Shrimad Bhagavad Gita, Erläuternder Text und Kommentar von Swami Sivananda; Mangalam Books. ISBN 3-922477-06-2
  • Swami Sivananda: Hatha-Yoga / Der sichere Weg zu guter Gesundheit, langem Leben und Erweckung der höheren Kräfte; Heinrich Schwab Verlag. ISBN 3-7964-0097-3
  • Swami Sivananda: Göttliche Erkenntnis; Mangalam Books. ISBN 3-922477-00-3
  • Swami Sivananda: Sadhana; Mangalam Books. ISBN 3-922477-07-0
  • Swami Sivananda: Autobiographie von Swami Sivananda; Bad Mainberg 1999. ISBN 3-931854-24-8

Weblinks

Seminare

Seminare zum Thema "Indische Meister"

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Spirituelle Retreats

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