Inkarnation

Aus Yogawiki

Inkarnation (Latein: incarnatio „Fleischwerdung“) bezeichnet in der christlichen Religion die Menschwerdung (Fleischwerdung, Verkörperung) einer Gottheit.

Im Hinduismus bezeichnet der Begriff den generellen Einzug einer Seele in den physischen Körper eines karmisch bestimmten Lebewesens als Folge der Handlungen bisheriger Leben (also des angesammelten Karmas). Auch hier gibt es natürlich besondere Inkarnationen. Krishna stellt dabei die bekannteste Reinkarnation (Wiedergebut) dar. Ohne karmische Bedingungen in einen physischen Leib inkarnierte Götter, wie Krishna, nennt man Avatare.

Grund der Rückkehr zum Erdendasein

Artikel aus dem Buch „Das System des Vedanta“ von Paul Deussen, Elibron Classics, 2. Auflage, Leipzig (1906), S. 417-424.

Vorbemerkung

Unser System lehrt für gute und böse Werke eine doppelte Vergeltung: einmal im Jenseits, sodann durch ein neues Geborenwerden auf Erden. Als Grund für diese Duplizität bezeichneten wir schon (S. 386) das Streben, die ältere Ansicht von einer Vergeltung im Jenseits und die jüngere von einer solchen durch die Wiedergeburt gleichzeitig festzuhalten. Hierdurch wird nun aber das System inkonsequent: wird Gutes und Böses schon im Jenseits vergolten, so sieht man nicht, warum dafür noch einmal durch ein neues Erdendasein zu büßen ist; liegt, umgekehrt, die Vergeltung in der bestimmten Form dieses Erdendaseins, so ist für die Annahme jenseitiger Belohnungen und Bestrafungen kein rechter Grund vorhanden. Wir wollen sehen, wie die indischen Theologen sich mit dieser Inkonsequenz (in welche übrigens auch Platon verfallen ist) abfinden, indem wir den Inhalt von 3,1,8-11, S. 751-762, in diesem Kapitel in der Kürze reproduzieren.

Bei der Vergeltung bleibt ein Rest (Anushaya)

Es fragt sich, ob bei der Vergeltung der Werke im Jenseits ein Rest übrig bleibt oder nicht (S. 752,2). — Man könnte meinen, dass kein Rest bleibe, weil es Chand. 5,10,5 (S. 393) heißt: „sie bleiben dort, solange eine Neige (Sampata) vorhanden ist" und in Brih. 6.2,16: „sie steigen herab, wenn dieses verstrichen ist (Pari-Ava-Eti)", wie denn auch eine andere Schriftstelle (Brih. 4,4,6, übersetzt S. 209) sagt:

„Nachdem den Lohn er hat empfangen
Für alles, was er hier begangen.
So kehrt aus jener Welt er wieder
Zu dieser Welt des Wirkens nieder;"

und wenn die Bedeutung des Todes darin besteht, dass er der Offenbarer der Frucht der Werke ist (S. 752,13), so muss er eben der Offenbarer aller Werkfrucht sein, denn die nämliche Ursache kann nicht eine verschiedenartige Wirkung hervorbringen (S. 752,10); und wenn die Lampe das Gefäß sichtbar macht, so muss sie, bei gleicher Entfernung, auch das Gewand sichtbar machen (S. 753,1). Im Widerspruche zu diesen Ausführungen behaupten wir, dass allerdings ein Werkrest übrig bleibt. Indem nämlich auf dem Monde die Werke nach und nach durch den Genuss aufgezehrt werden, schmilzt auch, wie Reif an der Sonne oder wie die Härte der Butter am Feuer, durch das Feuer des Schmerzes über das Hinschwinden der Werke die Wassergestalt dieser Werke (Am-Mayam Shariram, d. h. der Karma-Ashraya, S. 405, der also hier vom Karma selbst noch unterschieden wird) zusammen, und das Herabsteigen findet statt, während noch ein Rest da ist (S. 753,8). Dies ergibt sich zunächst daraus, dass die Schrift (Chand.5,10,7) bei den Herabsteigenden einen Unterschied macht zwischen erfreulichem und stinkendem Wandel, wobei unter Wandel (Charanam) eben der Werkrest zu verstehen ist (S. 753,14); und auch die von Geburt an verschiedene Verteilung der irdischen Güter nötigt, da nichts ohne Ursache ist, zur Annahme eines solchen Restes (S. 753,15). Ebenso lehrt die Smriti (vgl. Apastamba, Dharmasutra 2,1,2,3), dass, nachdem im Einzelnen die Vergeltung der Werke stattgefunden habe, durch einen Rest (Shesha) die Verschiedenheit der neuen Geburt an Land, Kaste, Familie, Gestalt, Lebensalter, Schriftgenuss, Lebensschicksal, Reichtum, Lust und Intelligenz bedingt werde (S. 754,4).

Wie dieser Rest zu denken sei?

Aber wie soll man sich diesen Rest der Werke, durch welchen der neue Lebenslauf bedingt wird, vorstellen? (S. 754,6.) — Einige denken sich ihn wie eine klebrige Flüssigkeit, die dem Gefäße anhaftet (S. 754,7); dieses widerspreche, so meinen sie, dem Gesetze der Wirkung [die vollständig stattfinden muss] nicht (S. 754,10); denn wenn auch der Zweck des Aufstieges zum Monde der Genuss der Frucht ohne Ausnahme sei, so werde doch bei einem sehr klein gewordenen Reste der Werke ein Verharren auf demselben unmöglich (S. 754,13), ähnlich wie ein dienender Ritter, der wohl ausgerüstet an den Hof des Königs gekommen, sich dort, nachdem seine Toilette bis auf Sonnenschirm und Schuhe verschlissen sei, nicht länger halten könne (S. 755,1).

Aber diese Erklärung ist doch nicht ansprechend (Peshala). Denn bei dem Gefäße und dem Ritter begreift man das Bleiben eines Restes, hier aber nicht (S. 755,10); vielmehr widerspricht ein solcher dem Schriftkanon von der Belohnung im Himmel (d. h. im Mondreiche), welche ohne Abzug stattfindet (S. 755,11); auch würde ein derartiger Rest guter Werke doch nur die Wiedergeburt in erfreulicher Form erklären, nicht die, welche zur Strafe dient (S. 756,1).

Man muss vielmehr zwei Klassen von Werken unterscheiden, die einen mit jenseitiger, die andern mit diesseitiger Frucht; jene werden drüben vergolten, diese hier auf Erden durch die neue Geburt (S. 756,3). Demgemäß muss man den oben (S. 418) zitierten Vers: „für alles, was er hier begangen", nur auf alle diejenigen Werke beziehen, die jenseitige Frucht bringen (S. 756,8), und eben diese Einschränkung muss man bei der Auffassung des Todes als des Offenbarers der Werke anwenden (S. 756,9). Warum, so fragen wir, ist denn überhaupt erst der Tod der Offenbarer der Werke? Doch deswegen, weil dieses Leben schon zur Offenbarung anderer Werke in Anspruch genommen ist. Dasselbe nun, was die Werke, die der Tod offenbart, verhindert, sich schon vorher zu offenbaren, eben dieses macht es auch unmöglich, dass nach dem Tode 'Werke von entgegengesetzter Frucht sich zugleich offenbaren (S. 757,3). Dass nicht alle Werke mit einem Male vergolten werden können, sieht man ja auch daraus, dass auch in der folgenden Geburt nicht immer alle angesammelten Werke zum Austrage kommen, weil jedes einzelne seine bestimmte Vergeltung fordert (S. 757,9), und ein Erlass, mit Ausnahme der durch Bußleistung (Prayashchittam) gesühnten Werke, nicht statthat (S. 757,11). Würden alle (religiösen) Werke in einer Geburt vergolten, so wäre für die in Himmel und Rolle oder Tierleiber (und Pflanzenleiber) Eingegangenen, da sie in diesem Zustande keine rituellen Werke verrichten, keine Ursache für ein folgendes Dasein vorhanden, und somit würde dieses unmöglich (S. 758,5), eine andere Autorität aber für die Vergeltung als den Werkkanon haben wir überhaupt nicht (S. 758,8).

Dass der Tod die Werke offenbare, gilt also nicht unbedingt: Verbrechen wie Brahmanenmord fordern zu ihrer Sühnung nach der Smriti mehr als einen Lebenslauf (S. 758,6), und anderseits bringen Werke wie das Regenopfer (Kariri) schon im gegenwärtigen Leben ihre Frucht (S. 758,9). — Das Beispiel von der Lampe (S. 418) trifft nicht zu; vielmehr, so wie die Lampe, bei gleicher Nähe, Grobes sichtbar macht und Feines nicht, so werden durch den Tod die stärkern Werke offenbart, die schwächern nicht (S. 759,5). Wollte endlich einer einwenden, dass, wenn immer ein Werkrest bleibe, keine Erlösung möglich sei, so wäre daran zu erinnern, dass durch die universelle Erkenntnis alle Werke ohne Rest vernichtet werden (S. 759,8).

Rituelles und moralisches Werk

Wie diese Ausführungen zeigen, sucht unser Autor die Frage nach dem Grunde der doppelten Vergeltung dadurch zu lösen, dass er zwischen Werken mit jenseitiger und solchen mit diesseitiger Frucht unterscheidet. Welche Werke aber der einen oder andern Kategorie angehören, das versucht er nicht zu bestimmen, und nur nebenbei ließ er, wie wir sahen, durchblicken, dass der Unterschied ein quantitativer ist, sofern die stärkern Werke zuerst, also im Jenseits, zur Offenbarung kommen, die schwächern somit als Rest zurückbleiben und die Wiedergeburt bedingen. Einem ähnlichen Kampfe der Werke ums Dasein begegneten wir schon S. 120; im Widerspruche zu der dort übersetzten Stelle, wie auch zu manchen Auslassungen des soeben analysierten Abschnittes, steht die von uns S. 381 hervorgehobene Bemerkung, nach welcher der Tod eben den Moment bedeutet, wo der Vorrat der das Leben bedingenden Werke vollständig verbraucht ist.

Es läge nun nahe, die zweifache Vergeltung aus dem Unterschiede der rituellen und der moralischen Werke abzuleiten, indem jene im Jenseits, diese durch den neuen Lebenslauf gesühnt würden; und es scheint, als wenn in der Vedantaschule wirklich eine derartige Scheidung angestrebt, von den Autoritäten aber abgelehnt worden sei, ohne dass dieselben doch über diesen Punkt sich völlig hätten einig werden können. Wir wollen versuchen, in diese interessanten, aber einigermaßen dunkeln Verhältnisse einen Einblick zu gewinnen, indem wir den betreffenden Abschnitt 3,1,9-11 hier wortgetreu übersetzen. (3,1,9:) „«Wegen des Wandels? Nein! Weil sie ihn mitbezeichnet; so Karshnajini.» — Das mag ja sein; aber die Schriftstelle, welche zum Erweise des Vorhandenseins eines Werkrestes (Anushaya) zitiert wurde: «welche nun hier einen erfreulichen Wandel haben» (Chand.5,10,7, S. 393), die lehrt ja doch, dass durch den Wandel (Charanam) der Eingang in den Mutterschoß erfolge und nicht durch den Werkrest; ein anderes aber ist der Wandel, und ein anderes der Werkrest. Denn Wandel kann nichts anderes bedeuten als Aufführung (Charitram), Lebenswandel (Achara.), Charakter (Shilam); unter Werkrest hingegen wird ein von dem vergoltenen Werke übrig bleibendes Werk verstanden; und auch die Schrift bezeichnet Werk und Wandel als verschieden, denn es heißt (Brih. 4,4,5, übersetzt S. 208): «je nachdem er handelt, je nachdem er wandelt, darnach wird er geboren», und (Taitt. 1,11,2) : «die Werke, welche untadelig sind, die sollst du betreiben, keine andern; was bei uns für guten Wandel gilt, das sollst du üben!» Daher die Schriftstelle, welche wegen des Wandels den Eingang in den Mutterschoß erfolgen lässt, für einen Werkrest nichts beweist. — Darauf erwidern wir: Nein! Weil diese Schriftstelle von dem Wandel den Werkrest mitbezeichnet, so meint der Lehrer Karshnajini."

(3,1,10:) «Zwecklosigkeit, meint ihr? Nein! Weil es durch ihn bedingt wird.» — Gut, könnte man sagen, aber warum soll man bei dem Worte Charanam die schriftmäßige Bedeutung «Charakter» aufgeben und die übertragene «Werkrest» annehmen? Sollte nicht vielmehr der Charakter für das von der Schrift gebotene Gute und verbotene Böse den Eingang in einen schönen und unschönen Mutterschoß als Lohn empfangen? Denn sicherlich muss man doch auch für den Charakter irgendeine Belohnung annehmen. Denn sonst würde Zwecklosigkeit des Charakters stattfinden. —Meint ihr so, so antworten wir: Nein! Warum? Weil es durch ihn bedingt wird; d. h. das ausgeführte Werk, wie Opfer usw., wird bedingt durch den Wandel; denn keiner, der eines guten Lebenswandels ermangelt, wird dabei zugelassen:

„Den Sittenlosen reinigt nicht der Veda,"

wie die Smriti sagt. Ferner ist deshalb nicht Zwecklosigkeit des Charakters, weil er zum Ziele des Menschen mitgehört. Denn wenn das ausgeführte Werk, wie Opfer usw., seine Frucht erntet, so wird, eben weil es durch ihn bedingt ist, dabei auch der Lebenswandel einen gewissen Überschuss (Atishaya) ernten; und das Werk vollbringt ja alle Zwecke, wie sowohl Schrift als auch Tradition annehmen. Darum ist das Werk allein, weil es den Charakter mitbezeichnet, in Gestalt des Werkrestes die Ursache für den Eingang in den Mutterschoß; so ist die Meinung Karshnajinis. Denn da das Werk vorhanden ist, so ist ein Eingang in den Mutterschoß wegen des Charakters füglich nicht anzunehmen; denn wer imstande ist, auf den Füßen zu laufen, der braucht nicht auf den Knien zu kriechen."

(3,1,11 :) „«Nur gutes und böses Werk hingegen Badari.» — Hingegen meint der Lehrer Badari, dass unter dem Worte «Wandel» nur gutes und böses Werk zu verstehen ist. Denn so wird von einem bloßen Werke das Wort «wandeln », wie man sieht, gebraucht. Denn wer die guten (Punya) Werke, wie Opfer usw., betreibt, von dem sagen die Leute: «dieser Edle wandelt in der Pflicht (Dharmam Charati).» Auch ist der Lebenswandel selbst nur eine Art der Pflicht, und die Unterscheidung von Werk und Wandel ist nur so wie die zwischen Brahmana und Parivrajaka [d. h. Genus und Species, vgl. S. 382,2. 640,3]. Somit sind die von erfreulichem Wandel solche, deren Werke rühmlich, und die von stinkendem Wandel solche, deren Werke tadelhaft sind; das steht fest."

So wenig abgeklärt auch die vorstehenden Gedanken Shankaras erscheinen, so geht doch aus ihnen hervor, dass eine Tendenz sich kund gab, zwischen rituellem Werke und moralischem Wandel oder Charakter zu scheiden, und durch jenes die Vergeltung im Jenseits, durch diesen die Gestaltung des folgenden Daseins bedingt sein zu lassen; sowie, dass dieses Streben in der Vedantaschule nicht durchdrang. — Ein solches Verhalten mag unser Bewusstsein befremden, welches gerade in dieser Frage (dem Angelpunkte des Unter-schiedes alttestamentlicher und neutestamentlicher Moral) wohlgeschult ist. Indes müssen wir uns erinnern, dass es sich hier nur um das Tun des Menschen handelt, sofern es Lohn und Strafe nach sich zieht und somit egoistischen Zwecken dient. Sofern sie aber im Dienste des Egoismus stehen, haben alle Werke des Menschen ihren Wert nicht in sich, sondern in dem erstrebten Zwecke, und es ist allerdings gleichgültig, ob dieser Zweck durch rituelle oder durch moralische Leistungen erreicht wird.

Siehe auch

Literatur

  • Vedanta für Anfänger von Swami Sivananda
  • Vedanta - Der Ozean der Weisheit von Swami Vivekananda
  • Paul Deussen: Das System des Vedanta, Elibron Classics, 2. Auflage, 1906.
  • Soami Divyanand: Vedamrit - Die Botschaft der Veden. ISBN 3-926696-03-6 (Übersetzung der Veden auf Deutsch, Bd. 1); ISBN 3-926696-13-3 (Bd. 2); ISBN 3-926696-26-5 (Bd. 3)
  • Wilfried Huchzermeyer: Die heiligen Schriften Indiens - Geschichte der Sanskrit-Literatur. (edition-sawitri.de) ISBN 3-931172-22-8
  • Moritz Winternitz: Geschichte der Indischen Literatur, Leipzig, 1905 - 1922, Vol. I - III. Reprint in englischer Übersetzung: Maurice Winternitz: History of Indian Literatur, Motilal Barnarsidass, Delhi, 1985.
  • Aurobindo: Das Geheimnis des Veda, 2. Auflage 1997, Hinder + Deelmann, ISBN 3-873481-65-0
  • Lokamanya Bâl Gangâdhar Tilak: Orion ou Recherches sur l'Antiquité des Védas, Milan, Éditions Archè, 1989

Weblinks

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