Bhagavadgita

Aus Yogawiki
Arjuna und Krishna auf dem Streitwagen. Skulptur in Rishikesh

Bhagavadgita oder Bhagavad Gita: (Sanskrit: भगवद्गीता bhagavadgītā f. "Gesang des Erhabenen") ist eine der wichtigsten der heiligen Schriften ("Shastra") im Yoga, im Hinduismus und auch allgemein. Sie wurde von Krishna offenbart. Die Bhagavadgita, ein Lehrgedicht mit 700 Versen in 18 Kapiteln, ist ein Zwiegespräch zwischen Krishna, dem Lehrer/Manifestation Gottes, und Arjuna, dem Schüler. Haupt-Themen der Bhagavadgita sind: Wie treffe ich eine Entscheidung auf spirituelle Weise? Wie führe ich ein spirituelles Leben? Wie kann ich ohne Verhaftung handeln? Wie kann ich Gott erfahren und zum Höchsten kommen?

Form und Inhalt

Die Bhagavadgita, ein religiös-philosophisches Lehrgedicht in 18 Kapiteln mit 700 Versen, ist in einem kunstvollen, aber unkomplizierten Sanskrit geschrieben. Sie bildet im indischen Epos Mahabharata die Kapitel 25 bis 42 im Bhishma Parva genannten 6. Buch (Mbh. VI, 25-42).

Die Zeit der Entstehung ist wie bei den meisten indischen Werken unklar. Als frühesten Zeitpunkt nimmt die philologische Forschung das 3. Jh.v.Chr. an, als spätesten das 2. Jh.n.Chr. Da nach der mythischen Überlieferung Krishna am 17. Januar 3102 v.Chr. starb, setzen gläubige Hindus das Werk in diese Zeit zurück, die sie zudem als Beginn des jetzigen Zeitalters, des Kaliyuga, betrachten.

Der Autor des Gedichtes ist unbekannt. Als (mythischer) Autor des Mahabharata gilt der legendäre Weise Vyasa. Ob die Bhagavadgita ein ursprünglicher Bestandteil des Mahabharata war oder erst später eingebaut, bleibt in der Forschung umstritten.

Als Rahmenhandlung des Mahabharata streiten zwei engverwandte Sippen, die Pandavas und die Kauravas, was am Ende in eine grausame Schlacht ausartet. Vor der Schlacht bietet sich Krishna an, Arjunas Wagenlenker zu sein und erhält dann den Auftrag, zwischen die beiden verfeindeten Scharen zu fahren. Als Arjuna all seine Verwandten, Lehrer und Freunde im feindlichen Heer sieht, wirft er seine Waffen weg und weigert sich zu kämpfen. Krishna, der zu jenem Zeitpunkt schon göttliche Ehren erlangt hatte, beginnt nun, Arjuna über Sinn von Leben und Tod aufzuklären.

Die ersten sechs Kapitel der Bhagavadgita belehren über rechtes Tun und selbstloses Handeln (Karma Yoga), die nächsten sechs Kapitel über Hingabe und Gottesliebe (Bhakti Yoga) und die letzten sechs Kapitel geben Auskunft über die rechte Erkenntnis (Jnana Yoga). Schließlich offenbart sich Krishna dem Arjuna als der all-einige Gott. Arjuna verliert nun all seine Zweifel und fügt sich dem Schicksal der grauenvollen Schlacht vom Kurukshetra.

Die Bhagavadgita vertritt vishnuitisches Gedankengut und steht den Upanishaden am nächsten; ist stark von der Yogalehre und vom philosophischen System Sankhya, auch vom Buddhismus geprägt. Zahlreiche Kommentare finden wegen des Gemischs verschiedener Richtungen in der Bhagavadgita zum Teil widersprüchliche Aussagen. Im Kern steht die Hingabe an Gott, rechte Versenkung und Meditation. Krishna verlangt, da er im Herzen aller Lebewesen wohne, sei es noch so niedrig, dass alle Wesen verehrt werden sollen. Gewaltlosigkeit (ahimsa), selbstloses Handeln im Sinn des höheren Selbst und Entsagung sind wichtig, um ein gutes Karma zu erlangen. Es wird zu einem Tätigsein ermutigt, das dem Wohl der Menschen dient...

Kommentare und Interpretationen

Die Bhagavadgita wurde schon früh kommentiert. Der älteste bekannte Kommentar stammt vom indischen Philosophen Shankara (788-820). Er schrieb, dass die Bhagavadgita die Quintessenz der Veden sei und dass sie den Menschen in die Befreiung führe. Auch Shankaras Kommentar wurde später immer wieder kommentiert. Weitere bekannte Kommentare stammen von Ramanuja (1017-1137), Madhva (1199-1278), Nimbarka (12.Jh.) und Vallabha (1479-1531). Zu den modernen unzähligen Kommentatoren zählen auch große indische Persönlichkeiten, wie der Philosophe B.G. Tilak (1856-1920), der Mystiker Sri Aurobindo (1872-1950) und der Politiker Mahatma Gandhi (1869-1948). Letzterer schrieb:

»In der Bhagavadgita finde ich einen Trost, den ich selbst in der Bergpredigt vermisse. Wenn mir manchmal die Enttäuschung ins Antlitz starrt, wenn ich verlassen, keinen Lichtstrahl erblicke, greife ich zur Bhagavadgita. Dann finde ich hier und dort eine Strophe und beginne zu lächeln, inmitten aller Tragödien, und mein Leben ist voll von Tragödien gewesen. Wenn sie alle keine sichtbaren Wunden auf mir hinterlassen haben, verdanke ich dies den Lehren der Gita.«

Übersetzungen

Der erste Ausländer, der über die Bhagavadgita berichtete, war der islamische Universalgelehrte al-Biruni (973-1048). Er schätzte dieses Gedicht hoch ein, bot aber im Gegensatz zum Yogasutra des Patanjali keine Übersetzung an. Um 1600 übersetzte Abu l-Fazl, Historiograph von Akbar dem Großen, die Bhagavadgita ins Persische.

Als Folge des Imperialismus und der Kolonisation Indiens durch England erwachte auch im christlichen Europa das Interesse an indischer Philosophie und im Jahre 1785 übersetzte Charles Wilkins die Bhagavadgita ins Englische. Der deutsche Indologe August Wilhelm von Schlegel (1767-1845) gab 1823 als erster den Originaltext in Sanskrit heraus und fügte eine lateinische Übersetzung hinzu. Dadurch fand die Bhagavadgita in westlichen Gelehrtenkreisen schnell Verbreitung und wurde daraufhin in mehrere europäische Sprachen übersetzt. Die erste deutsche Übersetzung - wenn auch unzulänglich - stammt von C.R.S. Peiper (1834). Aber schon vorher hatten Friedrich Schlegel (1772-1892) und Wilhelm von Humboldt (1767-1835) Kommentare zur Bhagavadgita veröffentlicht. Humboldt, der von der Bhagavdagita sehr berührt wurde, schrieb:

»Ich danke Gott, dass er mich so lange hat leben lassen, um dieses Buch kennenzulernen, das schönste, ja vielleicht das einzige wahrhaft philosophische Gedicht, das alle uns bekannten Literaturen aufzuweisen haben.«

Heute gibt es über 20 deutsche Übersetzungen verschiedenster Qualität, weltweit sind es rund 2000 Übersetzungen in 70 Sprachen. Damit gehört die Bhagavadgita nach der Bibel zu den meistübersetzten spirituellen Büchern weltweit.

Bedeutung

In Indien gilt die Bhagavadgita als das bekannteste heilige Buch des Hinduismus und viele Hindus können die 700 Verse auswendig. Die Bhagavadgita bietet heute auch Stoff für Filme und Comics und wird in öffentlichen Vorträgen diskutiert. Auch im Westen übt die Bhagavadgita starken Einfluss auf gelehrte Philosophen aus. Arthur Schopenhauer (1788-1860) sagte über sie:

»Wie wird doch der, dem dieses Buch durch fleißiges Lesen geläufig geworden ist, von seinem Geiste im Innersten ergriffen. Es ist die belehrendste und erhabenste Lektüre, die auf der Welt möglich ist; sie ist der Trost meines Lebens gewesen und wird der meines Sterbens sein.«

Obwohl in einen kriegerischen Zusammenhang eingebettet, spricht die Bhagavadgita keineswegs in erster Linie einen Angehörigen der Kriegerkaste, den Kshatriya, an. Deren Pfeil und Bogen lassen vielleicht auch auf die Symbolik des Regenbogens hin weisen. Moderne Interpretatoren erklären den Kampf der Bhagavadgita als einen inneren, den jeder Mensch durchmachen muss, wenn er sich vom Bösen und Niederen lösen möchte. Der Feind kommt nicht von außen, sondern liegt im Innern. Arjuna ist der spirituelle Aspirant, der vom Wagenlenker Krishna - Gott in Person - geführt wird. Das Schlachtfeld Kurukshetra ist das Leben, das in Angriff genommen werden soll, ohne dass besonderer Lohn oder Dank erwartet wird. Untätiges Herumsitzen führt zu nichts. Der Feind schließlich sind die eigenen egoistischen und bösartigen Gesichtspunkte, die besiegt werden sollen. - Auch etwa die Benediktiner-Mönche bezeichnen den "Kampf" gegen die "Leidenschaften", sowie gegen distanzloses sich Sorgen, acedia... letztlich für Glauben zu "kämpfen"... sogar solchen eigenen Schwächen gegenüber hilft "Feindesliebe". Man kämpft darum, sich immer wieder (d.h. eigentlich: zu bemühen); vgl. Gnade, vairagya und

Swami Sivananda: Um den Geist zu zügeln, müsst ihr intelligente und vernünftige Methoden benutzen, weil, wenn ihr Gewalt benutzt, er nur unruhiger und bösartig wird.

Paul Deussen über die Bhagavadgita

Einleitung aus seinem Buch "Der Gesang des Heiligen. Eine philosophische Episode des Mahabharatam". Eine Übersetzung der Bhagavadgita von Paul Deussen. Leipzig. F.a. Brockhaus. 1911. S. V-XXI.

Krishna und Arjuna mit dem Streitwagen

Unter den philosophischen Episoden, welche dem Mahabharatam, diesem großen Nationalepos der Inder und umfangreichsten Dichterwerke der Welt, eingewoben sind, ist keine so berühmt geworden, steht keine in so hohem und fast heiligem Ansehen wie die Bhagavadgita, "der Gesang des Heiligen", auch im Plural vorkommend als Bhagavadgita (sc. Ipanishada}), "die von dem Heiligen gesungenen (Geheimlehren)", eine Bezeichnung, welche dieses Werk an Dignität den geheiligten Vedatexten gleichstellt. Keine der in Indien so zahlreichen religiösen Erbauungsschriften wird von den Indern so eifrig studiert wie die Bhagavadgitä, viele wissen sie auswendig, und nicht wenige betrachten es als eine religiöse Pflicht, sämtliche 700 Doppelverse des Gedichtes täglich mit Andacht herzusagen.

Diesen hohen Wert, welchen die Inder der Bhagavadgitä beilegen, verdankt sie nicht nur der schönen, poetischen Sprache sowie der warmen und erwärmenden Begeisterung, mit welcher hier die edelsten Gedanken des Veda vorgetragen werden, sondern auch der Energie, mit welcher das Gedicht den von Natur zum Quietismus neigenden Inder auf das tatkräftige Handeln als die höchste dem Menschen gestellte Aufgabe hinweist, sowie nicht am wenigsten der theistischen Wendung, welche hier der aus dem Veda überkommenen Atmanlehre gegeben wird. Das Prinzip aller Dinge, das Brahman, oder, was dasselbe bedeutet, der Atman (das Selbst), wohnt ganz und ungeteilt in jedem von uns, aber für den gewöhnlichen, zur philosophischen Meditation weniger befähigten Menschen ist es ein tief empfundenes und nicht unberechtigtes Bedürfnis, das in ihm selbst liegende Ewige und Göttliche objektiv aus sich heraus zusetzen und als eine ihm gegenüberstehende Persönlichkeit anzuschauen, zu der er reden, die er verehren, der er sich unterwerfen kann; und diesem aus der Schwäche der menschlichen Natur entspringenden Bedürfnis kommt die Bhagavadgita durch die theistische Wendung entgegen, welche sie der von Haus aus pantheistischen Atmanlehre gibt, indem sie das Brahman, den Atman, das Prinzip aller Dinge, verkörpert darstellt in Krishna, welcher eine Inkarnation des Allgottes Vishnu ist und als Wagenlenker des Arjuna diesen zum Kampfe anfeuert auf Grund der Belehrungen, welche er ihm im Verlaufe der ganzen Dichtung zuteil werden lässt.

Diese großen Vorzüge der Bhagavadgita lassen hinwegsehen über die nicht weniger großen Schwächen, welche dem Gedichte als philosophischem Werke anhaften. Es ist kein eigentlicher Philosoph, der hier zu uns redet, sondern ein Dichter, welcher überkommene, hohe und edle Gedanken in seiner Weise sich zurechtgelegt hat und ausspricht, unter häufiger Wiederholung des Nämlichen, ohne logische Ordnung und ohne strenge Bestimmung der Begriffe. Dazu kommt, dass dieser Dichter in einer Übergangszeit lebt, in welcher der reine Idealismus der ältesten Upanishade schon stark durch das Überwuchern realistischer Neigungen getrübt ist, wie sie schließlich zum Sankhyasysteme sich kristallisierten, dessen Grundbegriffe wir hier schon überall hervortreten sehen. Die Grundanschauung ist die alte Upanishadlehre geblieben, nach welcher der Atman die einzige Realität, die Welt eine bloße Illusion, eine Maya ist (vgl. S. 53, 14), aber diese Maya hat sich für die Zeit und den Standpunkt unseres Dichters schon zu einer sehr konkreten Urmaterie, der Prakriti, verdichtet, von welcher sich loszusagen nunmehr als die höchste Aufgabe erscheint. Das fortwährende Hineinspielen von Sankhyabegriffen einerseits und des populären Theismus andererseits in die als Grundlage fortbestehende idealistische Upanishadlehre gibt dem ganzen Gedichte sein mehr das religiöse Bedürfnis als die philosophischen Anforderungen befriedigendes Gepräge.

Näher betrachtet zerlegen sich die achtzehn Gesänge in drei deutlich unterschiedene Teile, einen ethischen (I-VI), einen metaphysischen (VII-XII) und einen psychologischen (XIII-XVIII). Der ethische Teil stellt als höchste Aufgabe des Menschen das selbstlose Handeln auf, der metaphysische zeigt, dass ein solches Handeln die Einswerdung mit Gott zum letzten Ziele hat, und der psychologische Teil schildert in der Prakriti die hemmenden Kräfte, welche überwunden werden müssen, um dieses Ziel zu erreichen. Sonach fehlt es dem Gedichte bei aller Verschiedenheit der in ihm verarbeiteten Motive doch nicht an einem einheitlichen Grundgedanken. Wir wollen versuchen, aus der bunten Mannigfaltigkeit der hier ineinander verflochtenen Betrachtungen die wesentlichsten Gedanken hervorzuheben.

Der ethische Teil (I-IV)

Die verwandten Fürstengeschlechter der Kurus und Pandavas, deren bis zur gegenseitigen Vernichtung geführter Kampf das Grundgewebe der ganzen Mahabaratadichtung bildet, stehen im sechsten Buche des Gesamtwerkes, dem die Bhagavadgita eingeflochten ist, zum Kampfe gerüstet mit ihren Heeren einander gegenüber. Die Muscheln auf beiden Seiten werden zum Angriffe geblasen, Pauken und Trommeln werden gerührt, und Arjuna, der Hauptheld unter den Pandusöhnen, stürmt auf seinem von Krishna gelenkten Streitwagen zum Angriffe vor. Da sieht er in der gegenüberstehenden Schlachtordnung seine Verwandten, seine ehemaligen Freunde und Waffengenossen; Verzagtheit überkommt ihn, er sinkt auf dem Sitze seines Wagens nieder, lässt Pfeil und Bogen fallen und erklärt, dass er nicht imstande sei, gegen seine Freunde und Verwandten zu kämpfen. Da ergreift sein Wagenlenker Krishna das Wort, welcher eine der zehn Menschwerdungen (Avatara) des Vishnu, wie dieser wieder eine populäre Personifikation des Brahman oder Atman ist, und belehrt ihn im Verlaufe des ganzen Gedichtes darüber, dass es seine Pflicht sei, zu kämpfen. Leben und Tod, so sagt er, sind nur vorübergehende, bedeutungslose Zustände, welche unser wahres und ewiges Selbst, unseren Atman, nicht berühren. Gleichwie ein Mann die alten Kleider ablegt und andere, neue anzieht, so legt der Atman, die Seele, die Leiber ab und geht auf dem Wege der Seelenwanderung (Samsara) in andere und immer wieder andere Leiber ein.

Jede der vier von Brahman als Weltschöpfer eingesetzten Kasten hat ihre besondere Aufgabe zugewiesen erhalten, und die Pflicht der Kriegerkaste, zu welcher Arjuna gehört, ist es, zu kämpfen. Dies ist, wie es S. 15, 39 heilst, der Standpunkt des Sankhyam, der berechnenden Überlegung, und ihm stellt der Heilige in der folgenden Erörterung den Yoga, den Standpunkt der Hingebung, gegenüber, wobei die Begriffe Sankhyam und Yoga hier wie weiterhin in ihrer ursprünglichen Bedeutung und noch nicht im Sinne der späteren, diese Namen tragenden philosophischen Systeme gebraucht werden. Die Eingebung an das Werk, der Yoga, besteht aber darin, wie das folgende entwickelt und immer wieder aufs Neue einschärft, dass man seine Pflicht tut nicht aus Hoffnung auf Lohn oder Furcht vor Strafe, sondern ohne Verlangen nach einer Frucht der Werke, ohne Anhänglichkeit (Sanga) an das Leben und seine Genüsse; S. 24, 19: "Darum betreibe allezeit die obliegende Pflicht ohne Anhänglichkeit; denn wer ohne Anhänglichkeit seine Pflicht erfüllt, der Mann erlangt das Höchste." Dieses Höchste aber besteht in der Abstreifung alles dessen, was als Natur (Prakriti) uns anhängt und unserem wahren Wesen, unserem Atman (Selbst) oder Purusha (Geist) fremd ist. Dies ist die Erkenntnis, welche den Weisen von dem Unweisen unterscheidet, und aus welcher die Erfüllung der Pflicht ohne Anhänglichkeit an den Lohn der Werke entspringt. Wer diese Erkenntnis besitzt, der schaut sein eigenes Selbst in allen Wesen und alle Wesen in dem eigenen Selbste (S. 47, 29), der schaut, wie der unmittelbar darauffolgende Vers sagt, den Allgott, welcher als Krishna diese Belehrung erteilt, in allen Wesen, fühlt sich eins mit diesem Allgott, ist ihm in Liebe und Verehrung zugetan und wird, "durch mannigfache Geburten geläutert, endlich den höchsten Weg gehen".

Der metaphysische Teil (VII-XII)

Die zuletzt erwähnten Stellen zeigen, wie schroff und unvermittelt in unserem Gedichte der Pantheismus der alten Upanishaden und der aus ihm hervorgegangene Theismus nebeneinander stehen. Die Anschauungen unseres Dichters wie die seiner ganzen Zeit ruhen zunächst auf dem festen Grunde des aus den Upanishaden überkommenen Idealismus, nach welchem der Atman in uns die alleinige Realität, die ganze vielheitliche Welt aber eine bloße Maya (Illusion) ist. Dieser Idealismus, welcher am reinsten in den Namen des Yajnavalkya tragenden Texten der Brihadaranyaka-Upanishad vorliegt, musste weiterhin schon auf dem Boden der alten Upanishaden dem Realismus die Konzession machen, dass die vielheitliche Welt zwar existiert, dass aber diese ganze vielheitliche Welt in Wahrheit nur der Atman ist. Aber diese Identität des einen Atman und der vielen Dinge, so oft sie auch, namentlich in der Chandogya-Upanishad, behauptet wird, war und blieb doch unverständlich, und so ersetzte man diese nicht zu verstehende Identität durch die als populäre Vorstellung von alters her bestehende Kausalität und erklärte den Atman für die Ursache, die Welt für die aus ihm hervorgegangene Wirkung. Ein weiterer Schritt führte dazu, den Atman in uns als die individuelle Seele (Jivatman) von dem weltschaffenden Atman als dem höchsten Atman(Paramatman) zu unterscheiden, wodurch dann der ursprüngliche Pantheismus in den Theismus umschlug, wie ihn unser Gedicht in der Weise vertritt, dass (wie in einem Codex palimpsestus) alle jene früheren Entwicklungsstadien noch in ihm durchschimmern. Der aus Krishna redende Allgott erklärt sich für Anfang, Mitte und Ende aller Wesen; er hat alle Erscheinungen der Welt aus sich herausgesetzt, trägt und erhält sie, ohne doch in ihnen aufzugehen: "Ich trage die Wesen und bin doch nicht in den Wesen befasst, mein Selbst ist der Bildner der Wesen", wie es S. 62, 5 heißt. Und wie er die Welt aus sich herausgesetzt hat, so schlingt er sie am Ende einer Weltperiode (Kalpa) wieder in sich herein; wie Wasserströme in den Ozean, wie Mücken in das flammende Feuer, so stürzen alle Wesen in seinen zähneklaffenden, furchtbaren Rachen (S. 79, 27 fg.); er ist der Weltschöpfer und der Weltvernichter, aber immer wieder entstehen auf dem Wege der Seelenwanderung die Wesen aufs neue, bis sie endlich vom Samsara erlöst in das Urwesen eingehen und in ihm zur Ruhe kommen.

Zwei Wege sind es, welche, wie S. 86, 2 fg. gelehrt wird, zu diesem höchsten Ziele führen; der eine besteht darin, dass man in der Weise der alten Upanishadlehre sich selbst in allen Wesen und alle Wesen in sich selbst sieht, sich als den ewigen Atman weiß und durch diese Erkenntnis zur Erlösung eingeht. Aber dieser Weg ist für die Menschen schwer zu erlangen. Leichter und sicherer wird dasselbe Ziel erreicht, wenn man im Glauben an den persönlichen Gott und im Vertrauen auf seine Hilfe mit allem Denken und Tun ihm allein sich hingibt: "Die, welche alle ihre Werke auf mich werfen, mich für das Höchste erachten, mich mit einer auf nichts anderes gerichteten Hingebung meditieren, verehren, für diese, die ihren Geist in mich versenken, werde ich, Sohn der Pritha, alsbald zum Erretter aus dem Ozean des Todes und der Seelenwanderung" (S. 87, 5-7). Die, welche "in Verehrung mir anhängen, die sind in mir und ich bin in ihnen", wie es S. 66, 29 (in ähnlicher Wendung wie Ev. Joh. 14, 20) heißt. Wer so steht, der weiß sich selbst in Gott und Gott in allen Wesen, und so wird er alle Wesen lieben, wie sich selbst: "Wer in allen Wesen den höchsten Gott wohnen sieht, der nicht vergeht, wenn sie vergehen, wer den sieht, der ist wahrhaft sehend; denn indem er allerwärts denselben Gott wohnen sieht, wird er nicht sich selbst durch sich selbst verletzen wollen, und so geht er den höchsten Weg" (S. 94, 27-28).

Soweit das Gedicht sich in den bisher zusammengefassten Gedanken bewegt, vertritt es in lebendiger, poetischer Reproduktion die Atmanlehre der alten Upanishaden, nur dass der Atman, welcher voll und ganz in den Tiefen unseres eigenen Innern zu finden ist, behufs lebendigerer Erfassung vorgestellt wird als ein außer uns bestehender, persönlicher Gott, in der Hingabe an welchen mit allem unseren Tun und Denken wir die höchste Seligkeit finden.

Aber die realistischen Neigungen, welche jedem Menschen von Natur innewohnen, und auf denen auch im Grunde der Theismus beruht, haben in dem Zeitalter, welchem unser Gedicht verdankt wird, noch nach einer anderen Seite hin zu einer wesentlichen Modifikation der alten Vedantalehre geführt. Nach ihr war der eine ewige Atman das allein Reale, und die ganze Welt der Vielheit und des Werdens wurde für eine bloße Maya, eine trügerische Sinnestäuschung, erklärt. Aber diese Maya, dieses bloße Nichtseiende, verdichtete sich allmählich zu einer konkreten, empirische Formen annehmenden Realität, der Prakriti; der "aus den drei Gunas bestehenden Maya," (gunamayi maya, wie es S. 53, 14 heißt), welche einerseits, der ursprünglichen Anschauung entsprechend, vom Atman abhängig ist, andererseits aber als eine selbständige Wesenheit sich vom Atman abgelöst hat, welcher ihr nunmehr als der Purusha, der Geist, das Subjekt des Erkennens, gegenübertritt. Diese zweideutige Stellung der Prakriti als einer vom Purusha abhängigen und doch wieder ihm selbständig gegenüberstehenden Wesenheit ist für den Standpunkt unseres Gedichtes charakteristisch, und tritt uns als ein nicht ausgeglichener Widerspruch überall aus demselben entgegen. So werden S. 51, 4 Elemente und psychische Organe, wie sie im späteren Sankhyam die Evolutionen der Prakriti bilden, von dem Gotte für seine eigene, achtfach gespaltene Natur erklärt, und ebenso heilst es S. 52, 12: "Alle sattva-artigen Zustände, alle rajas-artigen und alle tamas-artigen stammen aus mir, das sollst du wissen"; S. 62, 4: "Von mir in der Gestalt des Unentfalteten ist diese ganze Welt ausgebreitet worden"; und so stammt in diesem Sinne auch alles Böse aus Gott (vgl. z. B. S. 64, 12; 68, 5). Hingegen wird S. 39, 14-15 erklärt, dass die Werke, böse wie gute, aus der eigenen Natur der Geschöpfe entspringen und nicht durch den Herrn der Welt gewirkt werden, und dass Gott im Gegensatze zur Prakriti, welche nur seine niedere Natur bilde, noch eine andere, höhere Natur besitze, welche allem Unvollkommenen als das Vollkommene gegenüberstehe. In diesem Sinne ist er, wie S. 52, 8 fg. weiter ausgeführt wird, das Beste in allem, der Verstand der Verständigen, die Stärke der Starken; S. 74, 41: "Alles was mächtig und gut, alles was schön und kraftvoll ist, das alles, sollst du wissen, entsteht als ein Teil aus meiner Kraft." So steht schon hier der Prakriti als der niederen Natur Gottes seine höhere Natur als der Purusha gegenüber; S. 59, 22: "Das ist, 0 Prithssohn, jener höchste Purusha, der durch eine nur ihm zugewandte Verehrung ergriffen wird, der alle Wesen in sich befaßt und durch den dieses ganze Weltall ausgebreitet ist."

So sehen wir, wie in unserem Gedichte die alte Upanishadlehre von der alleinigen Realität des Atman, neben welchem alles andere ein bloßes Scheinwesen, Maya, war, auf dem Wege ist, in einen Dualismus überzugehen, in welchem die Maya als Prakriti zu einer vom Atman unabhängigen und doch auch wieder abhängigen Stellung gelangt ist, während ihr der Atman als Purusha gegenübersteht und sie doch auch wieder in sich befafst. Beide Begriffe, Purusha und Prakriti, sind noch nicht, was sie im späteren Sankhyasystem geworden sind, aber sie sind auf dem Wege, es zu werden. Wir können daher der Ansicht derer nicht beipflichten, welche in der Bhagavadgita eine Mischphilosophie, sei es einen durch Sankhyaelemente modifizierten Vedanta, sei es ein mit Vedantagedanken durchsetztes Sankhyam sehen, und bleiben, ohne dem auf diese Untersuchungen verwendeten Scharfsinn unsere Anerkennung zu versagen, doch bei unserer schon früher ausgesprochenen Ansicht, dass die Bhagavadgita, wie auch die übrigen philosophischen Texte des Mahabharatam, Denkmäler nicht einer Mischphilosophie, sondern einer Übergangsphilosophie sind, eines Vedänta, welcher durch die mehr und mehr sich geltend machenden und aus der Anlage der menschlichen Natur begreiflichen realistischen Tendenzen in einer Entwicklung begriffen ist, welche schließlieh zu dem zur Zeit der Entstehung unserer Dichtung noch gar nicht vorhandenen Sankhyasysteme überleitete.

Der psychologische Teil (XIII-XVIII)

Hatte der erste Teil unseres Gedichtes die Hingebung (Yoga) an das interessenlose Handeln als höchste Aufgabe hingestellt, und der zweite in diesem interessenlosen Handeln eine Hingebung an Gott und eine Einswerdung mit ihm gesehen, so handelt der dritte und letzte Teil des Werkes von den Hindernissen, welche der Erfüllung dieser Aufgabe entgegenstehen, und diese Hindernisse lassen sich zusammenfassen in dem Namen der Prakriti, oder der drei Gunas (Sattva, Rajas, Tamas), aus welchen sie besteht. So erscheint als Grundgedanke dieses letzten Teiles die Forderung, dass wir uns von der Prakriti und den drei Gunas, welche ihr Wesen ausmachen, lossagen. Diese Lossagung erfolgt durch die Erkenntnis, dass unser göttliches Wesen, unser Purusha, von der Prakriti und allen ihren Evolutionen verschieden ist. Hier tritt die das ganze Gedicht durchziehende Inkonzinnität besonders grell zutage; denn nachdem im Anschluss an die alte Vedantalehre wiederholt versichert wurde, dass diese Welt mit allem ihrem Inhalte nur eine Ausbreitung des Atman ist, so wird nunmehr der Purusha (das Subjekt des Erkennens) als die höhere Natur des Atman behandelt, und diesem die Prakriti als gleich ewig (S. 93, 19) gegenübergestellt. Dieser Umstand zeigt deutlicher als irgendein anderer, dass unser Gedicht in der Mitte steht zwischen der alten Atmanlehre und der Sankhyatheorie mit ihren beiden von Grund aus verschiedenen Prinzipien, dem Purusha und der Prakriti. Auf der Erkenntnis ihrer Verschiedenheit beruht, wie S. 105, 1 fg. entwickelt wird, die göttliche Lebensführung, welche zur Erlösung, auf dem Nichtwissen dieser Verschiedenheit beruht die dämonische Lebensweise, welche zur fortgesetzten Bindung in den Fesseln des Samsara führt. Der weitere Inhalt dieses Teils besteht in einer Zurückfuhrung der ethischen Verhältnisse des Lebens auf die drei Gunas der Prakriti, von denen das Sattvam dem Göttlichen am nächsten, das Tamas am fernsten steht, während das, Rajas zwischen beiden die Mitte hält. Alle Dinge der Welt als Evolutionen der Prakriti sind eine Durchdringung dieser drei Faktoren (wie man Guna am besten übersetzt), wobei Sattva dasjenige an den Dingen ist, was erfreut, Rajas dasjenige, das verdrießt und daher zum Handeln antreibt, Tamas dasjenige, was weder erfreut noch verdrießt, mithin gleichgültig ist und zu Trägheit, Stagnation und Stumpfsinn führt. Wenn ein Gegenstand den einen erfreut, den andern verdrießt, so beruht dies darauf, dass er jenem seine sattvamartige, diesem eine rajasartige Seite zukehrt. Des weiteren werden nicht nur allerlei ethische Verhältnisse in ermüdender Aufzählung aus den drei Gunas abgeleitet, sondern eben diese bedingen ein dreifach verschiedenes Verhalten in Bezug auf Glaube, Nahrung, Opfer, Askese, Geben und Entsagung, auf Erkenntnis, Werk und Täter, auf Buddhi, Festigkeit und Lust. Wenn diese Ausführungen in ihrer Nüchternheit gegen die ethische Tiefe des ersten und die schwungvollen Betrachtungen des zweiten Teils für unser Gefühl erheblich abstechen, so müssen wir hier den nationalen Neigungen Rechnung tragen; sind doch für uns auch im Ajax des Sophokles der auf den Tod des Helden folgende gerichtliche Streit um seine Leiche, oder im Phaedrus des Platon die an die wundervolle Rede des Sokrates sich anschließende weitläufige Diskussion über die Berechtigung der Beredsamkeit wenig ansprechende Zugaben, während der Grieche sie ohne Zweifel mit großem Interesse verfolgte. Ebenso sind die systematisierenden Aufzählungen im letzten Teile der Bhagavadgita aus der Neigung des indischen Geistes zu doktrinären Erörterungen zu begreifen, während sie für uns den bei allen Unstimmigkeiten, die das Gedicht enthält, immerhin großen Eindruck der beiden ersten Teile abschwächen.

Literatur

  • Sri Aurobindo: Bhagavadgita. Gladenbach: Hinder + Deelmann (1988). ISBN 3-87348-127-8
  • Michael von Brück: Bhagavad Gita: Der Gesang des Erhabenen. Leipzig: Verlag der Weltreligionen (2007). ISBN 3-458-70002-9
  • Klaus Mylius: Die Bhagavadgita. München: dtv 12455 (1997). ISBN 3-423-12455-5
  • Swami Sivananda: Shrimad Bhagavad Gita. Lautersheim: Mangalam Books (2008); ISBN 3-922477-06-8
  • Jack Hawley: Bhagavadgita: das heilige Buch des Hinduismus; eine zeitgemäße Version für westliche Leser. Goldmann-Arkana 2002; ISBN 3-442-21607-9
  • Paul Deussen: "Der Gesang des Heiligen. Eine philosophische Episode des Mahabharatam". Übersetzung der Bhagavadgita. Leipzig. F.a. Brockhaus. 1911.

Weblink

Siehe auch