Selbstbefragung

Aus Yogawiki
Swami Sivananda: Selbstverwirklichter Meister

Selbstbefragung - oder Selbsterforschung ist ein entscheidendes Sadhana im Vedanta. Es bedeutet die tiefe Ergründung der ewigen Fragen: Wer bin ich? Woher komme ich? Was ist wirklich? Was ist wahres Glück? Gibt es eine höhere Wirklichkeit und wenn ja, wie kann ich sie erreichen?

Selbstbefragung kann auch heißen, sich seiner Motive klar zu werden auch im Sinne von Selbststudium aus dem Raja Yoga. Aber mit Selbstbefragung willst du tiefer gehen als nur Ergründung der Persönlichkeit, der Motive, der eigenen Themen, Neurosen, Traumata, Handlungstendenzen, Denkmuster und so weiter. Letztlich geht es darum, über das was beobachtbar hinaus zu gehen, denn das Wahre Selbst, der wahre Atman, ist jenseits allem Relativen.

Swami Sivananda hat Vedanta und Jnana Yoga gerne zusammengefasst: Frag „wer bin ich“, erkenn dein Selbst und sei frei. Auch der Weise Ramana Maharshi hat gesagt: Wann immer du meinst, in Problemen zu sein, frage dich: Wer bin ich? Wer ist es, der sich dieser scheinbaren Probleme bewusst ist?

Viveka Chudamani - Durch Selbstbefragung erreichst Du die Selbstverwirklichung

Frag: Wer bin ich? Erkenn dein Selbst und sei frei

- Kommentar zum Viveka Chudamani Vers 11 von Sukadev Bretz -

„Handlungen helfen, um den Geist zu reinigen, führen aber nicht zur Erkenntnis der Wahrheit. Die Wahrheit erschließt sich durch kritische Selbstbefragung und nicht im Geringsten durch Millionen von Handlungen.“

Methoden um zur Befreiung zu kommen

Vers 11 ist einer der entscheidenden Verse von Shankaracharya und behandelt die Fragen: „Wie kommst du zur Befreiung?“ und „Wie kommst du zur Selbsterkenntnis?“ Die gleiche Frage stellen sich auch verschiedene Theologen: „Wie erreicht man die Erlösung?“ Im ganzheitlichen Yoga sagen wir, dass es verschiedene Methoden zur Befreiung gibt.

Bhakti - die bedingungslose Gottesliebe

Eine davon ist Bhakti, die bedingungslose Gottesliebe. Bhakti Yoga, das Yoga der Hingabe, behandelt auch die Frage, wie man die Gottverwirklichung erreicht. Mit Bhakti erfährst du Gott direkt und verwirklichst die Gnade Gottes. Gott ist nicht parteiisch. Gott schenkt dir immer die Gnade. Und indem du dich um Praktiken bemühst, die deine Hingabe fördern, erreichst du die Gottverwirklichung.

Bhakti Yoga umfasst in diesem Sinne Praktiken wie das Gebet, Erinnern an Gott, Staunen über die Großartigkeit von Gottes Schöpfung, Singen von Mantras und spiritueller Lieder, Rituale wie das Arati, die Puja und die Homa.

Wozu machen wir diese Praktiken?

Wir praktizieren Bhakti nicht, weil Gott es braucht oder um uns Gott gewogen zu stimmen. Sondern die Praktiken helfen, unser Herz zu öffnen und Liebe zu erfahren.

Raja Yoga - Herrschaft über den Geist

Die zweite Möglichkeit Befreiung zu erlangen ist Raja Yoga. Im Raja Yoga geht es darum, den Geist zur Ruhe zu bringen. Wenn der Geist zur Ruhe gekommen ist und du volle Achtsamkeit hast, dann erfährst du deine wahre Natur.

Dazu dienen bestimmte Praktiken. Du meditierst nicht, weil du durch die Meditation einen Verdienst erlangst und führst kein ethisches Leben, nur um gutes Karma zu erzeugen. Sondern du entscheidest dich dafür, um den Geist zur Ruhe zu bringen. Denn alles, was dir hilft den Geist zur Ruhe zu bringen, hilft dir auf dem Weg zur Befreiung.

Karma Yoga - Transzendenz des Egos

Im Karma Yoga geht es um die Transzendenz des Egos. Solange du dich nur um dich selbst kümmerst und fragst, was du willst, wirst du nicht zur Befreiung kommen.

Karma Yoga sagt: Strebe nach Befreiung. Wie strebst du nach Befreiung? – Indem du anderen hilfst und dienst. Aber das Helfen und Dienen alleine wird dich nicht zur Befreiung führen. Es reicht nicht aus anderen Gutes zu tun, das macht auch jeder Sozialarbeiter, Arzt, Psychotherapeut, Psychologe, Lehrer und jede Krankenschwester. Es ist wichtig, dass es solche Menschen gibt. Aber zur Befreiung kommst du nicht bloß dadurch, indem du etwas Gutes für andere tust. Es geht mehr um die Einstellung, dass du das was du tust mit Liebe und Hingabe machst, als Instrument in den Händen Gottes. Gestalte es so, dass du dich durch uneigennütziges Dienen eins fühlst mit den Menschen, denen du Dienst und eins mit der ganzen Schöpfung.

Kundalini Yoga - Kraft der Shakti

Auch im Kundalini Yoga gibt es ein Konzept, wie du zur Befreiung kommst. Hier kommst du zur Befreiung, in dem die Kundalini erwacht. Wenn die Kundalini erwacht, führe sie nach oben, zu den höheren Chakras. Sobald die Kundalini im Sahasrara Chakra ankommt, erreichst du die Gottverwirklichung. Die Praktiken des Kundalini Yoga sind sehr hilfreich, aber ein mechanisches Ausführen der Praktiken reicht nicht aus. Übe die Praktiken mit Intensität, mit dem Herzen und mit Konzentration.

Jnana Yoga - Selbstbefragung

Ramana Maharshi: Selbstbefragung ist der direkteste Weg zur Befreiung

Dies gilt auch im Viveka Chudamani, im Jnana Yoga. Auch Jnana Yoga führt dich zur Befreiung. Wie führt Jnana Yoga zur Befreiung? Indem du dich fragst:

Aber auch im Jnana Yoga könntest du mechanische Dinge tun, zum Beispiel alle Sanskritwörter kennen, die Schriften zitieren, die ganzen Vedanta Konzepte lernen und daraus eine Art Philosophie und Theologie machen. Das ist aber nur zweitrangig. Es kann dich zwar reinigen, was dich aber tatsächlich zur Verwirklichung führt, ist die Sehnsucht nach Befreiung und die intensive Selbsterforschung. Shankaracharya spricht in der Viveka Chudamani über Jnana Yoga und lobt daher Jnana Yoga über alles. Alles andere sei nur eine Reinigung, Vorbereitung.

Aber das muss man nicht genau so verstehen. Meine Interpretation ist: „Mache, was du immer auf dem spirituellen Weg machst, mit dem Bewusstsein der Bedeutung. Mache es nicht mechanisch. Mache es nicht nur halbherzig. Sondern sei dir bewusst, warum du es machst und wie du es machen kannst, so dass es dich zur Befreiung führt.“

Wenn du beispielsweise meditierst, meditiere mit Intensität. Wenn du ein Mantra singst, ein Gebet sprichst, dann singe und spreche es mit Intensität, von ganzem Herzen. Wenn du anderen dienst, diene ihnen wirklich. Mach nicht nur gute Handlungen, sondern mache sie mit dem Wunsch, anderen zu helfen. Siehe den anderen als dein eigenes Selbst an. Öffne Dich. Transzendiere die Grenzen deines Egos.

Wenn du zum Beispiel in diesem Moment die Viveka Chudamani studierst, mache es mit Intensität und dem Wunsch wirklich etwas zu lernen und zu erkennen.

Viveka Chudamani - Richtige Befragung führt zur Überwindung aller Täuschungen

Nur der Getäuschte sieht die Schlange im Seil

- Kommentar zum Viveka Chudamani Vers 12 von Sukadev Bretz -

„Richtiges Befragen und Überprüfen über ein Seil, hilft die Illusion zu zerstören, es sei eine furchterregende Schlange.“

Analogie für richtiges Verständnis

Shankaracharya wählt hier eine sehr alte und klassische Analogie, eine sogenannte Nyaya Analogie. Um manches im Vedanta besser zu verstehen, ist es gut auf Analogien zurückzugreifen. Im vorherigen Vers sagte er, dass nicht die Handlungen sondern die rechte Erkenntnis zur Befreiung führen.

Angenommen du bist abends in Indien im Dschungel und siehst plötzlich eine Schlange. Du hast Angst vor der Schlange und du traust dich nicht weiterzugehen. Wie wirst du diese Angst jetzt überwinden? Die Angst überwindest du nicht durch die Praxis von Kapalabhati oder die tiefe Bauchatmung. Vollständige Überwindung bekommst du auch nicht, indem du zu Gott betest oder versuchst deinen Geist zur Ruhe zu bringen.

Angst verschwindet mit der Erkenntnis

Du bezwingst die Angst vor der Schlange, indem du erkennst, dass dort keine Schlange ist, sondern ein Seil. In dem Moment, wo du weißt, dass dort keine Schlange sondern ein Seil ist, verschwindet deine Angst vollständig.

In diesem Sinne sind alle Probleme, alle Ängste verschwunden, wenn du erkennst, wer du wirklich bist. Somit ist dies eine wunderschöne Analogie. Bemühe dich daher, zu erkennen, wer du wirklich bist. Wenn du erkennst, wer du bist, was die Welt ist, was alle anderen sind, dann verschwindet die Angst.

Frage dich „Wer bin ich?“, erkenne dein Selbst und sei frei. Dies ist der große Appell, welchen Swami Sivananda in der Tradition von Shankaracharya verkündet.

Überlege in diesem Sinne, ob du vielleicht schon erfahren hast, wie die rechte Erkenntnis von etwas dazu geführt hat, dass plötzlich alles anders ist. Manchmal reicht eine Erkenntnis aus und anschließend ist alles anders. Genauso ist das Konzept des Jnana Yoga in der Vedanta Tradition. Also Frage dich „Wer bin ich?“, erkenne dein Selbst und sei frei.

Wenn du ein Mantra nur mechanisch wiederholst, wirst du diese Freiheit nicht erlangen. Entweder die Erkenntnis oder die Bewusstseinsveränderung, Bewusstseinserweiterung, führt dich zur Befreiung. Alles andere sind Hilfspraktiken.

Siehe auch

Literatur

Seminare

Vedanta

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