Konflikt

Aus Yogawiki

Konflikt - überwinden - wie geht das? Konflikt ist die Bezeichnung für Unverträglichkeit, Streitigkeit. Konflikt kann ein Streit, eine Auseinandersetzung zwischen Gegnern sein. Auch ein Krieg wird manchmal beschönigend als Konflikt bezeichnet. Konflikt kann allgemein eine schwierige Situation infolge des Aufeinanderprallens verschiedener Interessen unterschiedlicher Gruppen sein.

Liebe hilft beim Umgang mit Konflikt

So gibt es Konfliktherde. Man kann sich in einer Konfliktsituation befinden. Konflikt ist auch ein innerer Widerstreit, ein innerer Zwiespalt. Man kann sich in einem inneren Konflikt befinden, z.B. wenn zwei ethische Prinzipien sich widersprechen. Interessen können miteinander in Konflikt stehen. Und man kann mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Ganz konfliktfrei lebt kaum jemand - aber manches ist auch nicht so konfliktgeladen, wie es zunächst erscheint. Das Wort Konflikt kommt aus dem lateinischen conflictus, Kampf, feindlicher Zusammenstoß. Conflictus kommt vom Verb confligere, zusammenschlagen, zusammenstoßen, in Kampf geraten.

Umgang mit Konflikten in deiner Umgebung

Aus einem Vortrag von Sukadev Bretz

Vielleicht gibt es in deiner Umgebung viele Konflikte. Deine Kollegen streiten sich oder deine Nachbarn streiten sich. So viele Konflikte. Und eigentlich hättest du es gerne ruhig. Eigentlich willst du Frieden, Freude, Tofukuchen. Aber sei dir gewiss, dass Konflikte zum Menschsein dazugehören. Die menschliche Gesellschaft ist eben kein Ameisenhaufen, wo jeder weiß, was zu tun ist und es deshalb harmonisch funktioniert. Der Mensch überlegt ständig, was seine Aufgabe ist, was er besser machen kann. Das macht die Kreativität und Dynamik der menschlichen Gesellschaft aus. Konflikte sind dort normal.

Das Beste ist also, zu erkennen: Eine gute kreative Gesellschaft hat Konflikte. Wenn du mal ein Heiliger bist, dann macht es dir nichts mehr aus. Dann spürst du tief im Inneren Verbundenheit mit allen, egal wie die Menschen im Inneren sind. Bis dahin öffne weiterhin dein Herz und versuche dich mit allen Menschen innerlich zu verbinden. Manchmal wenn du friedvoll bist, dann werden auch Konflikte in deiner Umgebung weniger werden. Manchmal.

Menschen haben Konflikte

Zum einen gibt es den Wunsch, sich durchzusetzen, zum anderen den Wunsch, freundlich zu sein. Zum einen gibt es den Wunsch loszulassen, zum anderen gibt es den Wunsch, Dinge zu tun. Zum einen gibt es den Wunsch, dem Kind alles zu erfüllen, was es will. Zum anderen gibt es den Wunsch, dass das Kind in der Schule gute Noten hat. Zum einen will man, dass das Kind glücklich ist. Zum anderen will man aber, dass das Kind nicht durch zu viel Schokolade in Probleme kommt. Das ist der Alltag des Elterndaseins. Ein Beispiel: Du besitzt einen Hund. Du besitzt Verständnis dafür, dass der Hund auch mal wegrennen und sich austoben will. Zum anderen soll der Hund aber auch hören.

Wie löst man dieses Problem? Es ist nicht lösbar. Es ist nur auflösbar, indem man erkennt, dass menschliches Leben egal auf welcher Ebene, voller Konflikte ist. Die physische Welt ist in der Dualität und da können wir probieren etwas harmonischer zu leben. Aber nicht unter der Vorstellung, dass wir dauerhaft harmonisch sind. Psychische Konflikte gehören zum Leben und für die meisten Menschen gehört auch Krankheit zum Leben. Das gilt auch, dass wir das anerkennen.

Viveka Chudamani - Umgang mit Konflikten auf Vedantaart

Körper und Psyche streiten - nicht weiter tragisch

- Kommentar zum Viveka Chudamani Vers 288 von Sukadev Bretz -

„Löse das begrenzte Ich – durch ununterbrochene Meditation über deine wahre Identität – auf und verschmelze mit dem Höchsten Selbst, wie der in einem Glas eingeschlossene Raum sich mit dem unendlichen Raum verschmilzt, wenn das Glas zerbricht. Verharre stets in der Stille / in dem Frieden des Selbst, oh Weiser!“

Der Körper ist nur ein Gefäß

So rät uns Shankara, was wir machen können. Dieser Körper ist nur ein Gefäß. In diesem Körper ist das Selbst, außerhalb des Körpers ist das Selbst. Wenn du ein Gefäß hast, dann gibt es einen Raum innerhalb des Gefäßes und einen Raum außerhalb des Gefäßes. Aber in Wahrheit ist der Raum innerhalb des Gefäßes mit dem Raum außerhalb des Gefäßes eins. So ähnlich ist in diesem Körper und dieser Psyche das unsterbliche Selbst. Das ist deine wahre Natur.

Streit betrifft Körper und Psyche

Angenommen du hast Streitigkeiten mit jemanden. Wer hat Streitigkeiten? Du bist das unsterbliche Selbst. Du bist der Atman, du bist das unsterbliche Selbst. Du bist unendlich und nicht begrenzt auf diesen Körper. Welche Bedeutung hat ein Streit? Ein Gefäß kämpft mit einem anderen. Ein Körper streitet mit einem anderen. Das ist so ähnlich, wie wenn zwei Blätter eines Baumes miteinander streiten. In beiden Blättern ist der gleiche Baum. Es gibt keinen Grund sich dort zu streiten. Daher erkenne, dass du das unsterbliche Selbst bist und wenn es eine kleine Auseinandersetzung gegeben hat, wie es vielleicht karmisch angemessen ist, du um die richtige Sache gerungen hast, dann ist das etwas, was Körper und Psyche betrifft.

Du bist das unsterbliche Selbst

Du bist das unsterbliche Selbst, der Atman, ohne Grenzen. Daher wenn du dich mal mit jemanden nicht so gut verstehst, du dich streitest, dann verlasse die Identifikation mit Körper und Psyche. Dehne deine Bewusstheit aus. Du bist auch in dem, mit dem du Streit hast. Du bist auch in den Mitbeteiligten. Du bist auch in denen, die nicht mit dem Streit beteiligt sind. Du bist das unsterbliche Selbst. Erkenne das. Du bist nicht nur in diesem Körper, sondern auch außerhalb des Körpers. Überwinde die Begrenzung des Körpers und erfahre dich als unsterbliches Selbst. Dann spielt Streit keine Rolle mehr.

Auflösung innerer Konflikte

Löse die inneren Probleme

- Abschnitt aus dem Buch: Yoga der drei Energien von James Swartz -

Die meisten von uns sind sich ihres chaotischen, widersprüchlichen Geistes bewusst und möchten ihre Probleme lösen. Weil wir aber nach weltlichen Zielen streben, wie Sicherheit, Vergnügen, Anerkennung, Macht etc., legen wir nicht genug Wert auf den Geistesfrieden, um diesen ernsthaft anzustreben. Wenn es außer einem Lippenbekenntnis keine echte Wertschätzung dafür gibt, die drei Glieder des feinstofflichen Körpers (Geist, Intellekt und Ego) in ein harmonisches Ganzes zu integrieren, ist eine Erforschung des Selbst nicht möglich.

Konflikt in Beziehung zu anderen Persönlichkeitsmerkmalen

Konflikt gehört zur Gruppe der Persönlichkeitsmerkmale, Schattenseiten, Laster und Tugenden. Um dieses Charaktermerkmal besser zu verstehen, wollen wir es in Beziehung setzen mit anderen:

Synonyme Konflikt - ähnliche Eigenschaften

Synonyme Konflikt sind zum Beispiel Duell, Kampf, Krieg, Auseinandersetzung, Streit, Differenz, Diskussion .

Man kann die Synonyme in zwei Gruppen einteilen, solche mit positiver Konnotation und solche mit negativer Konnotation:

Synonyme mit negativer Konnotation

Synonyme, die gemeinhin als negativ gedeutet werden, sind zum Beispiel

Synonyme mit positiver Konnotation

Synonyme mit positiver Konnation können helfen, eine scheinbare Schattenseite auch positiv zu sehen. Synonyme mit positiver Konnotation sind zum Beispiel

Antonyme Konflikt - Gegenteile

Antonyme sind Gegenteile. Antonyme, also Gegenteile, von Konflikt sind zum Beispiel Frieden, Friedfertigkeit, Harmonie, Konfliktlosigkeit, . Man kann auch die Antonyme, die Gegenteile, einteilen in solche mit positiver Konnotation und solche mit negativer Konnotation.

Antonyme mit positiver Konnotation

Antonyme, also Gegenteile, zu einem Laster, einer Schattenseite, einer negativen Persönlichkeitseigenschaft, werden gemeinhin als Gegenpol interpretiert. Diese kann man kultivieren, um das Laster, die Schattenseite zu überwinden. Hier also einige Gegenpole zu Konflikt, die eine positive Konnotation haben:

Eigenschaften im Alphabet davor oder danach

Hier einige Eigenschaften, die im Alphabet vor oder nach Konflikt stehen:

Eigenschaftsgruppe

Konflikt kann gezählt werden folgenden beiden Eigenschaftsgruppen

Yogische Konfliktbearbeitung und -lösung

von Matthias Roth

Wie mit Konflikten umgehen?

Yogis strahlen Zuversicht aus. Yogis meistern jede Anforderung mit einem Lächeln, leuchten von innen heraus und kennen Krankheiten nur vom Hörensagen; von vorübergehenden Befindlichkeitsstörungen einmal ganz abgesehen! Yogis denken immer positiv, handeln immer konstruktiv und bleiben immer vollkommen ruhig und gelassen. Regungen wie Begierde, Ärger oder Wut haben sie gelassen hinter sich gelassen. Innere Anspannung, Zweifel, Ängste? Fehlanzeige! Dafür positive Energiefelder meilenweit um sie herum. Dauerhaft. Immer. Und wenn Yogis nun nicht i m m e r so sind?

Na, da machen die bestimmt was falsch. Sie müssen ganz einfach was falsch machen. Sonst wären sie ja nicht so. So... normal, irgendwie. Mit Ängsten. Gefühlen. Schwächen! Auch nicht perfekt. Warum machen die denn dann überhaupt Yoga? Jeder Yogi und jede Yogini kennt vermutlich diese und ähnliche, von Zeit zu Zeit ausgesprochenen Mutmaßungen unserer lieben (ja, wirklich!) Mitmenschen darüber, wie Yogis zu sein haben, was sie fühlen müssen (oder auch nicht!), wie sie handeln müssen usw. Man kann dies - und sollte es vermutlich auch - mit Humor nehmen und mit Humor darauf reagieren. Trotzdem wird hier das yogische Selbstverständnis davon, wie ich als Yogi bzw. Yogini in der menschlichen Gesellschaft stehe bzw. glaube stehen zu müssen, fundamental berührt. Denn: Von außen kommt immer nur das zu einem zurück, was a) begründet ist, und b) Widerhall im eigenen Sein und Selbst findet.

Ausgehend von der yogischen Art, die Welt zu verstehen, möchte ich deshalb hier yogisches Leben in der modernen, westlichen Gesellschaft etwas näher beleuchten. Ich versuche dies anhand eines einzelnen Beispiels: Der yogischen Konfliktbearbeitung und -lösung.

Yoga als moderner Lebensweg

Yogis und Yoginis sind im Einklang mit den yogischen Grundüberzeugungen gehalten, von sich aus keine Konflikte in die Welt zu bringen. Und diesbezüglich gibt es dankenswerterweise sehr viele hilfreiche Erfahrungen und auch Anleitungen, z. B. die yamas und niyamas von Patanjali. Der moderne integrale Yoga ist ein sehr guter, erprobter, Erfolg und Begleitung versprechender Weg von Persönlichkeitsentwicklung, Transformation und - wenn Mensch dies möchte – Gotteserkenntis! In seiner mehrtausendjährigen Tradition, seinem allumfassenden Ansatz und seiner gewollten und bis heute geglückten Verbindung von Spiritualität, Philosophie, Wissenschaft und körperlichen Praktiken steht Yoga vielleicht sogar einzig da in der heutigen Welt. Trotzdem stößt man sehr schnell an (dem Yoga innewohnende?) Grenzen, will man als ernsthaft bemühter Yogi in unserer modernen Gesellschaft Yoga als Lebensweg verwirklichen. Die folgenden drei Fragen stellen das gedankliche Zentrum dar, um welches dieser Beitrag kreist:

Gibt Yoga auf drängende Fragen unserer modernen Gesellschaftsordnung hilfreiche und alltagstaugliche Antworten? Womit könnte es zusammen hängen, dass im Yoga so wenig Konkretes zu lesen und zu hören ist über heutige Alltagskonflikte und deren wirklich gelungene und glückliche Lösung? Wie können Yogis und Yoginis glücklich, konstruktiv und yogisch (!) mit von außen an sie heran getragenen massiven Konflikten im Leben umgehen, mit Dingen wie Übler Nachrede, Bedrohung durch körperliche und geistige Gewalt, Mobbing am Arbeitsplatz usw. - mit Konflikten also, die ihre eigene Unversehrtheit (und die anderer Wesen) gefährden?

Ich möchte diesen Beitrag als Beispiel für die Notwendigkeit verstanden wissen, intensiv nach yogischen Lösungen für heikle, aber unausweichliche Fragen des modernen Lebens zu suchen, wie z. B.: soziale Verantwortung des Einzelnen der Gesellschaft gegenüber; praktizierte Gewaltfreiheit und Pazifismus im globalen Verständnis; Organspende: ja oder nein; aktive Sterbehilfe usw.. Ich verbinde mit der Idee, yogische Ideale in die Gesellschaft leuchten zu lassen, die Hoffnung, unsere Welt zu einem glücklicheren Ort zu machen bzw. werden zu lassen; zu einem Ort ohne Mühsal, einem ashram. Ich hoffe, mir ist es im Folgenden gelungen, die Theorie auf das zum Verständnis notwendige Maß zu beschränken. Leider geht es nicht immer ganz ohne Theorie. Möge aber aus Theorie glückliche, friedvolle Praxis im täglichen Leben werden.

Zum Einstieg ein echter Konflikt

Schauplatz: Ein Schlachtfeld in Indien, Zeitpunkt: etwa 3100 v. Chr. Handelnde Personen: Sri Krishna, Arjuna usw. Die Geschichte ist geläufig: Der Krieg der Bharater, der große indische Bruderkrieg der Mahabharata endete mit der völligen gegenseitigen Ausrottung des damaligen indischen Adels, dem Tod von geschätzten einer Million Menschen, einem weit gehend verwüsteten Land und, zumindest geistig, der Weitergabe der vollkommen friedlichen Yoga Philosophie an die Menschen, wie sie in der Bhagavad Gita dargelegt ist.

Die vermutlich um 300 v. Chr. schriftlich fixierte Gita gilt manchen als spätere philosophische Rechtfertigung des großen Krieges. Andere verstehen sie im übertragenen Sinne und losgelöst von aller geschichtlichen Wirklichkeit als Sinnbild eines inneren Kampfes. Sie spricht sehr viel von inneren Konflikten, von großartigen Methoden und Techniken, das Selbst zu transformieren und (damit) Gott zu erkennen und zu verwirklichen, blendet dabei die äußere Wirklichkeit aber nie komplett aus. Ein äußerer gesellschaftlicher Konflikt zeigt sich hier gleichzeitig als existentieller innerer persönlicher Konflikt Arjunas. Die Problemzone, wie man heute vielleicht sagen würde, ist damit umrissen: Handeln in der Welt hat immer Folgen im eigenen Inneren und umgekehrt.

Konflikte klassisch-yogisch

Yoga weiß um die Unausweichlichkeit von Konflikten im täglichen Leben der Menschen und beschreibt diese auch. Der klassisch-yogische Weg, den weltlich geprägten Konflikten zu entgehen, ist der Weg der Entsagung. Dieser Weg kann räumlich und/oder zeitlich beschritten werden, und er wird in der yogischen Literatur umfassend gewürdigt und beworben. Es gab und gibt aber immer auch Yogis und Yoginis, die ihr „normales“ Alltagsleben mit Familie, Beruf usw. über den Yogaweg spiritualisieren und im Einzelfall auch auf diesem Weg die Verwirklichung erreichen. Yoga ist ein auch in dieser Hinsicht umfassender Lebensansatz, der durchaus viel Raum für individuelle Wahlmöglichkeiten bietet. Die Beziehungen des traditionellen indischen Yogi zur äußeren Welt sind u. a. durch yamas und niyamas geregelt und haben tendenziell eher passiven Charakter bis hin zur teilweise offensiv vertretenen Selbstkasteiung und Leidensfähigkeit. Ob diese Form der Weltbegegnung der modernen Welt bzw. der Welt überhaupt gerecht wird, muss Mensch je für sich entscheiden. Ob damit eine wirkliche und konstruktive partnerschaftliche Konfliktbearbeitung und -lösung erreicht werden kann, lässt sich aber durchaus kontrovers diskutieren. In den Yoga Sutras des Patanjali wird beispielsweise, neben anderen Tugenden, die auch heute noch wundervolle ahimsa (absolute Gewaltlosigkeit, Nicht-Verletzen) als notwendig für ein yogisches Leben eingesetzt. Ahimsa kann sehr dazu beitragen, Konflikte gar nicht erst entstehen zu lassen. Inwieweit sie dazu beiträgt, bereits laufende Konflikte zu mildern oder zu schlichten, wäre eine andere Frage. Wie ahimsa dauerhaft im modernen Leben praktiziert werden kann, die nächste. Alleine, ob ahimsa das in-Notwehrhandeln grundsätzlich ausschließt oder nicht, dürfte kaum je erschöpfend zu beantworten sein.

Betrachtet man die traditionellen Lehren indischer Mönche, so dienen Yogis und Yoginis Gott dem zufolge am besten, wenn sie sich von der grobstofflichen Welt mit ihrem Konfliktpotential möglichst zurückziehen, diese als vorläufig verstehen und alles Bestreben auf persönliche Befreiung und Verwirklichung richten.

Kein Mensch kann letztlich der Welt entsagen, lebt er doch aktuell (nur) in ihr und durch sie.

Der Mensch kann aber, anders als alle anderen Lebewesen, bewusst bestimmten weltlichen Notwendigkeiten entsagen. Und genau dies tut der klassische indische Yogi, wenn er sich in die Waldeinsamkeit zurückzieht. Wobei die an sich charmante Idee des weisen Waldeinsiedlers, der als kompetenter Ratgeber für Fürsten, Könige etc. fungiert, gerade im hinduistisch-folkloristischen Kontext ziemlich überstrapaziert wird. Zudem betreffen die guten Ratschläge an die Herren der Welt zumeist deren eigenes Innenleben, und nicht äußere gesellschaftliche oder staatstragende „Sachzwänge“.

Yoga heute

Yoga boomt! In Deutschland praktizieren wohl deutlich mehr als eine Million Menschen regelmäßig und ernsthaft Yoga. Und möglicherweise waren die Menschen für „neue“, friedliche, positive und aufbauende Weltanschauungen wie Yoga selten so offen wie heute, nach d e m Schreckensjahrhundert der Menschheitsgeschichte schlechthin. Im Vergleich zu anderen Gruppierungen ähnlicher Stärke ist der gesellschaftliche Einfluss des Yoga hier zu Lande trotzdem erstaunlich gering. Das verwundert. Und es überrascht, dass Yoga sich bislang noch nicht in einen echten gesellschaftlichen Impuls verwandeln konnte, einen Impuls, der angesichts dessen, was Yoga „zu bieten hat“, notwendiger denn je wäre. Wie kommt das?

Yoga wird zwar auf der einen Seite mit sich-gut-fühlen in Verbindung gebracht und in Gesundheits-Fabriken usw. angeboten. Ernsthafte Yogis und Yoginis mit dem persönlichen Anspruch, Yoga als Lebensweg zu gehen, gelten andererseits häufig als ein wenig exotisch, merkwürdig oder gar weltfremd. Sie sprengen jedes Arbeitsessen und jeden Betriebsausflug mit ihren kulinarischen Exaltiertheiten, weigern sich hartnäckig, MitarbeiterInnen zu mobben, bestehen darauf, auch im harten Berufsalltag redlich und achtsam zu handeln, ziehen sich nicht stündlich die neuesten Gräuel oder den seichtesten „Unsinn“ der Welt per TV und Radio rein, nur, um mitreden zu können usw., usf... Zudem scheinen sie ständig ihr Ego zu entwickeln und ihr Leben kreist im Vergleich zu vielen anderen Menschen, in der Natur des Yoga liegend, ziemlich auffällig um Selbstverwirklichung. Da yogische Selbstverwirklichung und Selbstverwirklichung im Rahmen einer modernen Industriegesellschaft etwas grundlegend Unterschiedliches meinen bzw. meinen können, sind hier Missverständnisse geradezu vorprogrammiert. Nicht selten werden Yogis auch von außen als selbstbezogen/egozentrisch wahrgenommen; z. B., weil sie meditieren, anstatt in der Welt etwas zu verbessern. Obwohl Meditation sich jenseits des Ego abspielt, lässt sich dies nicht so ohne weiteres vollständig entkräften, ohne dabei in echte Erklärungsnot zu geraten, denn:

Meditation findet jenseits des Ego statt, aber in dieser Welt. Und man kann auch durchaus Verständnis entwickeln dafür, dass aktive, im Leben stehende Menschen es merkwürdig finden, dass Yogis aus Achtung vor dem Lebendigen Vegetarier sind, sich ansonsten aber eher wenig engagieren, wenn es um Hunger, Folter, Krieg, bedrohte Tiere usw. in der Welt geht. Diese Tendenz, missverstanden zu werden, scheint dem Yoga innezuwohnen. Die Gründe dafür sehe ich persönlich vor allem a) im yogischen Weltverständnis selbst, b) darin, die inneren Überzeugungen des Yoga nicht nach außen hin transparent und aktiv zu vertreten und c) in mangelndem Interesse an wirklichem gegenseitigen Verstehen im menschlichen Miteinander. Auf die Punkte a) und b) werde ich nachfolgend eingehen; c) ist kein eigentlich yogisches Problem und soll deshalb hier nicht weiterbehandelt werden.

Die Realität der äußeren Welt im klassischen Yoga

Yoga erreicht die philosophische Lösung der schwierigen und komplexen Geist-Welt- Beziehung laut dem Religionshistoriker Mircea Eliade durch eine „Abwertung des Lebens“. Im atheistischen, dualen samkhya beruht die metaphysische Erkenntnis darauf, dass die Welt lediglich durch die Unwissenheit des Geistes wirklich ist. Im theistischen Yoga ist die Welt ebenfalls real, die eigentliche Wirklichkeit kann allerdings nur abseits des täglichen Lebens in Meditation dhyana und Gottesverehrung ishvarpanidhaya erfahren werden, und die Verbindung innere Welt-äußere Welt-Geist ist nicht wirklich zufriedenstellend gelöst.

Die theistische, nonduale vedanta geht in gewisser Hinsicht und ähnlich dem Buddhismus sogar so weit, die Welt selbst als Illusion zu verstehen. Das persönliche höhere Selbst atman als saccidananda, Sein, Wissen und Glückseligkeit, und das höhere göttliche Selbst brahman als eigentliche Wirklichkeit stehen letztlich jenseits allen Irdischen, sind davon dauerhaft unbeeinflusst und werden (können!) nur im überbewussten Zustand samadhi wirklich erkannt werden. Trotz des im Grunde allumfassenden Ansatzes der vedanta bleibt die philosophische Geist-Welt-Beziehung daher in gewisser Hinsicht eine trennende: hier Geist, dort Welt. Die Auffassung von Eliade ist also nicht ganz unbegründet. Und obwohl es z. B. in der Chandogya-Upanishad heisst: Das brahman ist diese ganze Welt, hat es wirklich ein wenig den Anschein, als ob der menschliche Verstand vor dem anscheinend nicht beeinflussbaren Außen kapituliere und sich eine zeitlose, von den Weltenläufen unabhängige und, wenn auch nur mit einiger Anstrengung, vollkommen beeinflussbare und letztlich gute Innenwelt schaffe.

Was prägt die äußere Welt?

Die Realität der äußeren Welt im modernen Yoga

Liest man Schriften verwirklichter Yogis, ist von der o.g. Trennung selten etwas zu spüren. Swami Sivananda fordert uns auf, die gesamte Schöpfung und alle ihre Lebewesen als brahman zu begreifen und zu ehren, und nicht (nur) als Abbild oder Teil von brahman. Ein Stein i s t brahman, Wasser i s t brahman, Pflanzen, Tiere usw. s i n d brahman, alles Manifeste i s t brahman! Alles ist eins, und es sind lediglich verschiedene Arten, dies zu erleben und zu beschreiben.

Yogis und Yoginis sind also heute aufgerufen, die Spaltung des Menschen in Körper, Geist, Seele und Absolutes als (die eigentliche?) Illusion zu begreifen und das Wissen um die Einheit von allem und die Wirklichkeit der Welt in die tägliche Praxis umzusetzen, denn Alles ist brahman das unveränderbare Absolute, das Kosmische Bewusstsein. Die Weltenläufe dagegen sind ein Spiel der Verschleierung maya mit der Urnatur prakriti auf der kosmischen Leinwand von Werden und Vergehen. Brahman ist davon vollkommen unbeeindruckt. Das Thema betreffend bedeutet dies: Ein Mitmensch, der bewusst und vorsätzlich meine persönliche weltliche Integrität als Mensch in einem sozialen Zusammenhang beschädigen will oder beschädigt, ist laut Yoga ebenso brahman, wie ich selbst oder Wesen, die mir Gutes tun und die ich liebe. Eine großartige Vision, ein zur Entwicklung einer friedlichen, glücklichen Welt vielleicht absolut notwendiger Denkansatz, aber auch eine ziemliche Herausforderung für das eigene Ego. Allerdings: Menschliche Beziehungen sind gleichzeitig begrenzt und komplex, sie sind dynamisch und voller schöpferischer Erfahrungen und Wandlungen. Brahman dagegen erscheint als unbegrenzt und dabei nicht komplex (brahman ist und bleibt einfach immer nur brahman und nichts sonst), statisch, auf ewig unveränderbar, leer und unbeindruckt von allem Werden und Vergehen. Also auch unbeeindruckt von allem, was ich denke, fühle oder tue. Anders ausgedrückt: Welt und letzte Wirklichkeit sind a) irgendwie unterschiedlicher Natur, b) dauerhaft unbeeinflusst voneinander, und c) trotzdem eins. Das ist schwer zu verstehen. Aber es wird noch schwieriger.

Das Miteinander von atman, brahman und prakriti

Tatsächlich kann sich Bewusstsein atman im Yoga nur innerhalb der manifesten Schöpfung (mula) prakriti evolutiv entfalten und (selbst) erkennen: Ohne prakriti kein atman, ohne atman kein (Erkennen von) brahman, ohne brahman keine prakriti usw. Alles ist eben miteinander verbunden und verwoben.

Insofern ist die von Eliade so benannte yogische „Abwertung des Lebens“ nicht unproblematisch, blendet sie doch, trotz eines grundsätzlich allumfassenden, holistischen Ansatzes, einen entscheidenden Teil des Ganzen als Illusion aus, ohne dies letztlich überzeugend begründen zu können. Die überbewusste Wirklichkeit wird so zur eigentlichen und einzigen Realität erhoben, und die Erfahrungen in der äußeren Welt wie auch die persönlichen Wünsche, Begierden usw. gelten letztlich als Illusion. Ein bis heute im Yoga - und nicht nur dort - ungelöstes Problem. Das moderne, dynamische Weltbild kann hier durchaus Entscheidendes zu einer Weiterentwicklung beitragen und auch Yoga kann hier sicher das eine oder andere lernen, ohne dabei seine Wurzeln und Grundüberzeugungen in Frage stellen zu müssen.

Exkurs: Ganzheitlichkeit und Transzendenz heute

Der Mensch sieht sich auch heute noch gerne als „Bürger zweier Welten“: der grobstofflich-manifesten und der feinstofflich-geistigen. Mit seinen fünf Sinnen erfährt er die materielle Welt, mit dem so genanten „sechsten“ die transzendente, geistig-seelische. Interessant ist, dass die schöpferische Natur prakriti deutlich mehr als (nur) die uns Menschen zugänglichen fünf Sinne bzw. Arten der Wahrnehmung geschaffen hat und diese auch nutzt, im Tierreich beispielsweise: „Sehen“ des polarisierten Lichtes z.B. bei Bienen; Abbilden der Wärmestrahlung vergleichbar einer Infrarot-Kamera in sog. Grubenorganen bei einigen Schlangenarten; verschiedenste, sehr genaue Körper eigene Kompasse, Thermometer, Magnetfeldrezeptoren usw.; Nervenkomplexe, die auf bestimmte chemische Substanzen in der Außenwelt gezielt reagieren u. v. a. m.. Diese weiteren Sinne würden, wären sie einzelnen Menschen „zugänglich“, von uns mit ziemlicher Sicherheit in den Bereich der übersinnlichen Wahrnehmung siddhi eingereiht werden. Sie sind aber handfest grobstofflich und lebensnotwendig für viele Lebewesen, nur eben vermutlich nicht für uns Menschen. Insoweit ist es möglicherweise ein grundlegender (männlicher?) Irrtum, die Schöpfung in mehrere, von einander getrennte Welten aufzuteilen. Viel eher steht zu vermuten, dass auch die Welt- Schöpfung eins und nur eine ist; dass alles, was ist, ob Körper, Geist oder Seele, innewohnender und sich entwickelnder Teil dieser Schöpfung ist. Chaostheorie und Synergetik zeigen, dass komplexe Formen und selbst Verhaltensweisen wie Staatenbildung o.ä. in der belebten und unbelebten Natur aus sich selbst heraus sich bilden können, ohne erkennbare oder notwendige Ursache, ohne vorgegebenes Ziel, und vermutlich auch ohne einen unbewegten aristotelischen Beweger bzw. Schöpfer als Urgrund allen Werdens.

Die alte Frage, ob Gott existiert oder nicht, wird dadurch allerdings nicht beantwortet. Z. B. hat Brahma traditionellerweise mit der Weltentfaltung und -einrollung (Tag und Nacht Brahmas) nicht wirklich aktiv schöpferisch zu tun. Die Fähigkeit der prakriti zur Selbstorganisation, verbunden mit Ideen wie die der „morphogenetischen Felder“ als Informations- oder Bewusstseinsträger, ermöglichen darüber hinaus heute Fragen wie die, ob manifeste Natur und Bewusstsein möglicherweise gleichzeitig Ursache und Wirkung des evolutionären Prozesses der Weltentfaltung mulaprakriti sind, aber niemals nur Ursache oder Wirkung allein.Heute wird auch durchaus sehr offen diskutiert, ob Körper, Geist und Seele derselben Welt angehören. Was hieße, dass die Seele, und damit auch das Höchste Bewusstsein, nicht außerhalb und von der Welt getrennt sich manifestiert, sondern Teil von ihr sein m u s s, damit Zustände kosmischer Harmonie wie turiya und samadhi von uns Menschen überhaupt erfahrbar sind. In manchen yogischen Texten findet man Aussagen, die sehr nahe an dem eben Gesagten dran sind, andere Texte sehen es völlig anders. Ausformulierte, ganzheitliche Ansätze, welche manifeste Schöpfung, Transzendenz und Transformation gleichermaßen beinhalten und Wert schätzen wie das göttliche Bewusstsein, sind jedenfalls v. a. im Rahmen der neuzeitlichen Frauen-, Umwelt- und Naturschutzbewegungen gesellschaftsfähig geworden. Wie auch immer: der gangbare und glückliche Weg, innere und äußere Wirklichkeit gleichermaßen anzuerkennen und zum Wohle des Ganzen miteinander zu versöhnen, gleichzeitig inneren Seelenfrieden und äußeren Weltfrieden zu schaffen, gleichbedeutend bewusste und überbewusste Erfahrung in den Dienst der gesamten Schöpfung zu stellen, Transformation nicht zwingend nur mit persönlicher Transformation gleichzusetzen, ist auch im Yoga eher eine Fragestellung der Moderne als der klassischen Schriften. Die vollkommene Einheit bei bzw. sogar wegen(!) stofflicher Verbundenheit von Körper, Geist und Seele als Grundvoraussetzung für den turya oder samadhi ist v. a. eine moderne Sichtweise. Und die uralte Frage, ob bzw. wie ein gottgefälliges Leben in einer weitgehend als gottlos empfundenen Welt möglich ist, wird heute durchaus anders beantwortet, als von 2000 Jahren.

Yogisches Handeln in der Konklikt beladenen Welt

Yoga findet in dieser Welt statt, so begrenzt, illusionär oder verschleiert sie uns auch erscheinen mag. Als Alltags-Yogi bin ich grundsätzlich gehalten, alles, was ich in der Welt tue, auf sattwige (erhebende, reine) Weise zu tun. Dies erleichtert die persönliche spirituelle Praxis, das Üben sadhana, und ist gleichzeitig gut für alle anderen Mitlebewesen. Yoga ist immer auch das alltägliche Leben.

Yogis und Yoginis - im ashram wie auch „draußen“ in der Welt – haben Freunde, Gegner, vielleicht sogar Feinde. Sie stehen in sozialen Zusammenhängen, die evtl. entschlossenes Handeln, Zivilcourage, Zurückhaltung, heilende Hinwendung usw. verlangen, aber alles eben sattwig. Gleichzeitig sind sie bemüht um Transzendenz und Transformation, um Läuterung des Ego und Verwirklichung des Selbst. Für einen Yogi in einer mehr oder minder geschützten und (selbst) begrenzten yogischen Umwelt (ashram, spirituelle Lebensgemeinschaft etc.) gibt es einige Hilfestellungen, um eine konfliktbeladene Situation, wenn sie denn eintreten sollte, Erfolg versprechend und v. a. yogisch (!) zu meistern, kann er ja unter Gleichgesinnten agieren und reagieren. Die Chance, im Einklang mit yogischen Grundüberzeugungen sich gegenseitig richtig zu verstehen, ist vergleichsweise gut.

Für den „Alltags-Yogi“ mit gewollten Verbindungen in und Anhaftungen an die Welt geht es im Einzelfall darum, in Wertesystemen zu agieren, die er vielleicht nicht voll umfänglich teilt. Manchmal geht es möglicherweise auch darum, Mitmenschen ihre ureigene Verantwortung nicht dadurch abzunehmen, dass man ihnen mit dem Hinweis auf karma yoga auch dasjenige abnimmt, was sie selbst noch schöpferisch, lernend und wachsend leisten könn(t)en. Ein Mensch kann, wie die moderne Psychologie weiß dauerhaft nicht gleichzeitig in verschiedenen Wertesystemen denken, fühlen und hadeln, ohne dabei Gefahr zu laufen, schizoid (seelisch gespalten) zu werden. D. h., auf weltliche Konflikte müssen Yogis und Yoginis einerseits angemessen, eindeutig und verstehbar reagieren (können), ohne andererseits damit ihre persönliche Integrität und yogische Grundüberzeugung in Frage zu stellen. Zudem sollte ihr Handeln konstruktiv, d.h. erfolgversprechend sein, denn nur dann macht Handeln überhaupt Sinn.

Flucht vor der äußeren Wirklichkeit in die Innerlichkeit allein löst, wie schon die Bhagavad Gita zeigt, weder innere noch äußere Konflikte. Wie kann Yoga den Yogis und Yoginis konkret helfen, die Kinder hier in der Welt haben, deren Unversehrtheit und Zukunft ganz konkret durch Übergriffe bedroht ist? Was tun in Einklang mit den yogischen Lebensregeln, wenn ich mobbende ArbeitskollegInnen habe, die mir das Leben zur sprichwörtlichen Hölle machen, ich aber auf diese Arbeit stelle als existenzsichernde Grundlage angewiesen bin, weil ich eine Familie zu ernähren habe, weil ich selber essen muss, um Körper und Geist u. a. für das regelmäßige Praktizieren von Yoga erhalten zu können usw.? Vielleicht hilft uns das Wissen um das Gesetz des karma hier weiter: Das kosmische Gesetz von Ursache und Wirkung karma stellt Menschliches-Allzu-Menschliches in einen großen kosmischen Zusammenhang. Wenn letztlich alles Teil eines absolut gerechten kosmischen Kreislaufs ist, reduziert sich vieles rein auf die Zeitfrage: Manchmal treten die Folgen meines Handelns direkt ein, manchmal eben erst einige Leben später. Und manchmal geschehen Dinge einfach auch ohne karmischen Grund nur deshalb, damit ich persönlich daraus etwas lernen kann. Jegliches Handeln hat seinen tieferen, mir vielleicht (noch) unbekannten Sinn, und somit auch jegliches menschliche Handeln in der Welt.

Das Wissen darum hilft grundsätzlich, gelassener zu sein und eigenes Tun darauf zu richten, vorhandenes karma abzuarbeiten und neues karma gar nicht erst entstehen zu lassen. Leider scheint dem Gesetz des karma aber eine gewisse Tendenz zum Statischen innezuwohnen. Und alleine mit Aushalten ist es in unserer schnelllebigen Zeit womöglich nicht immer getan. Anscheinend lassen sich hier menschliche und kosmische Bedingtheiten (noch) nicht passgenau ineinander fügen. Es gibt also noch viel zu tun; gerade auch für Yogis und Yoginis in der Welt. Und verwirklichte Meisterinnen und Meister zeigen uns Wege auf, die wir beschreiten können, ohne diese dazu völlig verstehen zu müssen, denn: Auf das Tun kommt es an.

Yogische Gelassenheit als Konfliktlöser in der Welt

Gelassenheit gilt heute zu Recht als besonders hilfreiche und erstrebenswerte yogische Eigenschaft, gerade auch für das Alltagsleben. Keine Frage: Gelassen geht fast alles leichter und besser. Das Praktizieren yogischer Gelassenheit in allen Lebenslagen kann allerdings in nicht yogisch geprägter Umgebung durchaus seine Tücken haben. Komplexe Gesellschaften, menschliche wie übrigens auch tierische, haben nämlich aus Erfahrung Verhaltensweisen, Gebärden, Emotionen usw. kultiviert und tradiert, um das Miteinander durchschaubarer zu machen. Angenommen, ein Mensch, mit dem mich ein weltliches Abhängigkeitsverhältnis verbindet, z. B. Arbeitgeber, Vermieter, PartnerIn stellt mich zur Rede, ob die (unwahre) Behauptung eines Dritten stimme, dass ich ein der Polizei bekannter Straftäter sei, gegen den aktuell ermittelt wird. Reagiere ich jetzt ausschließlich mit yogischer Gelassenheit, mag es gut sein, dass dies als Eingeständnis bzw. Zustimmung verstanden wird. Von einem redlichen (satya) Menschen wird - vielleicht auch zu Recht - erwartet, dass er/sie sich gegen böswillige Unterstellung deutlich erkennbar verteidigt. Unabhängig davon, dass mein echtes Problem in dieser Welt mit Gelassenheit alleine wohl nur selten gelöst werden kann, schließt sich auch die Frage an, ob ich damit andere Menschen vielleicht sogar zu einem falschen Bild von mir verleite und dazu, weiterhin Unwahres über mich zu glauben oder zu verbreiten, was dem Praktizieren von satya wohl auch nicht entspricht.

Ein Mitmensch, der mir, warum auch immer, wirklich und aktiv schaden möchte in diesem Leben, wird sich nicht immer davon beeindrucken lassen, dass ich ein friedfertiger Yogi bin bzw. sein möchte. Erfahrungsgemäß fordert ihn dies eher noch heraus, seine Tätigkeiten auszuweiten, bis Widerstand kommt (actio-reactio als Prinzip in der Welt der Kräfte). Er stellt mir also eine w i r k l i c h e Aufgabe im Leben, an der ich wachsen kann, ohne vielerlei philosophisch-weltanschauliche Ausflüchte für mein eventuelles Nicht-Handeln zu finden - geht es doch jetzt um meine körperliche und geistige Unversehrtheit, um die Grundlage meiner gegenwärtigen Existenz. Und, die Frage sei erlaubt, wenn ich jetzt nicht handelnd tätig werde, wann dann? Yogische Gelassenheit bedeutet nicht Untätigkeit. Im schlimmsten Falle wird er/sie solange weiter mobben, Unwahres verbreiten, Gewalt anwenden, bis ich umziehe, den Arbeitsplatz wechsele etc. und sich dann vielleicht sogar ein neue Zielscheibe für seine Tätigkeiten suchen. Abgesehen von den seelischen, psychosomatischen und finanziellen Belastungen, die dies für einen selbst die Angehörigen (und mögliche spätere Betroffene; Stichwort: soziale Mitverantwortung!) mit sich bringen kann, folgt dann alles irgendwie dem (sehr weltlichen) Motto: Der Klügere gibt nach. Wenn immer der/die Klügere nachgibt, wie soll dann jemals eine wirklich lebenswerte Gesellschaft entstehen?

Konfliktbearbeitung und -lösung auf yogische Art und Weise

Yogis und Yoginis sind friedliebende Menschen, die keinem Wesen schaden wollen. Daraus aber eine Tendenz zum Leiden und Aushalten zu machen wäre sicher nicht glücklich. Yogis und Yoginis haben ganz sicher das Recht und vielleicht sogar die moralische Verantwortung, sich aktiv gegen Übergriffe und Ungerechtigkeiten in der Welt zu wehren und sich und andere aktiv zu schützen. Entscheidend sind der Beweggrund und die Art des Handelns. Eine Handlung sollte derart beschaffen sein, dass die positiven Folgen für das Ganze davon deutlich überwiegen. Sie sollte unter Einhaltung der yamas und niyamas, ohne Anhaftung an die Früchte des Handelns und ohne Böswilligkeit usw. erfolgen und in jeder Hinsicht gewaltfrei sein.

Wenn etwa in der Wohnung, aus welcher mich mein Nachbar mobben will, z. B. auch ein Pflege bedürftiger Mensch lebt, ein Kind mit Freundschaften in der Nachbarschaft oder ein Hund, der auf einen unmittelbar vorhandenen Zugang ins Grüne angewiesen ist, sollte ich auch als Yogi oder Yogini vielleicht nicht den Kopf in den Sand stecken und es (nur) mit yogischer Gelassenheit versuchen, sondern aktiv und yogisch handeln.

Privates Handeln findet immer auch in einem gesellschaftlichen Kontext statt, und bestimmte Verhaltensweisen gelten, wie immer man sie auch dreht und wendet, für den Einzelnen wie für das Ganze als „schlecht“. Und wem ist damit gedient, wenn sie auf ewig unverbessert oder unwiderstanden weiter praktiziert werden? Vielleicht ermöglicht uns das Leben in einer besseren, weil friedlichen, gleichberechtigten und sozial starken Gesellschaft ja auch die leichtere (im Sinne von mühelosere, glücklichere) Abarbeitung von karma für jede(n) von uns, ob Yogi oder nicht? In einer ashram-Gesellschaft sozusagen, einer Gesellschaft mit hohem Verwirklichungspotential, einer Gesellschaft glücklicher Zuversicht.

Praktische Anregungen

Swami Sivananda sagt: „Jeder Gedanke muss anderen Frieden und Trost bringen“. Dies gilt sicher auch für alle Handlungen. Vor diesem Hintergrund hier einige Anregungen zur gewaltfreien yogischen Konfliktlösung: Sich fragen, wieviel Verantwortung für den Konflikt liegt auf meiner Seite? Habe ich schlecht gedacht, geredet, gehandelt in Bezug auf meinen feindseligen Mitmenschen? Manchmal kommen alleine dadurch überraschende Erkenntnisse ans Bewusstseinslicht, die auch für das weitere Leben von großer Bedeutung sind. Versuchen, mich in den Anderen hinein zu versetzen und auf diesem Wege den wahren Grund für das Geschehen zu erkennen. Nicht immer hilfreich und sehr spekulativ. Zudem besteht die Möglichkeit, dass ich zusätzliche schlechte Dinge und Energien in den Konflikt trage, die damit nicht in Zusammenhang stehen. Dies wäre dann womöglich eher kontraproduktiv. Immer das Gute und Göttliche im Gegenüber sehen; Liebe üben. Gedanken sind schöpferische Materie. Deshalb nur gute, gerechte, erhabene und konstruktive Gedanken denken (s.a. „Bliss divine“ von Swami Sivananda).

Raja Yoga-Techniken helfen, die schlechte Energie aus dem Konflikt zu ziehen, die Situation zu entspannen und im glücklichsten Falle sogar zu transformieren. Mitgefühl, Verständnis und Dankbarkeit für den Menschen entwickeln, der mir Schaden zufügen will. Schließlich nimmt er die unerfreuliche Aufgabe auf sich, durch sein Tun eigenes agami karma zu schaffen, gibt mir aber dadurch gleichzeitig die Möglichkeit, einen Teil meines eigenen karma/prarabdha karma abzuarbeiten, sofern ich angemessen, glücklich und im Einklang mit den kosmischen Gesetzen darauf reagiere.

Das Senden von Licht und Liebe an die feindseligen Gegenüber und die geistige Abgabe des Konfliktes an höhere Mächte mit der Bitte um heilende Umwandlung ist sehr hilfreich. Manche karmische Verwickelungen erkenne weder ich noch mein Gegenüber, sondern nur die kosmische Intelligenz in all ihren Namen und Gestalten. Und nur sie kann entscheiden, ob bzw. wie dieser Konflikt gelöst werden kann. Die körpereigene Intuition bitten, mir eine richtige und glückliche Reaktion auf Angriffe von außen zu zeigen. Es braucht allerdings sehr viel Übung und Erfahrung, seine intuitive Reaktion von einer emotional aus dem Bauch heraus gesteuerten zu unterscheiden. Im Zweifel bei Vertrauenspersonen, Lehrern etc. um Rat fragen und einen guten, begründeten Rat im Einzelfall auch gegen die ursprüngliche eigene Intention annehmen und danach handeln; Vertrauen entwickeln. Wenig hilfreich dürfte es im allgemeinen sein, das Üben von Mitgefühl und Dankbarkeit nach außen hin, z. B. verbal an die betreffende Person heranzutragen. Dies wirkt sehr schnell überheblich, befremdlich oder wird als ironisch missverstanden und ist einer Konfliktlösung wohl eher nicht dienlich.

So handeln, dass meinem Gegenüber und mir die größtmögliche körperliche, seelische und geistige Freiheit und Unabhängigkeit erhalten bleibt; keine Bevormundungen etc. Sich selbst und andere vor Übergriffen schützen, nicht Wegsehen, Zivilcourage praktizieren, handelnd eingreifen.

Es gibt noch sehr viel mehr Möglichkeiten dieser Art. Alle sind sie hilfreich und begrüßenswert. „Problem“ dabei: Mein vielleicht eher grobstofflich orientierter Mitmensch bekommt hierbei von mir nicht immer genügend „grobstoffliches Futter“, mit dem er/sie konstruktiv umgehen kann (actio-reactio). Deswegen kann es durchaus sinnvoll und hilfreich sein, die genannten oder ähnliche Methoden mit allgemein anerkannten und erfolgversprechenden, gewaltfreien Konflikt-Lösungs-Strategien zu kombinieren.

Es gibt noch sehr viel mehr Möglichkeiten dieser Art. Alle sind sie hilfreich und begrüßenswert. „Problem“ dabei: Mein vielleicht eher grobstofflich orientierter Mitmensch bekommt hierbei von mir nicht immer genügend „grobstoffliches Futter“, mit dem er/sie konstruktiv umgehen kann (actio-reactio). Deswegen kann es durchaus sinnvoll und hilfreich sein, die genannten oder ähnliche Methoden mit allgemein anerkannten und erfolgversprechenden, gewaltfreien Konflikt-Lösungs-Strategien zu kombinieren.

Unlösbare Konflikte?

Trotz allem wird es, wie die Erfahrung zeigt, Fälle geben, wo all das nichts hilft, wo ich damit meine Angehörigen und mich selbst nicht erfolgreich vor Übergriffen in der Welt schützen kann. Anscheinend gibt es einfach Konflikte, die sich aktuell durch nichts und niemand aus der Welt schaffen lassen. In diesen Fällen ist es wohl auch für Yogis und Yoginis angemessen, alle gesetzlich-moralisch anerkannten und zur Verfügung stehenden Mittel zum Schutz und zur Verteidigung in Anspruch zu nehmen, sofern dies eben ohne die erklärte Absicht erfolgt, dem anderen zu schaden. Wenn alles nichts hilft, sollte Mensch zum Selbstschutz aber wirklich auch umziehen, den Arbeitsplatz wechseln etc., um aus der gefährdenden Umgebung herauszukommen in eine andere, in welcher Heilung und persönliches Wachstum möglich ist, wo Stress bedingte Erkrankungen keine Chance haben zu entstehen und ich meinem Gegenüber zu guten Handlungen Anlass geben kann. Laut Yoga leben wir derzeit ja im kali yuga, dem dunklen Zeitalter. Vielleicht ist all diese Verwirrung auch genau das, was das kali yuga ausmacht? Was wir wirklich tun können ist: durch eigenes (yogisches) Bemühen immer dort, wo wir gerade sind, durch Abarbeiten von karma, durch Praktizieren von Yoga im integralen, umfassenden Sinne Platz schaffen für das Helle, Lichte, denn: Wo Licht ist, kann kein Dunkel sein.

Insoweit ist es immer gut, alle meine Mitlebewesen, Freunde, Feinde, als brahman zu ehren. Wir sind alle eins und unser Denken und Handeln sollte darauf ausgerichtet sein, für den Einzelnen und für das Ganze Gutes zu bewirken, Frieden zu schaffen, liebevolle Hinwendung zu üben, yamas und niyamas zu praktizieren und diese durchaus auch offensiv, aber nicht dogmatisch nach außen hin zu vertreten, um die eigene Weltanschauung für andere Menschen transparent werden zu lassen. Alleine dies wäre schon ein Beitrag dazu, die Welt zu einem freundlicheren Ort werden zu lassen. Weltliche Konflikte müssen a u c h , aber nicht nur, auf ihrer weltlichen Ebene gelöst werden und spirituelle Konflikte/Erlebnisse gleich lautend auf ihrer spirituellen Ebene. Beide Ebenen der Wirklichkeit ergänzen sich dabei hilfreich und wechselseitig. Es klingt paradox, aber dies wird vielleicht nur dann möglich sein, wenn wir innere, äußere und transzendente Welt als jeweils gleich wichtigen Teil desselben Ganzen begreifen. Für jeden dieser Teile brauche ich das jeweils passende Werkzeug, kann dies aber nur dann erfolgreich einsetzen, wenn es in Harmonie mit den jeweils anderen Teilen geschieht. Und Yoga bietet eine Vielfalt an exzellenten Werkzeugen, das Leben im Inneren und Äußeren glücklich, friedlich und zum Wohle des Ganzen zu meistern. Und vielleicht, so schmerzhaft dies auch wäre, muss der Mensch, ob Yogi oder nicht, tatsächlich von der Illusion lassen, dass alle Konflikte auf der Welt völlig gewaltfrei gelöst werden können; zumindest so lange nicht, bis sich eine konstruktive, partnerschaftliche Friedengesellschaft entwickelt hat. Und damit es zu einer solchen Gesellschaft überhaupt kommen kann, braucht es eine positive Einmischung in die Weltläufe, gerade auch von Yogis und Yoginis, die in ihrem persönlichen Kosmos das schon zu praktizieren versuchen, was als e i n wegweisendes Modell für eine friedliche Welt gelten kann. Mit Waldeinsamkeit, Dogmatismus und Selbstbezogenheit alleine wird im 21. Jahrhundert wahrscheinlich kein erfreulicher, wegweisender yogischer Impuls in die Gesellschaft leuchten können. Und schon die Bhagavad Gita zeigt, dass es mehrere Arten des richtigen yogischen Handelns gibt, je nach Aufgabe, Zeitpunkt, Persönlichkeitsstruktur usw. Als Yogis und Yoginis stehen wir, in Abwandlung eines Satzes von Isaac Newton, `auf den Schultern von Riesen, und nur deshalb können wir (vielleicht) weiter blicken als manche andere Menschen`. Nutzen wir dieses Geschenk, begreifen wir es als Aufgabe und nehmen wir diese Aufgabe verantwortungsvoll zum Wohle der Welt und des Ganzen wahr, wo immer wir gerade sind. In der Welt. Aktiv. Jeden Tag. Jede Minute. Nicht nur im Yogazentrum oder zu Hause im stillen Kämmerlein, wo es (ich weiß, ich weiß!) manchmal so verführerisch leicht scheint, ein perfekter Yogi zu sein.

Die tägliche Praxis zeigt uns, wo wir gerade stehen.

Leicht ist dies nicht, das hat die Vergangenheit gezeigt. Aber es ist möglich. Und ich hoffe, mit diesem Beitrag eine entsprechende Diskussion innerhalb des BYV anregen zu können. Insofern würde ich mich sehr freuen, wenn ihr, die YogalehrerInnen des BYV, euch mit mir und untereinander über dieses Thema austauscht. Fernziel wäre eventuell ein spiritueller Leitfaden für/über gutes yogisches Leben in der Welt. Danke für euer Interesse. Dank auch an Swami Sivananda und seine niemals endende Inspiration in allen Fragen. Om shanti.

Literaturtipps:

Ken Wilber: Eine kurze Geschichte des Kosmos; Fischer Verlag Frankfurt (1997)
Mircea Eliade: Yoga - Unsterblichkeit und Freiheit (1960), Ausgabe suhrkamp 1127 (1985)
Peter W. Atkins: Schöpfung ohne Schöpfer - Was war vor dem Urknall?; Rowohlt (1984)
Rupert Sheldrake: Das Gedächtnis der Natur; Scherz Verlag (1990)
Upanishaden - Die Geheimlehre der Inder; Diederichs Gelbe Reihe (versch. Jahrgänge)
Volker Arzt & Immanuel Birmelin: Haben Tiere ein Bewußtsein?; Bertelsmann Verlag GmbH, München (1993)

Verwandte Wörter

Verwandte Wörter zu Konflikt sind zum Beispiel das Adjektiv konfliktbeladen, das Verb beladen, sowie das Substantiv Beladener.

Wer Konflikt hat, der ist konfliktbeladen beziehungsweise ein Beladener.

Siehe auch

Literatur

Selbsterfahrung, Yoga und Psychotherapie Yoga Vidya Seminare

Seminare zum Thema Selbsterfahrung, Yoga und Psychotherapie:

19.04.2024 - 21.04.2024 Atem erleben
Das erweiterte Atemerleben führt zu öffnenden und befreienden Wonneerfahrungen. Der Atem kann sich aber auch durch Blockadenmuster entlang des Atemraums blockiert und unerfüllt anfühlen.
Blocka…
Erkan Batmaz
19.04.2024 - 21.04.2024 Anahata Retreat
Du wirst dich in diesen Tagen intensiv mit deinem Anahata Chakra, deinem spirituellen Herzen, beschäftigen. Du darfst dich durch verschiedene Yoga Angebote, durch unterschiedliche Meditationen, Hatha…
Sarada Drautzburg

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