Die Krone des Lebens

Aus Yogawiki
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In seinem Buch „Die Krone des Lebens – Die Yogalehren und der Weg der Meister-Heiligen“ versuchte Kirpal Singh (1894-1974) Ende der 1960er Jahre für Sucher und Schüler aus dem Westen einen systematischen und umfassenden Vergleich der unterschiedlichen Yogasysteme zu veranschaulichen. Das Buch gliedert sich in zwei Teile, einen ersten mit einer Darstellung der unterschiedlichen Yoga-Lehren, wie sie sich historisch in Theorie und Praxis entwickelt haben und einen zweiten Teil, in dem es speziell um den Surat Shabd Yoga geht, in dessen Tradition und Nachfolge Kirpal Singh steht.

Der erste Teil untergliedert sich weiter zunächst in eine allgemeine Einführung in die Yoga-Philosophie; im zweiten Kapitel wird der Pfad des Yoga ausführlich in Theorie und Praxis vorgestellt (Yog Vidya und Yog Sadhna), also Yamas und Niyamas, Asanas, Pranayama, Pratyahara usw. Im dritten Kapitel geht es um die verschiedenen Yoga-Formen (Mantra Yoga, Hatha Yoga, Laya Yoga, Raja Yoga usw.), und im 4. Kapitel abschließend noch kurz um den Advaitismus.

Was sich vielleicht zunächst sehr theorielastig oder altbekannt anhört, entpuppt sich bei einer eingehenderen Beschäftigung als eine Art spirituelles Kompendium. Der Text ist so dicht, dass er ohne das Glossar im Anhang kaum verständlich wird und immer wieder neu gelesen werden kann; mehr als 2-3 Seiten auf einmal ist kaum anzuraten. Man spürt die hohe spirituelle Verwirklichung des Meisters des Surat Shabd Yoga, der 14 Jahre lang auch Präsident der Weltgemeinschaft der Religionen gewesen ist. Alle seine Gedanken sind wie Meditationen, die viel Bewusstseinskraft beim Leser bzw. Schüler erfordern, Ein weiteres Eingehen auf die Details scheint mir kaum möglich, da dadurch die originäre spirituelle Kraft verloren geht.

Zu Beginn des zweiten Teils kommt Kirpal Singh zusammenfassend zu dem Ergebnis, dass sich Yoga im Laufe der Zeit zu einem sehr komplexen und weit verzweigten Weg entwickelt hat, der mit all seinen teils sehr asketischen Anforderungen in unseren Tagen nur schwer und nur von einigen wenigen begangen werden kann; er führe nur selten zur vollkommenen Selbstverwirklichung. Die meisten Aspiranten brechen vorzeitig ab oder halten eine Zwischenstufe bereits fälschlicherweise für die vollkommene Erleuchtung. Er geht dabei genauer auf die jeweiligen Einseitigkeiten des auf Patanjali und Shankara zurückgehenden Yoga-Systems ein, insbesondere Jnana Yoga, Karma Yoga und Bhakti Yoga. Er gibt z.B. zu bedenken, dass ein Yogi, wenn er soziale Bindungen aufgeben soll, zuerst etwas Höheres gefunden haben muss, um das Verlangen nach dem Niedrigeren zu überwinden; Wünsche dürfen nicht unterdrückt werden, da dies die spirituelle Entwicklung nur hemmen würde. Alle drei genannten Yoga-Arten könnten nicht über sich selbst hinausführen, sie blieben in sich selbst gefangen und führten nicht vollständig aus der Zeitlichkeit und Kausalität heraus, schreibt er. Ein Bhakti-Yogi kann möglicherweise an der Liebe zu einem Isht-Deva, z.B. der Göttlichen Mutter, hängen bleiben und an ihr nicht vorbeikommen und den ungeoffenbarten, namenlosen Brahman erreichen.

Hier nun setzt der Surat-Shabd-Yoga (auch bekannt als Sant Mat) an, der den Schüler über die Meditation auf das Dritte Auge mit Wiederholung des sogenannten Simran (5 heilige Worte) sowie die Hörmeditation auf den göttlichen Tonstrom (Shabd) das Tor zu höheren spirituellen Welten öffnen kann. Kirpal Singh belegt dies mit den Offenbarungsschriften aller bedeutenden Religionen, aus denen er reichhaltige Zitate anführt. So wie es zu Beginn des Johannes Evangeliums heißt: „Am Anfang war das Wort...“. Der göttliche Ton oder das „Wort“ wirkt verbindend und schöpferisch von den höchsten spirituellen Ebenen bis zur grobstofflichen Materie und durchwaltet alle Regionen. Surat-Shabd-Yoga wird als natürliche Methode zu einer unmittelbaren Erfahrung Gottes beschrieben, die von allen Menschen unseres Zeitalters praktiziert werden kann.

Als Ecksteine bezeichnet er den Guru (lebender Meister), die Selbstdisziplin (sadachar) sowie die spirituelle Praxis (sadhan). Nur ein lebender Meister kann eine direkte Verbindung zu Gott herstellen, die nicht auf Theorie oder persönliche Intuition basiert, wie es bei den Weltreligionen fast immer der Fall ist, sobald deren Gründer ihren physischen Leib verlassen haben. Selbstdisziplin bedeutet nicht Askese, sondern ein Leben im Einklang mit den göttlichen Gesetzen und Hygiene an Leib und Seele. Die spirituelle Praxis der Meditation (simran, dhyan, bhajan) führt den Schüler nicht nur bis zum Sahasrara Chakra wie die meisten Yoga-Arten, sondern er wird dort von seinem Meister in Empfang genommen und in höhere spirituelle Regionen emporgehoben und kann sich zum Jivan mukti (im Leben befreite Seele) entwickeln.

Nicht zur Sprache bringt Kirpal Singh bedauerlicherweise, dass es in fast jeder Yogabewegung Gurus und Yogameister gibt, die ihren Schülern irgendeine Form der Meditation, meist auf das Dritte Auge, lehren, welche ein Emporsteigen in höhere Ebenen ermöglichen kann. Zwar kann ein Guru seinen Schüler nicht höher führen als bis zu der Stufe, die er selbst verwirklicht hat, doch ein gewöhnlicher Yoga-Schüler hat wohl kaum den Einblick, auf welcher Ebene sein Guru steht und muss sich dabei immer auf sein gesundes Empfinden verlassen. Außerdem ist es wohl auch karmisch bedingt, welche spirituelle Ebene er zu Lebzeiten erreichen kann und zu welchem Guru oder spirituellen Lehrer er geführt wird und welchen Yoga er praktiziert.

Zusammenfassen möchte ich sagen, dass das Buch sicher auch für diejenigen von Interesse sein könnte, die sich nicht dem Surat Shabd Yoga oder einem ihrer Meister verbunden fühlen, schon allein aufgrund der Reichhaltigkeit und Vielfalt an tiefen spirituellen Gedanken aus allen wesentlichen Richtungen des Yoga und sämtlicher Weltreligionen. Ich werde das Buch sicher noch häufig zur Hand nehmen. Das Buch ist im Origo-Verlag erschienen (ISBN 978-3-282-00081-4) und ist zum Preis von € 38 erhältlich.

Die Krone des Lebens Rezension von Annette

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